Wenn die Bayern am Freitagabend in Stuttgart auflaufen, dürfte sich auch im fernen Kalifornien, präziser in der sonnenumfluteten Gemeinde Huntington Beach, jemand sehr für diese Partie interessieren.
Ein Geniestreich für die Ewigkeit
Schließlich ist es ein Treffen zweier Ex-Klubs, die das Leben dieses Menschen prägten. Aber auch ein Duell zwischen ihnen war wegweisend für Jürgen Klinsmann, Weltmeister 1990 und Europameister 1996 mit Deutschland und Bundestrainer beim WM-Sommermärchen 2006.

Wie sein Weg ohne das Tor, das er am 14. November 1987 schoss, verlaufen wäre, wird man durchaus fragen dürfen. Er selbst nannte es einen Schlüsselmoment seiner Karriere und postete noch 30 Jahre später einen Videoclip davon auf Twitter (heute X), mit dem Kommentar: „Heute vor 30 Jahren! Mit meinem VfB. Welch‘ unvergesslicher Moment.“
Einer, von dem noch lange und zumindest in VfB-Kreisen immer wieder gern gesprochen wurde und der Klinsmann nicht nur eine begehrte Plakette einbrachte, sondern auch eine Tür öffnete.
Beckenbauer entdeckt einen neuen Stürmer
Man schrieb den 14. November 1987, als die Bayern zum Süd-Derby ins Neckar-Stadion kamen. Das war, wie eigentlich immer in dieser Partie, die auch dank großer Stadien die zuschauerreichste der Bundesligahistorie ist, ausverkauft.
Diesmal war es ein Verfolgerduell, der Fünfte empfing den Zweiten. Im Jahr eins unter Jupp Heynckes lief Meister Bayern dem SV Werder Bremen bis zuletzt hinterher. Auch weil er an diesem November-Tag die Punkte in Stuttgart ließ.
Das kostete die Bayern zunächst einmal die Herbstmeisterschaft – unter den betrübten Augen von DFB-Teamchef Franz Beckenbauer. Der war offiziell neutral, aber natürlich im Herzen für seine Bayern.
Für ihn hatte der enttäuschende Nachmittag dennoch etwas Gutes, denn er entdeckte einen neuen Stürmer für Deutschland. Wobei er vom schwäbischen Bäcker-Sohn Jürgen Klinsmann natürlich schon gehört hatte.
Seit drei Jahren spielte der in der Bundesliga mit dem VfB Stuttgart und traf immer zweistellig. Im März 1986 schoss er in Düsseldorf mal fünf Tore, was noch immer Bundesligarekord für einen Spieler in einem Auswärtsspiel ist.
Klinsmann und das „Gemälde“
Aber für die Nationalmannschaft war er noch kein Thema gewesen, nach acht Einsätzen in der U21 (1984 bis 1985) stagnierte die DFB-Karriere angesichts namhafter und zahlreicher Konkurrenz.
Immerhin lief er für die Olympia-Elf auf, doch sein großes Ziel war die EM im eigenen Land im Sommer 1988. Er musste also auf sich aufmerksam machen, er war ja schon 23. Am besten in einem Spiel, auf das alle schauen.
So geschah es und er vergeudete keine Zeit und erzielte das 1:0 – nach 16 Minuten. Aber wie! Es war ein Gemälde von einem Tor, sein Fallrückzieher riss die Zuschauer von den Sitzen. Den Beifall verdienten sich allerdings gleich drei Akteure.
Der in München 1982 aussortierte isländische VfB-Regisseur Asgeir Sigurvinsson spielte einen langen Diagonalpass auf den rechten Flügel, den Verteidiger Günther Schäfer volley mit der Innenseite in den Strafraum schlug - genau dahin, wo der blonde Schwabenpfeil, der so schön jubeln konnte, lauerte.
In bester Klaus-Fischer-Manier legte er sich rücklings in die Luft und drosch den Ball in den Kasten des konsternierten Jean-Marie Pfaff. Dann sauste er auf die damals noch in fast allen Stadien übliche Tartanbahn und ging in die Knie.
Besondere Auszeichnung für Traumtor
Er hätte wohl noch schöner gejubelt, hätte er gewusst, dass er das Tor des Jahres 1987 erzielt hatte. So entschieden die ARD-Sportschau-Zuschauer Wochen später. Für die VfB-Legende Hansi Müller, Europameister 1980, war es das „Tor des Jahrzehnts“ und für den Kaiser war es schlicht „Weltklasse, von der Entstehung bis zur Exekution“.
Anlass zu Freude gab für Klinsmann und Co. auch der weitere Spielverlauf vor 70.700 Zuschauern. „Dem VfB waren die Bayern egal, er spielte sein Spiel“, analysierte der kicker den verdient herausgespielten 3:0-Sieg (weitere Tore durch Fritz Walter und Jürgen Hartmann). Es ist noch immer einer der höchsten VfB-Erfolge in diesem Duell in Stuttgart (mit den 3:0-Siegen in 1968 und 1969).
Der euphorisierte Klinsmann warf sein Trikot in den A-Block, wo die Treuesten standen, Torwart Eike Immel kletterte auf den Zaun. Ungewöhnliche Szenen anno 1987 nach einem ungewöhnlichen Spiel. Dazu passt, dass Klinsmann selbst sein späterer Intimfeind Lothar Matthäus, damals im vierten Bayern-Jahr, zum „guten Spiel“ gratulierte.
Klinsmann krönte seinen Sahnetag übrigens damit, dass er Bayerns Norbert Nachtweih vor einem Platzverweis bewahrte. Der Schlag gegen ihn sei keine Tätlichkeit gewesen, beteuerte er gegenüber Schiedsrichter Dieter Pauly.
Hoeneß: Erst voller Lob, später gab es Zoff
Bayern-Manager Uli Hoeneß war gerührt: „Wir müssen uns heute bei Jürgen Klinsmann bedanken. So etwas tut dem Fußball gut.“ Wohl auch deshalb war Hoeneß Klinsmann 1989 gern behilflich, als der ihn aufsuchte und um Tipps für Vertragsverhandlungen vor seinem Wechsel zu Inter Mailand bat. Die führte „Klinsi“ damals nämlich noch selbst.
Dass sie zu seinen Bayern-Zeiten als Spieler (1995 bis 1997) und Trainer (2008/09) dann doch mal aneinandergerieten, brachte das Geschäft so mit sich und lag natürlich auch an der Verschiedenheit ihrer Charaktere. Klinsmann passte einfach nicht zum FC Hollywood.
Oben auf der Tribüne arbeitete es im November 1987 derweil hinter der Stirn des Fußball-Kaisers: „Der Klinsmann ist schon ein Superstürmer. Den hätten wir auch für das Ungarn-Länderspiel brauchen können. Aber die Olympia-Elf hat ein sehr wichtiges Spiel.“
Vier Wochen später gab es keinen Terminkonflikt mehr und Beckenbauer nominierte Klinsmann für die Südamerikareise der Nationalelf. Der Beginn einer herausragenden Karriere mit 108 Länderspielen und 43 Toren. Die Tür dazu öffnete sich mit einem Tor im November 1987 gegen den FC Bayern.