Der Rasen gleicht dem eines Fußballstadions.
Ex-BVB-Profi: „Tiefpunkt meiner Karriere“
„Top gemäht, oder?“, fragt Wolfgang Feiersinger, als er SPORT1 in seinem Garten zum Exklusiv-Termin empfängt. Der 57-Jährige lebt in seiner Heimat Österreich, hat lange kein Interview mehr gegeben und sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Für SPORT1 macht Feiersinger, der am 28. Mai 1997 mit Borussia Dortmund die Champions League gewann, eine Ausnahme. Denn am Samstag jährt sich der Triumph der Schwarz-Gelben zum 25. Mal. Der vermeintlich schönste Moment war für ihn aber auch gleichzeitig der Tiefpunkt in seiner Karriere.
Feiersinger wurde vor dem Finale damals von BVB-Trainer Ottmar Hitzfeld aus dem Kader gestrichen. Darüber und warum er seinem Ex-Coach inzwischen verziehen hat, spricht er unter anderem im Interview.
SPORT1: Herr Feiersinger, Was haben Sie in den vergangenen Jahren so gemacht?
Wolfgang Feiersinger: Ich bin viel mit meinem E-Bike in der Natur unterwegs. Vor allem zieht es mich immer noch in die Berge. Leider geht das aufgrund meiner Herzgeschichte nicht mehr so wie früher. Ich war beim Klettern und Bergsteigen extrem unterwegs. Jetzt lasse ich es etwas gemütlicher angehen. Im Keller habe ich eine kleine Werkstatt, da ziehe ich mich gerne zum Basteln zurück.
SPORT1: Mit Fußball machen Sie gar nichts mehr?
Feiersinger: Nein. Mit Fußball habe ich nichts mehr am Hut.
SPORT1: Klingt verbittert.
Feiersinger: Gar nicht. Ich habe einfach mit dem Fußball abgeschlossen. Der Fußball war fast 40 Jahre der Mittelpunkt in meinem Leben und ich habe in dem Sport eine super schöne Zeit erleben dürfen. Es gibt auch neben dem Fußball schöne Dinge, die man machen kann. Die Natur gibt mir unglaublich viel.
SPORT1: Wie sehr verfolgen Sie noch den BVB?
Feiersinger: Natürlich habe ich den Verein bis heute im Blick, weil er mir nach wie vor sehr am Herzen liegt. Leider hat es auch in der abgelaufenen Saison nicht geklappt mit Platz 1 und man konnte den Bayern wieder nicht Paroli bieten. Ich hoffe aber, dass der BVB mal wieder ganz oben stehen wird.
Mehr Zeit für Rose
SPORT1: Marco Rose wurde überraschend entlassen. Neuer, alter Cheftrainer ist Edin Terzic. Sebastian Kehl hatte unlängst noch im STAHLWERK Doppelpass bei SPORT1 gesagt, dass man mit Rose in die neue Saison gehen werde. Was sagen Sie dazu?
Feiersinger: Ich kann mich auch nur wundern. So ist doch leider der heutige Fußball. Am Vortag wird eine Personalie dementiert und dann passiert genau das Gegenteil. Aber da ist der BVB kein Einzelfall. Das passiert bei jedem Verein. Zu unserer Zeit hat das Wort oder der Handschlag noch gegolten. Das ist heutzutage in den Hintergrund getreten. Man gibt den Trainern einfach keine Zeit mehr, ihre Arbeit kontinuierlich umzusetzen. In nur einem Jahr kann man in Dortmund nicht alles bewegen. Man hätte Rose schon noch etwas Zeit geben müssen. Es wurden mit Niklas Süle und Nico Schlotterbeck hinten endlich mal richtig gute Spieler verpflichtet, weil da in der Verteidigung in der Vergangenheit oft der Hund begraben war. Es wurden nur offensive Jungs geholt, alleine im Mittelfeld tummeln sich acht ähnliche Spieler. Man hätte an Rose festhalten sollen. Es wäre sicher interessant gewesen zusehen, wie er mit den Neuzugängen gearbeitet hätte.
SPORT1: Und wie sehen Sie Terzic?
Feiersinger: Man hat in der Interimszeit von ihm gesehen, dass er schnell einen guten Draht zu den Spielern hatte. Er wird hoffentlich in Ruhe arbeiten und planen können. Aber geht das im heutigen Fußballgeschäft überhaupt noch? Rose hat in Salzburg Erfolge gefeiert und es war für ihn sicher auch schwierig, seine Philosophie umzusetzen. Ich wünsche mir, dass Terzic Zeit kriegt.
Feiersinger: „Hummels war eine Ausnahme“
SPORT1: Mit Schlotterbeck und Süle gibt es eine neue Innenverteidigung. Sind Sie als früherer BVB-Libero überzeugt, dass es hinten besser wird?
Feiersinger: Ich bin von beiden absolut überzeugt. Richtige Innenverteidiger von Weltklasse-Format hatte der BVB in den vergangenen Jahren nicht. Mats Hummels war sicher eine Ausnahme, aber er ist schon in einem gehobenen Alter, in dem er nicht immer spielen kann und auch zu verletzungsanfällig ist. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Champions League)
SPORT1: Wie denken Sie an Ihre Zeit beim BVB zurück?
Feiersinger: Es war eine wahnsinnige Achterbahnfahrt mit irrsinnigen Höhen und Tiefen. Aber es war schon ein Riesenglück, dass ich mit 31 Jahren nach Dortmund gewechselt bin und für diesen tollen Verein Fußball spielen zu dürfen.
Der Tiefpunkt trotz Henkelpott
SPORT1: Der absolute Tiefpunkt war der 28. Mai 1997, oder?
Feiersinger: Absolut. Dieser Tag war der Tiefpunkt in meiner gesamten Karriere. So verrückt das auch klingt, weil wir ja mit dem BVB an dem Tag Champions-League-Sieger wurden. Es war ein wahnsinniger Einschnitt in meinem Leben, weil ich vorher alle Spiele gemacht habe. Und die Art und Weise, wie das damals kommuniziert wurde, war nicht schön.
SPORT1: Ottmar Hitzfeld hat Ihnen damals die traurige Nachricht überbracht, beschreiben Sie bitte mal den Moment.
Feiersinger: Da wird jetzt in meiner Wunde rumgestochert. Aber gut. Wir fuhren zwei Tage vor dem Spiel nach München ins Trainingslager, um uns konzentriert vorzubereiten. Ich ging fest davon aus, dass ich spiele. Matthias Sammer, der für mich dann spielen durfte, hatte fast einen Monat nicht auf dem Platz gestanden. Am Nachmittag vor dem Spiel rief mich Ottmar an und sagte mir kurz und knapp, dass ich nicht spielen werde und er sich für Matthias entschieden hat. Da ist eine Welt in mir zusammengebrochen. Das Schlimme war, dass damals nicht 18 Mann im Kader waren, sondern nur 16. Ich durfte also nicht mal auf der Bank Platz nehmen. Es war ein bitterer Moment.
SPORT1: Wie haben Sie das aufgenommen?
Feiersinger: Ich war das erste Mal in meinem Leben in einem psychischen Ausnahmezustand. Es war für mich nicht wirklich real, als ich mir von der Tribüne aus das Spiel habe ansehen müssen.
SPORT1: Hitzfeld sagte mal vor einigen Jahren: „Ich habe ihm den Höhepunkt seiner Karriere zerstört, den Traum seines Lebens‘. War das so?
Feiersinger: Ja. Was den Fußball betraf auf alle Fälle. Gerade in Österreich werde ich nicht als Champions-League-Sieger wahrgenommen, weil ich im Finale nicht auf dem Platz stand. Dabei habe ich sämtliche Spiele vorher gespielt. Es tut mir auch heute noch weh.
SPORT1: Haben Sie mit Hitzfeld darüber sprechen können?
Feiersinger: Schon. Wir haben uns ausgesprochen und er konnte mir glaubhaft versichern, dass es für ihn die schwerste Entscheidung in seiner Trainerkarriere war. Aber trotzdem: Es nagt immer noch an mir. Ich war damals wütend, brutal enttäuscht und wollte nur noch weg. Aber ich war schon 32 und habe beim geilsten Verein auf der ganzen Welt Fußball gespielt. Doch ich war realistisch genug, nicht aus Dortmund abzuhauen und bin schließlich geblieben.
Feiersinger fühlt sich unter Scala „absolut gebraucht“
SPORT1: Es kam dann ja mit Nevio Scala auch ein neuer Trainer.
Feiersinger: Richtig. Und unter ihm hatte ich dann mein bestes Jahr beim BVB. Da war ich dann nicht nur Lückenbüßer, sondern wieder Stammspieler und fühlte mich absolut gebraucht. Das tat nach der Enttäuschung von München richtig gut.
SPORT1: Zeigte Ihnen diese rücksichtslose Ehrlichkeit von Ottmar Hitzfeld nicht genau das, was ihn zu diesem großen Trainer machte?
Feiersinger: Doch. So weh das auch getan hat, so muss ich sagen, dass genau diese ehrliche Gradlinigkeit die große Stärke von Hitzfeld war. Er hatte menschliche Größe, auch wenn er solch schwierige Entscheidungen treffen musste. Damals traf es nun mal mich, aber Hitzfeld hat den ganzen Kader immer gut behandelt.
SPORT1: Konnten Sie denn den Champions-League-Sieg damals richtig genießen und mit den Jungs feiern?
Feiersinger: Ich war schon in der Kabine. Es war nicht ganz real für mich, ein ganz komisches Gefühl. Ich war so enttäuscht, aber wollte dann doch bei den Jungs sein.
SPORT1: Ist Hitzfeld damals eigentlich auch mal ausgerastet?
Feiersinger: Nein, daran kann ich mich nicht erinnern. Er war immer sachlich und ruhig, aber nie emotional aufbrausend. Wir haben uns vor einigen Jahren in München mal getroffen und es war nett. Ich habe Hitzfeld mittlerweile verziehen. Er ist einfach ein netter Mensch.
Herzprobleme bei Feiersinger: „Psychisch sehr zugesetzt“
SPORT1: Sie sprachen zu Beginn des Interviews von Herzproblemen. Was war da passiert?
Feiersinger: Es ging in meinem Leben immer bergauf. Und was gibt es Schöneres, als Fußballprofi sein zu können. 2013 war ich beim Bruno-Pezzey-Turnier (ehemaliger österreichischer Nationalspieler, verstarb 1994 am plötzlichen Herztod, d. Red.) und da habe ich abends eine schwere Herzattacke erlitten. Und die hat mir in den Jahren danach auch psychisch sehr zugesetzt.
SPORT1: Was ist genau passiert?
Feiersinger: Nach meiner Fußballkarriere war ich viel in den Bergen unterwegs. Ich habe sehr viel Sport gemacht und da kam das mit dem Herzen völlig unerwartet. Das Urvertrauen in meinen Körper ging zu dem Zeitpunkt verloren. Ich bekam öfter Flimmer-Attacken und es kristallisierten sich Angst- und Panikzustände heraus und ich war ich auch in stationärer Behandlung. Da ging es mir richtig dreckig.
SPORT1: Wie ging es dann aufwärts?
Feiersinger: Ich habe Therapien gemacht und so wieder in die richtige Richtung gefunden. Seit einigen Jahren geht es mir Gott sei Dank wieder besser.
SPORT1: Sie waren früher jemand, der gerne mal kräftig feiern war.
Feiersinger: Das stimmt. (lacht)
SPORT1: Hat Ihnen das geschadet?
Feiersinger: Ich habe das Leben sehr genossen. Ich hatte in Salzburg eine wunderschöne Zeit. Wir waren nicht nur in Österreich erfolgreich, sondern haben auch international für Furore gesorgt. In der Truppe waren wir dicke Freunde. Da waren sieben, acht Spieler gebürtig aus Salzburg und es wurde viel gefeiert. Ich fuhr gerne schnelle Autos. Ich habe zu der Zeit unbeschwert in den Tag hinein gelebt. Mit einem gewissen Alter habe ich das abgelegt, aber ich möchte diese Zeit nicht missen.
„Klopp war ein absoluter Glücksfall“
SPORT1: Heute leben Sie eher zurückgezogen?
Feiersinger: Genau. Ruhig und bescheiden. Meine Lebensgefährtin und ich leben in einer wunderschönen Gegend, in der andere Urlaub machen. Viel mehr brauche ich nicht.
SPORT1: Warum wollten Sie eigentlich nie Trainer oder Sportdirektor werden?
Feiersinger: Ich habe in Salzburg drei Jahre in der Akademie gearbeitet. Da waren Jungs wie Martin Hinteregger (aktuell bei Eintracht Frankfurt, d. Red.) oder Stefan Lainer (aktuell Borussia Mönchengladbach, d. Red.) bei mir. Aber nach drei Jahren sollte es nicht mehr sein, weil es Wichtigeres für mich gab als den Fußball. Dann habe ich zehn Jahre eine Almhütte bewirtschaftet.
SPORT1: Wie haben Sie Hintereggers Karriere verfolgt? (Bericht: Hintereggers brisante Entscheidung)
Feiersinger: Martin ist ein Spieler von unserem Schlag. Er hat Ecken und Kanten und macht sich auch mal angreifbar mit dem, was er öffentlich sagt. Andere Profis dagegen sind doch nur noch aalglatt. Martin trägt sein Herz auf der Zunge. Und das ist auch gut so. Er hat mich mal auf der Alm besucht, aber er lebt jetzt ein ganz anderes Leben. Mehr von diesen Typen würden dem Fußball gut tun. Ich denke da auch an Toni Polster oder Lothar Matthäus. Diese Jungs haben das Ganze schon menschlicher gemacht.
SPORT1: Haben Sie eigentlich einen Wunschtrainer für den BVB?
Feiersinger: Mich begeistert Jürgen Klopp. Wie er Fußball spielen lässt, ist für mich faszinierend. Ich wünsche mir für den BVB wieder geradlinigen, schnörkellosen Fußball, der hinten sicherer ist. Klopp passte perfekt ins Ruhrgebiet. Leider wird er nicht mehr BVB-Trainer werden, weil ihn sich die Dortmunder nicht mehr leisten können. Klopp war ein absoluter Glücksfall.