Von Martin Volkmar, Ivo Hrstic und Christian Ortlepp
Die zehn Lehren aus dem Bayern-Drama
Nach mehr als 120 packenden Minuten war der Jubel in der Münchner Arena grenzenlos.
Pep Guardiola wirkte nach dem 4:2 gegen Juventus Turin, als ob er das glückliche Ende dieser magischen Nacht selbst kaum glauben konnte.
Bis in die Nachspielzeit sah es nach dem frühesten Münchner K.o. in der Champions League seit 2011 aus. In diesem Fall wäre Guardiolas Mission beim FC Bayern ziemlich sicher für gescheitert erklärt worden. Die Messer waren schon gewetzt, doch es kam bekanntlich anders.
SPORT1 fasst die 10 Lehren nach dem Drama gegen Juve zusammen.
Pep kann es nicht
Die ersten 70 Minuten waren nahe am sportlichen Offenbarungseid, Guardiola schien sein Team erneut in einem wichtigen Spiel falsch eingestellt zu haben.
"Dass Juve so starkes Pressing spielt, haben wir nicht gewusst", meinte Franck Ribery hinterher. "Turin hat viel mutiger gespielt, vielleicht hat uns das etwas überrascht", gab auch Joshua Kimmich zu.
"Wir waren nicht intensiv genug in unserem Spiel, schienen verängstigt zu sein, die Körpersprache war nicht so gut", erklärte Guardiola. Was natürlich auf den Chefcoach zurückfällt.
Neben der Taktik erwies sich auch die Entscheidung als falsch, in der Innenverteidigung den komplett überforderten Medhi Benatia anstelle des dort zuletzt gesetzten David Alaba (der auf links ebenfalls einen schwarzen Tag erlebte) zu bringen.
Pep kann es doch
Große Trainer zeichnet allerdings aus, dass sie ihre Fehler korrigieren. Mit seinen Umstellungen nach der Pause und der Einwechslung von Coman und Thiago dreht der Trainer die Partie.
"Entscheidend sind Guardiolas Spielerwechsel", schrieb Tuttosport. Und Guardiola selbst meinte: "Kleine Details haben das Spiel entschieden."
Mentalität schlägt Taktik
Eigentlich hatte Juve die Begegnung im Griff und niemand hatte bis zur 73. Minute das Gefühl, dass sich die felsenfeste Defensive der Gäste noch knacken lassen würde.
"90 Prozent haben gedacht, dass wir raus sind. Aber wir sind Bayern, wir haben immer an uns geglaubt", sagte Robert Lewandowski, der dann mit dem Tor zum 1:2 die Wende einleitete.
"Ein solches Spiel zu drehen, davor kannst du nur den Hut ziehen", lobte Sky-Experte Franz Beckenbauer, während Guardiola von der " wahnsinnigen deutschen Mentalität" schwärmte. Oder eben: Mia san Mia.
In der Not hilft die alte Bayern-Masche
Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht: Statt auf Tiki Taka setzte das Team am Ende auf das uralte Münchner Erfolgsrezept: Flanke – Kopfballtor.
Erst traf Lewandowski nach Costa-Vorlage, dann in der Nachspielzeit Thomas Müller nach Coman-Vorarbeit. So schlicht kann Fußball manchmal sein, auch unter Mastermind Guardiola.
Lebensversicherung Müller
Auch dafür könnte Guardiola sich rühmen: Dass er im Gegensatz zur letzten Saison Müller nicht mehr gegen Ende des Spiels auswechselt. Dabei hätte es gegen Juve Grund genug gegeben, denn der Publikumsliebling war 90 Minuten fast unsichtbar.
Doch eine Aktion reicht einem Müller ja – so wie in der Nachspielzeit beim lebensrettenden Kopfball zum 2:2. Womit sich Louis van Gaals bekanntes Bonmot einmal mehr bestätigte: "Müller spielt immer."
Vidal ist sein Geld wert
37 Millionen Euro plus eventuelle Nachzahlungen haben die Münchner für ihren damit zweitteuersten Einkauf der Vereinsgeschichte nach Turin überwiesen – und es gab nicht wenige, die nach einer durchwachsenen Hinrunde schon von einem Fehleinkauf tuschelten.
Doch in der entscheidenden Phase der Saison zeigt Vidal genau die Stärken, wegen derer der Klub ihn geholt hat: Präsenz, Aggressivität, Engagement.
Der Chilene war fast überall auf dem Platz zu finden und wie schon im Hinspiel und auch beim Topspiel in Dortmund einer der besten Bayern.
Die Bank ist Bayerns große Stärke
So frustrierend der Abend für die hoch dotierten Bankdrücker begonnen hatte, am Ende waren die beiden Joker Kingsley Coman und Thiago nicht nur wegen ihrer Treffer in der Verlängerung die Matchwinner.
"Die eingewechselten Spieler haben einen überragenden Job gemacht. Juve war ein bisschen platt, wir hatten frische Kräfte", erkannte Kapitän Phillip Lahm.
Das ist schon jetzt der große Unterschied zum Vorjahr, als Guardiola aufgrund der vielen Verletzungen in den entscheidenden Begegnungen fast keine hochwertigen Alternativen besaß.
Die Abwehr ist die Achillesferse
Franz Beckenbauer hat bekanntlich nicht immer Recht, doch seine Analyse der ersten Halbzeit traf den wunden Punkt: "Ein Hühnerhaufen ist geordneter als diese Abwehr."
Benatia ist aktuell weit von internationaler Klasse entfernt, Kimmich auf der ungewohnten Position gegen Spitzenteams überfordert, hinzu kamen gegen Juve dann noch fatale Aussetzer der sonst so sicheren Alaba und Manuel Neuer ("Wir haben dem Gegner Geschenke gemacht").
Klar ist: Wenn die Defensive sich nicht erheblich steigert, droht gegen offensivstarke Gegner wie Barca, PSG oder Real ein böses Erwachen.
Alonso ist ein Auslaufmodell
Der Routinier sollte die Mannschaft stabilisieren, weshalb er den Vorzug vor Thiago erhielt. Doch das gelang dem 34-Jährigen nie, vielmehr lief er meist selber hinterher.
Bei allem Respekt vor Alonsos großer Karriere: Der Spanier ist offensichtlich keiner mehr für die wirklich wichtigen Spiele, die nun anstehen.
Götze ist nur noch fünftes Rad am Wagen
Es hätte gut gepasst, wenn der deutsche WM-Held auch gegen Juve in der Schlussphase ins Spiel gekommen wäre und dann vielleicht wie gegen Argentinien… Es blieb bei Götzes Wunschtraum, obwohl Belebung für die Offensive dringend benötigt wurde.
Doch in der internen Hierarchie ist der lange verletzte Nationalspieler nur zweite, wenn nicht wie am Mittwoch sogar dritte Wahl für Guardiola. Fraglich, ob sich seine unbefriedigende Situation nochmal ändert oder ob er sich stattdessen besser im Sommer einer neuen Herausforderung stellen sollte.