Hollywood – das riecht nach Action, Spaß, aber auch Drama. Nach Film und Emotionen. Was läge also näher, als eine Dokumentation über den FC Hollywood zu drehen? Das ZDF hat sich an diese Mammut-Aufgabe gewagt und die wilde Zeit des FC Bayern nachgezeichnet.
Wie gut ist die neue Bayern-Doku?
Mit dabei: viele Protagonisten von damals. Jene unverkennbaren Charaktere, die Mitte der 1990er-Jahre Teil der Münchner Seifenoper waren, die dem berühmtesten Klub des Landes eben jenen Spitznamen verpasste: FC Hollywood.
Seitdem trägt man an der Säbener Straße dieses Etikett mit einer Mischung aus Grausen, Galgenhumor, aber auch Stolz vor sich her. Oder wie es Ex-Mediendirektor Markus Hörwick in der Dokumentation „FC Hollywood – die Chaosjahre des FC Bayern München“ sagt: „Wir müssen von Montag bis Freitag die Leute unterhalten, damit sie dann Samstag ins Stadion gehen. Wir haben versucht, dass die Scheinwerfer da sind.“
Eine andere Fußballwelt beim FC Bayern
Die fünfteilige Doku-Reihe lässt sich an manchen Stellen viel Zeit, es gibt viel zu erklären rund um das „Dream Team“, das Uli Hoeneß nach der verkorksten Saison 1994/95 schuf.
Das ist allerdings auch nötig, denn so wie die Millennials ungläubig auf die Fußballer-Hosen und -Frisuren der 1970er-Jahre blickten, dürften Mitglieder der „Gen Z“ auf die wilden Jahre des FC Bayern schauen.
Es war eine andere Fußballwelt. Undenkbar, dass heute ein Spieler (Thomas Helmer) über einen Kollegen (Lothar Matthäus) sagt: „Kranken Menschen sollte man helfen“.
Oder dass sich ein Star (wieder Matthäus) samt attraktiver Spielerfrau (Lolita Morena) bei „Wetten dass“ auf die Couch setzt. Oder dass ein Profi (schon wieder Matthäus) ein Tagebuch schreibt, in dem er die Kollegen an die Wand nagelt.
Das alles ist aber genau so passiert und zeigt, wie omnipräsent der FC Bayern war und wie knallhart das Fußballgeschäft lief. In Zeiten von seelenlosen Social-Media-Postings ein erfrischender Blick in eine Vergangenheit, in der am Anfang der Saison die Handynummern der Spieler an sämtliche Journalisten verteilt wurden und jeder wusste, wo die Bayern-Stars nachts feiern, tanzen und fremdknutschen.
Starke Interviewpartner wie Effenberg und Basler
Im Netflix-Stil zeichnen die Macher das Chaos an der Säbener Straße nach. Das große Pfund der fünf Filme: Interviewpartner wie die SPORT1-Experten Stefan Effenberg und Mario Basler. Dazu Lothar Matthäus, Thomas Helmer, Markus Babbel, Jürgen Klinsmann, Didi Hamann und viele andere. In den Gesprächen wird deutlich, dass viel Zorn mittlerweile verraucht ist. Die Protagonisten von damals blicken mit Humor auf die verrückte Zeit.
Und wenn Thomas Strunz seine Brille aufsetzen muss, um sich selbst auf dem Mannschaftsfoto von 1995 zu finden, dürften einige Zuschauer das erste Mal schmunzeln. Die Szene zeigt: Aus den wilden Kerlen von damals sind reife Herren geworden. Und trotzdem merkt man: So mancher Pulverdampf hat sich auch 30 Jahre später nicht komplett gelegt.
Wenn Matthäus erzählt, dass Klinsmann und andere Nationalspieler sein Ende in der DFB-Elf konspirativ beschlossen hätten und eben jener Klinsmann und Helmer der Darstellung widersprechen, liefert der Film echten Neuigkeitswert.
Und der Rekordnationalspieler wird einmal sogar beim Flunkern erwischt. 1996 hatte Matthäus noch behauptet, den EM-Triumph der DFB-Elf mit Freude am Fernseher beobachtet zu haben. Direkt danach schneiden die ZDF-Leute sein Geständnis von heute: Er habe das ganze Turnier überhaupt nicht verfolgt. Doch der heute 63-Jährige ist in der Doku nicht der alleinige Bösewicht.
Auch Klinsmanns Charakter wird nicht nur in bunten Farben gemalt – inklusive legendärem Tonnentritt. Für den Zuschauer sind es solche Momente, in denen er sich seinen Lieblingshelden aussuchen kann – auch wenn der Ausgang der einzelnen Anekdoten und Storys natürlich den meisten bekannt sein dürfte.
Viele Anekdoten zu Scholl, Matthäus und Co.
Vor allem die Typen stehen im Vordergrund. Mehmet Scholl und seine zerbrochene Ehe, Basler mit Zigarette und seinen Besuchen bei McDonald‘s und in illegalen Zockerrunden, Matthäus‘ Hochzeit mit grauem Zylinder auf dem Kopf. Junge Zuschauende werden sich die Augen reiben. Die 90er beim FC Bayern wirken im Rückblick wie ein schlimmer, greller Fiebertraum.
München wird im ZDF so gezeigt, wie sich Nicht-Münchner die bayerische Landeshauptstadt noch heute vorstellen: Ein bisschen zu breitbeinig, ein bisschen zu reich und ein bisschen zu eingebildet – „die Hauptstadt der Schickeria“, wie sie Ex-Bunte-Chefin Patricia Riekel in Folge 4 nennt.
Hier helfen die zahlreichen Größen des Sportjournalismus wie Carlo Wild, Wolfgang „Blunzi“ Ruiner, Uli Köhler und einige mehr, die den Wahnsinn einordnen. Mancher Beobachter wirkt heute noch irritiert davon, was der FC Hollywood alles zu bieten hatte.
„FC Hollywood“-Doku überzeugt auch optisch
Optisch überzeugen alle Folgen der Doku. Die Stars von damals in flackerndem Licht, Scholl bekommt in einer Einstellung die Gesichtszüge von Franz Beckenbauer verpasst, nachgestellte Szenen in 16-Bit-Videospiel-Optik. Wer die 90er bewusst erlebt hat, findet sich aufgrund der Aufmachung plötzlich wieder dort.
Ein Gag zündet besonders: Vor der dritten Folge erscheint ein Warnhinweis, dass diese Ausgabe der Doku keine einzige Fußballszene enthalten werde – darunter die bekannte Musik aus der Chaoten-Sendung „Jackass“.
Manchmal können die ZDF-Leute nicht widerstehen, die eigenen Archive, aber auch die von SAT.1, RTL, der ARD, SPORT1 und vielen anderen regelrecht auszupressen. Manche Story von damals wird allzu sehr ausgebreitet.
Eine Schleife nach der anderen dreht die Doku um die Auseinandersetzungen der Protagonisten untereinander, Detektivgeschichten und mehr. Das ist dann teilweise nur noch für Hardcore-Fans des FC Bayern interessant, manchem neutralen Zuschauer dürfte da irgendwann die Puste ausgehen.
In der Darstellung der Wutrede von Giovanni Trapattoni trägt das Autorenteam möglicherweise ein bisschen dick auf – das ist aber Geschmackssache. Insgesamt tut das dem Spaß an der Doku keinen Abbruch. Absolut sehenswert.
Die Geschichte endet übrigens – ganz wie in Hollywood eben – mit einem Happy End: Dem Champions-League-Titel 2001 in Mailand. Das war dann allerdings schon ein anderes Jahrzehnt …
Die fünfteilige Doku ist ab dem 10. Januar in der Mediathek des ZDF abrufbar.