Alle wollten am Samstagabend mit ihm reden, doch Leon Goretzka hatte offenkundig keine Lust. SPORT1, Sky, ARD, ZDF und SAT.1 – alle Sender fragten wegen eines Interviews beim Doppel-Torschützen an, alle ließ der Bayern-Star abblitzen.
Warum schweigt Leon Goretzka?
Sogar das Vereins-TV der Münchner wartete vergeblich, die schreibenden Journalisten sowieso. Der 29-Jährige zog es nach dem Sieg gegen den VfL Wolfsburg (3:2) vor, durch den Hinterausgang der Allianz Arena zu verschwinden.

Dabei hätte es viele Fragen gegeben, die nicht nur den Medien unter den Nägeln brennen, sondern auch den Fans des Rekordmeisters. Wie sieht Goretzka seine aktuelle Situation? Wie plant er seine sportliche Zukunft? Wie viel Genugtuung verspürt er?
Wenn der Protagonist selbst nicht Stellung nehmen will, müssen andere über ihn reden. Und das taten sie.
Viel Lob für Goretzka
„Er ist sehr erleichtert. Er hat auch immer versucht, es auf dem Platz zu zeigen. In der Mannschaft haben wir ihm immer den Rücken gestärkt“, sagte Kapitän Manuel Neuer nach der Partie und Joshua Kimmich ergänzte: „Generell freue ich mich persönlich immer für Leon, das muss ich ehrlich sagen. Klar ist er schon ein Paradebeispiel für jeden in der Kabine, der vielleicht ein bisschen hinten dran ist, der jetzt nicht so viel Spielzeit hat.“
Dass Neuer und Kimmich hinter ihrem Kollegen stehen, ist nicht überraschend. Waren es doch die beiden Führungsspieler, die Goretzka bereits im Sommer den Rücken stärkten. Der Torhüter hatte schon während er PR-Reise des FC Bayern nach Korea davon gesprochen, dass er auf den Mittelfeldspieler setze.
Und Kimmich brachte in einem Interview mit SPORT1 sein Bedauern zum Ausdruck, als Goretzka beim Pokalspiel in Ulm nicht einmal im Kader stand.
Goretzka ist zurück
Seither ist viel passiert. Goretzka verweigerte sich einem Transfer und trainierte einfach fleißig weiter. Aus dem Verein hörte man in den vergangenen sechs Monaten stets nur Positives. Obendrein half ihm das Glück.
Dass Joao Palhinha und Aleksandar Pavlovic wiederholt verletzt ausfielen beziehungsweise ausfallen, spülte Goretzka wieder regelmäßig in die Startelf des FC Bayern.
Jede Minute auf dem Feld schien dabei Sportvorstand Max Eberl und Sportdirektor Christoph Freund zu widerlegen. Zwar hatten beide immer betont, dass man Goretzka lediglich mitgeteilt habe, dass die Konkurrenzsituation brutal sei.
Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass die Klub-Strategen den teuren Star gerne verkaufen würden - auch um die finanziellen Mittel in neue Spieler zu stecken oder Leistungsträger wie Jamal Musiala zu verbesserten Konditionen halten zu können. Schließlich soll Goretzka Schätzungen zufolge um die 17 Millionen Euro pro Jahr verdienen. Zu viel für einen Ergänzungsspieler.
Eberl hält sich zurück
Dementsprechend zurückhaltend gab sich Eberl angesichts der Gala-Vorstellung seines Angestellten. Zwar lobte er Goretzka für dessen Fleiß und Flexibilität, doch eine Diskussion um die sportliche Zukunft ließ der Bayern-Boss nicht aufkommen. Die Prioritäten liegen woanders.
Jetzt könnte der Spieler der Entwicklung verbal eigentlich neuen Schwung verleihen. Doch auf ein Interview müssen die Fans und Beobachter weiterhin warten. Lediglich im November nach dem Sieg gegen PSG ließ sich der 29-Jährige drei Fragen vom damals live übertragenden Sender stellen.
In die Tiefe ging das kurze Gespräch natürlich nicht. Vor weiteren und weiterführenden Fragen in der Mixed Zone drückt er sich seit Monaten - und fährt damit gut. Goretzkas Innenleben bleibt verschlossen. Er antwortet auf dem Platz.
Goretzka als Stehaufmännchen
Wie ausgiebig er seine beiden Treffer auf dem Platz feierte, ist trotzdem ein eindeutiges Indiz dafür, dass der 29-Jährige durchaus Genugtuung verspüren dürfte. Er hat erneut bewiesen, dass immer mit ihm zu rechnen ist. Schließlich konnte er sich beim FC Bayern schon zweimal erfolgreich zurückkämpfen.
Unter Julian Nagelsmann verdrängte er nach anfänglichen Schwierigkeiten Marcel Sabitzer. Unter Thomas Tuchel erfand sich Goretzka als eine Art Quarterback neu und verkündete vor der Saison 2023/24 selbstbewusst: „Ich liebe den Verein, ich liebe die Stadt, ich liebe die Fans.“ Das brachte ihm damals viel Respekt ein, er durfte beim FC Bayern bleiben.
An diese Zeiten erinnert auch die aktuelle Phase. Goretzka stand mit dem Rücken zur Wand - jetzt ist er wieder obenauf. „Wir wussten auch, dass seine Zeit kommen wird. Das ist nicht nur jetzt so, das war auch in der Vergangenheit schon so gewesen“, sagte Neuer. Auch die Öffentlichkeit ist beeindruckt.
Was Goretzka wurmt
Als „Paradebeispiel für jeden frustrierten Spieler“ lobte SPORT1-Experte Maik Franz am Sonntag im STAHLWERK Doppelpass. Welt- und Europameister Andreas Möller zeigte sich an gleicher Stelle ebenso beeindruckt: „So einen Goretzka wünscht sich jeder Trainer.“Und sogar der eigentlich als sehr kritisch bekannte Ex-Profi Didi Hamann fand bei Sky lobende Worte: „Da haben andere schon das Handtuch geschmissen und gesagt, dann gehe ich woanders hin und trainiere vielleicht etwas halbherziger. Du musst ja, wenn du in so einer Situation bist, dass der Verein dich verkaufen will, einen Meter mehr machen als alle anderen. Das hat er gemacht. Er hat seine Chance bekommen und jetzt gibt es keinen Grund, ihn rauszunehmen.“
Goretzka scheint seinen Weg gefunden zu haben, mit den Rückschlägen der Vergangenheit umzugehen. Er beißt sich einfach auf die Zunge. Dass er beim FC Bayern auf der Verkaufsliste gelandet ist, ist schließlich nicht die einzige Tatsache, die ihn wurmt. Auch für die EM im eigenen Land wurde er nicht nominiert, die Nationalmannschaft ist weiterhin weit entfernt.
Daran dürften auch die beiden Tore gegen Wolfsburg nichts ändern. Auch weil Goretzka vorerst ein stummer Held ist.