Beim nächtlichen Bankett in Paris deutete sich schon an, was nun Gewissheit ist: Carlo Ancelotti ist nicht mehr Trainer des FC Bayern.
Elf Gründe für Ancelottis Scheitern
Nach dem bitteren 0:3-Debakel des FC Bayern bei Paris St. Germain hatte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge von "Konsequenzen in Klartextform" gesprochen.
Diese Konsequenzen sind nun gezogen. Die Ära Ancelotti in München endet bereits nach 14 Monaten. Mehr als den Deutschen Meistertitel hat der Italiener nicht vorzuweisen.
Stattdessen vollzog sich bei den Bayern ein fußballerischer Rückschritt. In der aktuellen Form kann man den deutschen Rekordmeister nicht mehr zur europäischen Spitze zählen.
(Alles zum Bayern-Beben ab 18.30 Uhr LIVE im TV bei SPORT1 in Bundesliga Aktuell und ab 19 Uhr in einer Sondersendung im Rahmen der Berichterstattung über die UEFA Europa League)
SPORT1 nennt die elf Gründe für Ancelottis Scheitern.
1. Rückschritt statt Fortschritt
Die Tendenz ist eindeutig: Seit Ancelotti von Pep Guardiola übernahm, hat er die Mannschaft nicht besser, sondern schlechter gemacht.
Die Pleite in Paris war der Tiefpunkt einer stetigen Entwicklung, mit der sich der FC Bayern erst mal aus dem Kreis der europäischen Topteams verabschiedet hat.
2. Stars außer Form
Wenn alle Profis im hochkarätig besetzten Kader ihre Topform hätten, könnten die Münchner noch immer gegen jeden Gegner bestehen.
Doch gerade Akteure wie Hummels, Müller, Vidal oder der immer wieder verletzte Boateng können seit Monaten nicht dauerhaft ihr Potenzial abrufen.
Und des Trainers Lieblinge gaben auch nichts zurück: Thiago taucht in wichtigen Spielen regelmäßig ab, der als neuer Superstar geholte James Rodriguez ist bislang nur ein Mitläufer.
3. Keine Förderung junger Spieler
Der größte Unterschied zwischen Ancelotti und seinen Vorgängern. Während vor allem Guardiola und Louis van Gaal immer wieder nach Talenten Ausschau hielten und diese nach oben brachten, sah Ancelotti das nicht als seine vordringliche Aufgabe.
Auch an dieser fehlenden Unterstützung scheiterte Renato Sanches, Coman stagniert, Gnabry ließ sich direkt wieder ausleihen und sogar Kimmich dachte nach der für ihn enttäuschenden letzten Saison konkret über einen Wechsel nach.
Erst das Karriere-Ende von Philipp Lahm und das Machtwort der Vereinsführung sorgten dafür, dass Kimmich zum unumstrittenen Stammspieler wurde.
4. Keine Führungsstruktur
Ancelotti galt lange Jahre als Spielerversteher, der die Kabine im Griff hat. Umso unverständlicher ist für viele, mit welcher Vehemenz er gerade in den letzten Wochen Stammkräfte vor den Kopf gestoßen hat.
Nachdem er schon im Vorjahr Publikumsliebling Müller keine Rückendeckung gab, hat er es sich in Paris auch mit den ausgebooteten Hummels, Robben, Ribery und Boateng verscherzt – dabei waren das genau die Spieler, die er in der momentanen Krise dringend an seiner Seite gebraucht hätte.
Dieses Machtvakuum in der Mannschaft wird auf dem Platz gerade in brenzligen Situationen immer wieder deutlich. Ein Anführer, der die Richtung vorgibt, wurde nicht nur gegen PSG schmerzlich vermisst. "Das sind Spieler, an denen man sich orientieren kann, und die auch gut tun auf dem Platz als junger Spieler", gab Kimmich offen zu.
Auf die Frage, ob das Team noch hinter dem Trainer stehe, antwortete Robben vielsagend: "Darauf werde ich nicht antworten."
5. Falsche Personalpolitik
Ancelotti ist ein relativ pflegeleichter Trainer, wenn es um das Thema Transfers geht. Im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen fordert er selten bis nie neue Spieler, schon gar nicht öffentlich.
Dadurch aber fehlte das Korrektiv für den Vereinsvorstand, der im Sommer vor allem auf Ruhe bedacht war. Deshalb verzichtete man bewusst auf einen Backup für Robert Lewandowski, so dass dieser sich nun weder Verletzungen noch Formkrisen erlauben kann.
Auch im Tor wurden die Überlegungen verworfen, eine stärkere Nummer 2 zu holen, weil Manuel Neuer wie Lewandowski ohnehin immer spielen will. Doch nach dessen erneuter Verletzung muss Sven Ulreich die Kohlen aus dem Feuer holen.
Auf dem allerhöchstem Niveau ist der Ex-Stuttgarter aber kein echter Rückhalt, das wurde auch bei den ersten beiden Treffern in Paris deutlich. Auch sonst kann man viel über die Balance des Kaders diskutieren, der unter anderem in Rafinha nur noch einen gelernten Außenverteidiger aufweist.
6. Aufstellungs-Roulette
Ancelotti galt früher eigentlich immer als Freund einer festen Stammelf. Auch in seinem ersten Jahr bei Bayern wechselte er selten und wenn, dann meist die gleichen Spieler positionsgetreu im bevorzugten 4-3-3-System.
Doch auf seine alten Tage entdeckte er plötzlich die Rotation. Die angesichts der Dreifach-Belastung und des Überangebots an guten Profis sinnvolle Maßnahme hat aber zuletzt ihre Wirkung komplett verfehlt. Weil der Trainer offensichtlich in den wichtigen Spielen seine wichtigen Spieler auf der Bank ließ, gleichzeitig die Nachrücker aber enttäuschten.
Gerade in Paris wurde überdeutlich, dass Ancelotti den gerade erst wiedergenesenen Thiago und Alaba ebenso wenig einen Gefallen mit ihrer Hereinnahme getan hat wie den überforderten Süle und James.
So verfestigt sich sogar der Eindruck, als habe der Italiener speziell Hummels, Robben und Ribery wegen ihrer zuletzt kritischen Äußerungen oder Handlungen (Trikotwurf) abgestraft.
"Es stimmt, dass mit Robben, Ribery und Hummels viele gute Spieler auf der Bank waren. Aber ich habe in jedem Spiel gute Spieler auf der Bank. So ist es in Topklubs. Gute Spieler müssen auf die Bank, das ist mein Job", meinte Ancelotti lapidar.
7. Fehlendes taktisches Konzept
Auch die Taktik des Trainers gab immer mehr Rätsel auf. Gegen PSG verzichtete er auf die offensiven Außen Ribery und Robben, so dass sich trotz riesiger Räume auf den Flügeln das Münchner Angriffsspiel immer wieder in der Mitte ballte.
Gleichzeitig fehlte in der Rückwärtsbewegung die Absicherung für die Außenverteidiger Kimmich und Alaba, die defensiven Mittelfeldspieler irrten meist planlos über den Platz.
Gerade in Spielen gegen Topgegner waren die Anfälligkeit in der Defensive und die fehlende Durchschlagskraft im Angriff wiederkehrende Defizite. Hinzu kommt die fehlende geistige Frische, die bei Alves' Führungstor nach nur 86 Sekunden exemplarisch deutlich wurde.
"Der FC Bayern hat einfach keine Idee, keine klaren Mechanismen. Es ist ein taktisches Problem", analysierte der frühere Kapitän Oliver Kahn im ZDF. "Ich kann nicht erkennen, dass das Ganze einer Idee folgt."
8. Mangelnde Fitness
Für Ancelotti ist sein langjähriger Freund Giovanni Mauri "einer der besten der Fitnesstrainer der Welt". Mit dieser Meinung stand er am Ende recht alleine da.
Schon Ende der vergangenen Spielzeit wirkten die Bayern müde und körperlich ausgelaugt, auch gegen Paris ging dem Team nach der dominanten Phase zwischen den beiden Gegentreffern im ersten Abschnitt nach der Pause deutlich die Luft aus.
Die regelmäßigen Verletzungen runden dieses negative Bild ab und auch die strapaziöse Asienreise in der Vorbereitung kann nicht mehr als Ausrede herhalten, denn alle anderen Topteams wie etwa Real Madrid waren teilweise länger unterwegs und sind dennoch in guter Verfassung.
9. Sturheit
Bei den Beobachtern aber offenbar auch bei der Vereinsführung verfestigte sich der Endruck, dass Ancelotti weder willens noch in der Lage war, zu reagieren und etwas Wesentliches zu verändern.
Auch seine Analysen nach Rückschlägen beschränkten sich auf die immer gleichen Phrasen und Floskeln ("Uns hat die Balance gefehlt"). Und besonders selbstkritisch war Ancelotti auch nicht.
"Ich denke nicht, dass die Aufstellung zu riskant war", sagte Ancelotti nach der Pleite in Paris. "Für mich war es die beste Aufstellung. Letztlich werde ich dafür kritisiert, aber das ist okay. Ich bedaure nichts."
10. Lustlosigkeit
Ancelottis Mentor und Ziehvater Arrigo Sacchi hatte bei SPORT1 bereits vor einigen Tagen eine zunehmende Lustlosigkeit bei seinem Ex-Spieler attestiert: "Man wird älter und verliert Leidenschaft und absoluten Willen, das ist das Leben."
So wenig wie sich der 58-jährige Ancelotti zuletzt gegen die sportliche Krise und schließlich gegen seinen Rauswurf wehrte, zeigt das: Sacchi hatte recht.
11. Stimmung bei den Fans
Vor allem für Präsident Uli Hoeneß ist das ein ganz wichtiger Punkt. Das von ihm propagierte "Mia san Mia"-Gefühl schließt die Anhänger mit ein. Und die wendeten sich zuletzt mehrheitlich von Ancelotti ab. Der Umgang Ancelottis mit Vereinsikonen und Lieblingen wie Thomas Müller und Franck Ribery, die sich regelmäßig auf der Bank wiederfanden, stieß den Fans sauer auf.