In seiner jahrelangen Tätigkeit als Mannschaftsarzt des FC Bayern und der deutschen Nationalmannschaft hat Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt große Bekanntheit erlangt. Die moderne Sportmedizin sieht der inzwischen 82-Jährige jedoch in der Rückentwicklung.
Hoeneß „hat mich gewähren lassen“
„Heute geht ein Spieler nach einer Verletzung sofort in die Röhre. Nicht selten höre ich von Bundesliga-Spielern: Der Doktor hat mich gar nicht angefasst“, merkte Müller-Wohlfahrt im Interview mit der Mediengruppe Münchner Merkur/tz kritisch an.

Der renommierte Sportmediziner setzt auf klassische Methoden: „Es geht nichts über die Hände, die manuelle Untersuchung! Die Hände sind der Technik weit überlegen.“
Müller-Wohlfahrt: „Mehr als 50 Prozent der Diagnosen falsch“
Müller-Wohlfahrt verdeutlichte dies anhand eines konkreten Beispiels: „Die Kernspin-Technik bietet wunderschöne Bilder, aber diese sind mit Vorsicht zu genießen. Bei Muskelverletzungen sind mehr als 50 Prozent der Diagnosen falsch.“
Bei Verletzungen von Spielern habe er seine endgültige Diagnose inklusive der Ausfallzeit in der Regel noch auf dem Rasen, spätestens in der Kabine gestellt, führte er aus.
In Müller-Wohlfahrts Anfangsjahren stießen seine Methoden jedoch nicht nur auf Zuspruch. „Ich hatte nur meine Hände. Ich war, so glaube ich, der Begründer der Sportorthopädie in Deutschland. Bei meinem ersten Vortrag über Muskelverletzungen in der Messehalle in Berlin wurde ich mit Pfiffen verabschiedet, später wollten Kollegen mir sogar die Zulassung entziehen lassen“, erinnerte er sich.
Erst die nachfolgende Generation habe erkannt, dass seine Methoden sehr effizient seien.
FC Bayern: Müller-Wohlfahrt dankt Beckenbauer
Müller-Wohlfahrt begann im April 1977 seine Arbeit beim FC Bayern und blieb mit einer kleinen Unterbrechung (2015 bis 2017) insgesamt 43 Jahre beim Klub. Dass er sich beim FC Bayern etablierte konnten, hatte auch mit Vereinslegende Franz Beckenbauer zu tun.
„Bereits nach vier Wochen kam Franz Beckenbauer auf mich zu, damals als Kapitän der Mannschaft. Er sagte: ‚Doktor, die Mannschaft bejaht dich. Du hast drei Jahre Zeit, dich zu entwickeln. Sieh zu, dass du der beste Sportarzt in Deutschland wirst‘“, verriet Müller-Wohlfahrt.
Daher empfindet er gegenüber Beckenbauer große Dankbarkeit: „Ich hatte Zeit und Raum, meine eigene, alternative Medizin zu entwickeln. Ohne Kortison, gut verträglich, ohne Nebenwirkung. Das habe ich für immer dem Franz zu verdanken. Er war bis zum Schluss mein Patient und Freund.“
Hoeneß? „Im Grunde hat er mir damit geholfen“
Auch Uli Hoeneß prägte in seiner damaligen Rolle als Bayern-Manager die Arbeit von Müller-Wohlfahrt. „Man kann sich das ja gar nicht recht vorstellen, aber immer wenn ein Spieler kam, war Uli im Schlepptau. Ich habe das akzeptiert, weil Uli engagiert und interessiert war“, sagte Müller-Wohlfahrt im Rückblick.
„Er hat damals zu mir gesagt: ‚Wir müssen dem Verein dienen!' Im Grunde hat er mir damit geholfen. Denn der Spieler hat dann auch begriffen: Hier kümmern sich zwei um mich, hier bin ich in guten Händen.“
Nachdem Hoeneß seine Medizin verstanden und akzeptiert hatte, „hat er mich gewähren lassen“, blickte Müller-Wohlfahrt zurück.
2020 endete Müller-Wohlfahrts Ära beim FC Bayern
Mit dem Ehrenpräsidenten des FC Bayern verstand er sich gut: „Übrigens, ich wusste auch immer, wie ich Uli zu nehmen hatte, ich konnte ihn so gut ausrechnen. Ich kannte ihn und seine Reaktionen schließlich sehr genau.“
2020 beendete der Sportmediziner seine Tätigkeit als Teamarzt beim deutschen Rekordmeister. Von 1995 bis 2018 arbeitete Müller-Wohlfahrt parallel für das DFB-Team.