Der Herbst war ruhig. Der Winter auch. Die Bayern gewannen eine Begegnung nach der anderen. Sie spielten die beste Champions-League-Saison aller Zeiten. Sie waren in der Bundesliga nicht ganz, aber doch vorne, und im DFB-Pokal standen sie im Viertelfinale. Alles lief ziemlich wie geschmiert. Dann, nach dem 1:2 in Leverkusen, hatte Hasan „Brazzo“ Salihamidzic, der Sportchef der Münchner, eine Idee.
Einer hat die Bayern zerstört
Seit letzter Nacht wissen wir: Es war nicht seine beste.
Brazzo feuerte in der Länderspielpause Trainer Julian Nagelsmann, weil Thomas Tuchel auf dem Markt war. Das versetzte Fußball-Deutschland und damit auch mich in einen Schockzustand. Nagelsmann hatte nämlich in den fünfeinhalb Monaten zuvor ganze zwei Spiele verloren.
Der seltsamste Trainerwechsel der Bayern-Geschichte
Aber er hatte dabei, meine Theorie, vielleicht ein bisschen zu schlau dahergeredet. Zumindest Brazzo verstand nicht alles. Und als Tuchel (den er vermutlich bald auch nicht mehr verstehen wird) frei war, musste Hoeneß-Erfindung Salihamidzic nicht mehr lange überlegen: Wenn der beste Trainer der Welt auf dem Markt ist, dachte Brazzo, und du den aktuellen Trainer nicht verstehst, dann ist doch alles klar. Dann musst du einfach zugreifen.
Erst danach passierte aber das eigentlich Verrückte: Oliver Kahn, der Chef der Bayern, nickte auch noch freundlich. Und da war er passiert, der seltsamste und am wenigsten nachvollziehbare Trainerwechsel in der Geschichte des Rekordmeisters. Nagelsmann ging, Tuchel kam.
Thomas Tuchel ist ein sensationeller Trainer. Aber auch er ist kein Zauberer. Was Brazzo mitten in der wichtigsten Phase der Saison, in der sich die Bayern normalerweise zum Angriff auf drei Titel formieren, angerichtet hat, kann niemand mehr aufräumen. Gestern im Spiel bei Manchester City haben wir es mit eigenen Augen gesehen: Die Mannschaft ist in Teilen verunsichert, obendrein womöglich enttäuscht und nachhaltig verdattert. Sie ist aus dem Takt geraten.
Gegen Dortmund gewann sie noch, aber das ist ja kein Qualitätssiegel in diesen Tagen. Dann kam es knüppeldick: SC Freiburg und Manchester City. 1:2 und 0:3. Bayern ist raus aus dem Pokal und so gut wie raus aus der Königsklasse.
Enttäuschende Tuchel-Zwischenbilanz
Zwischenbilanz Tuchel: vier Spiele, 50 Prozent Siegquote und 6:7 Tore. In zehn Tagen hat der Mann so viele Niederlagen eingefahren wie sein Vorgänger Nagelsmann seit September.
Und das Schlimmste ist jetzt für Tuchel: Er kann das Ganze frühestens in einem Jahr wiedergutmachen.
Denn Stand heute ist klar: Es wird nix mit dem Triple. Und gar nix wird‘s mit dem Double, dem Grundnahrungsmittel der Bayern. Die Mannschaft 2023 gewinnt höchstens noch das Single.
Die Saison ist kaputt. Zerstört von Brazzo.
Salihamidzic hat sich versportdirektort
Ich fand übrigens lustig, wie viele Fußballfans sich letzte Nacht, nach dem Abpfiff, an Innenverteidiger Dayot Upamecano abgearbeitet haben. Als liege alles an ihm. Dabei hat den wichtigsten Fehlpass der Saison ein ganz anderer gespielt: Brazzo.
Oder etwa nicht?
Erschwerend hinzu kommen noch Sadio Mané und Joao Cancelo, die angeblichen Sensationstransfers des FC Brazzo. Sie sind so gut, dass sie weder Nagelsmann weiterhalfen noch Tuchel: Im wichtigsten Spiel des Jahres setzte er die beiden erstmal auf die Bank.
Ich habe mich gestern Abend gefragt: Wenn Trainer Spiele vercoachen können, ist dann Hasan Salihamidzic der erste Mann der Fußballgeschichte, der eine Saison versportdirektort hat?
Alex Steudel ist freier Journalist. Er war Bayern- und Nationalmannschaftsreporter sowie Chefredakteur von Sport Bild. In seiner Kolumne für SPORT1 widmet er sich auf nicht immer ganz ernstgemeinte Weise aktuellen Themen. Steudel-Kolumnen gibt es auch regelmäßig im kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit‘ch von SPORT1-Chefredakteur Pit Gottschalk. Zur Anmeldung geht‘s hier: https://newsletter.fever-pit.ch/