Yildiray Bastürk spielte in der Bundesliga für den VfL Bochum, Bayer Leverkusen, Hertha BSC und den VfB Stuttgart. Im Mai 2011 beendete er seine Karriere als Fußballprofi. Heute lebt Bastürk in Bochum, ist sportlicher Leiter des türkischen Fußballverbands und arbeitet im Immobiliengeschäft. Im großen Geburtstags-Interview mit SPORT1 äußert sich der 46-Jährige unter anderem zu Niko Kovac, Florian Wirtz und Emre Can.
Kovac „wird wieder Bayern-Trainer“
SPORT1: Herr Bastürk, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Sie sind ein Weihnachtskind und haben am 24. Dezember Geburtstag. Das Christkind kommt aber nicht …
Yildiray Bastürk: Weihnachten wird in der Türkei generell nicht gefeiert. Aber zum Jahresende kommt die Familie zusammen, und wir verbringen eine schöne Zeit miteinander. Meine Geschwister leben ebenfalls alle in Nordrhein-Westfalen, deshalb treffen wir uns bei einem von uns. Da wir Muslime kein Weihnachten feiern, steht für mich nur mein Geburtstag im Mittelpunkt.
SPORT1: Nervt Sie der ganze Weihnachtstrubel in der Stadt?
Bastürk: Nein, das ist eine schöne Zeit. Es ist auch schön zu sehen, wie alles geschmückt ist. Meine Kinder erleben in der Schule ebenfalls viel davon. Für uns Muslime ist das eine Zeit, in der man zusammenkommt und jeder ein paar Gänge zurückschaltet. Es sind schöne, ruhige Tage. Leider werden diese Tage von dem schrecklichen Attentat in Magdeburg überschattet.
SPORT1: Wie feiern Sie am Dienstag?
Bastürk: In den vergangenen Jahren war es oft unterschiedlich. Häufig waren wir mit der Familie verreist. Wenn wir jedoch zuhause waren, war es meistens ein normaler Tag, denn der Fokus liegt ja mehr auf den Kindern (Bastürk hat drei Kinder, d. Red.). War einmal eine Party geplant, lief die Vorbereitung natürlich anders ab, als wenn wir mit den Kindern im Urlaub waren. Ich habe das alles schon erlebt.
SPORT1: Was machen Sie gerade beruflich?
Bastürk: Aktuell bin ich als Sportlicher Leiter beim türkischen Verband tätig und zuständig für die Deutsch-Türken von der U15 bis zur U21. Ich scoute die Spieler und schlage sie anschließend der A-Nationalmannschaft vor. Außerdem habe ich seit zehn Jahren zusammen mit zwei Partnern eine Immobilienfirma in Bochum, um ein zweites Standbein zu haben. Ich bin für den Bereich Rhein-Ruhr verantwortlich und habe zum Glück viel zu tun.
SPORT1: Über Sie sagte man einmal: „Er galt lange als einziger Weltklassespieler der Türkei.“ Wie haben Sie diese Aussage empfunden?
Bastürk: Das ehrt mich natürlich. Wenn ich die Jahre in der Bundesliga Revue passieren lasse, hatte ich tolle Jahre, und es hat mich glücklich gemacht, fast jedes Jahr in der Elf des Jahres gestanden zu haben. Ein oder zwei schlechtere Jahre gab es jedoch auch, besonders zum Ende meiner Karriere, als ich im zweiten und dritten Jahr beim VfB Stuttgart mit Verletzungen zu kämpfen hatte. Eine tolle Auszeichnung war es für mich auch 2002, als ich beim Ballon d’Or als einziger Türke unter den Top Ten dabei war.
SPORT1: Wie haben Sie es gefunden, als Real Madrid den Ballon d’Or boykottierte, weil ihr Spieler Vinícius Júnior nicht nominiert wurde?
Bastürk: Vinícius Júnior hat sich wohl benachteiligt gefühlt, weil er nicht nominiert wurde, und deshalb hat der Verein darauf reagiert. Aber so ist es immer, wenn Real Madrid auf irgendetwas reagiert, es hat meistens große Auswirkungen. Ich habe das Verhalten von Real nicht ganz verstanden. Eigentlich sollte man den Gegner respektieren. Ob das gentlemanlike war, sei dahingestellt. Das ist meine Meinung zu dem Thema.
SPORT1: 2002 wurden Sie mit der Türkei Dritter bei der Weltmeisterschaft in Südkorea und Japan. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der türkischen Nationalmannschaft seitdem?
Bastürk: Leider war das bislang die einzige WM-Teilnahme der Türkei. Bei der Europameisterschaft in diesem Jahr war es jedoch großartig - wir haben richtig gut gespielt. In den vergangenen zwei Jahren sind einige richtig talentierte, junge Spieler nachgerückt. Da ist eine Mannschaft zusammengewachsen. Es ist extrem wichtig, dass bei Nationalmannschaften bestimmte Jahrgänge nicht in zu großen Abständen voneinander spielen. Nur so können sie bei einem großen Turnier für Furore sorgen. Ich bin überzeugt, dass wir auch in den nächsten Jahren für positive Schlagzeilen sorgen können.
Bayer und Hertha als Highlights
SPORT1: Lassen Sie uns über Ihre Karriere als Profi sprechen. Gab es ein absolutes Highlight?
Bastürk: Ja. Das Jahr 2002, als wir mit Bayer Leverkusen im Champions-League-Finale standen, war herausragend. Dieses Jahr war einfach nicht zu toppen. Aber auch die Zeit bei Hertha BSC war sehr schön und erfolgreich, obwohl wir zweimal knapp hintereinander die Qualifikation für die Königsklasse verpasst haben. Wir hatten damals eine tolle Mannschaft mit Spielern wie Marcelinho. Auch die vier Jahre zu Beginn meiner Karriere beim VfL Bochum waren eine besondere Zeit.
SPORT1: Ihr Karriereende verlief leise, und Ihr letztes Jahr in England bei den Blackburn Rovers war nicht mehr so stark. Hätten Sie sich einen schöneren Abschluss gewünscht?
Bastürk: Der Bruch in meiner Karriere begann 2008, als ich kurz vor der EM aussortiert wurde. Ab diesem Zeitpunkt häuften sich Verletzungen, und ich konnte nicht mehr an die Leistungen anknüpfen, die mich in den Jahren zuvor ausgezeichnet hatten. Der leise Abschied ergab sich daraus, dass es ab 2008 ein schleichender Prozess war.
SPORT1: Sie haben viele Spiele Seite an Seite mit Michael Ballack gemacht. Wie war das?
Bastürk: In dem Jahr, bevor ich nach Leverkusen kam, hatte er einige Probleme und Leistungsschwankungen. Als Mitspieler war er jedoch ein absoluter Leader, der sehr torgefährlich war und eine Mannschaft führen konnte. Das hat er auch in der Nationalmannschaft, beim FC Bayern und bei Chelsea immer wieder gezeigt. Er wäre auch fast Weltmeister geworden. Ballack war der Star im ganzen Land.
SPORT1: Ist Joshua Kimmich schon so ein Leader wie früher Ballack?
Bastürk: Als Spieler kann man die beiden nicht miteinander vergleichen. Ballack hat viele Spiele entschieden und war torgefährlicher. Ballack ist einfach etwas anderes als Kimmich. Natürlich muss ich sagen, dass Kimmich für den deutschen Fußball sehr wichtig ist, aber Ballack war ein anderes Level.
SPORT1: Bei Hertha spielten Sie mit Marcelinho zusammen. War er ein schwieriger Typ?
Bastürk: Ich hatte nie Probleme mit Marcelinho und bin sehr gut mit ihm ausgekommen. Er war in meiner Karriere einer der besten Mitspieler. Auf dem Fußballplatz hatten wir ein blindes Verständnis. Es hat großen Spaß gemacht, mit ihm zusammenzuspielen. Privat hatte Marcelinho viele Probleme, auch nach der Karriere. Auf der menschlichen Ebene hat es jedoch auch super geklappt mit ihm.
SPORT1: Auch mit Niko Kovač haben Sie bei der Hertha zusammen gespielt. Seine erfolgreichste Zeit hatte er als Trainer bei Eintracht Frankfurt. War es ein Fehler, bei Bayern Trainer zu werden?
Bastürk: Wenn Bayern ruft, musst du das machen. Da gibt es keine zwei Meinungen. Niko hat es auch gar nicht so schlecht gemacht. Natürlich sind die Anforderungen bei Bayern anders als bei Eintracht Frankfurt. Ich denke aber, dass Niko irgendwann wieder Bayern-Trainer sein wird. Er war schon als Spieler sehr akribisch und hat seine Ziele immer sehr ernst verfolgt.
SPORT1: Glauben Sie wirklich, dass Kovac noch einmal Bayern-Trainer wird?
Bastürk: Ja, Niko wird nochmal eine Chance bei Bayern bekommen. Vielleicht nicht in den nächsten zwei, drei Jahren, aber danach. Und bis dahin kann er sich auch bei einem anderen Verein beweisen.
SPORT1: Sie haben damals in Leverkusen mit Jan Simak zusammengespielt, der unter Depressionen litt und es bei Bayer nicht gepackt hat. Hatten Sie im harten Profigeschäft auch mal mit solchen Problemen zu kämpfen?
Bastürk: Nicht so wie Jan. Natürlich ist die psychische Seite inzwischen leider ein großer Bestandteil des Profifußballs. Der eine hat mehr Probleme, der andere weniger. Wenn ich Spaß am Kicken hatte und regelmäßig spielen konnte, hatte ich damit keine Probleme. Aber ab 2008 musste ich psychisch an meine Grenzen gehen. Ich musste mir damals Hilfe holen, aber das war gar nicht schlimm. Ich rate den jüngeren Spielern, sich auf solche Situationen vorzubereiten. Wenn mir vorher jemand davon erzählt hätte, was passieren kann, hätte ich mir von Anfang an Unterstützung geholt.
Wirtz? „Ein Ausnahmespieler“
SPORT1: Florian Wirtz ist ein junger Spieler und der Superstar bei Bayer Leverkusen. Wäre es gut für ihn, noch im Verein zu bleiben?
Bastürk: Momentan gibt es keinen Vergleich zu Wirtz. Er ist ein Ausnahmespieler. Da kann sich Deutschland wirklich sehr glücklich schätzen. Das gilt auch für Jamal Musiala. Es wäre aber gut, wenn er noch ein Jahr bleiben würde. Danach kann er immer noch wechseln. Egal, wohin Wirtz geht, er wird seinem neuen Klub viel Freude machen. Wenn er geht …
SPORT1: Wie ist eigentlich Ihr Kontakt zu Hamit und Halil Altintop?
Bastürk: Sehr gut. Das sind die beiden einzigen Ex-Spieler, zu denen ich noch sehr viel Kontakt habe. Ich mag beide sehr, das sind zwei liebevolle Menschen mit einem guten Charakter. Ich habe sie damals kennengelernt, als sie zur U21 der Türkei gereist sind und ich bei der A-Nationalmannschaft war. Nach einem Jahr kamen sie auch zu uns.
SPORT1: Ihr Berater war Reza Fazeli, der heute Emre Can betreut und damals auch Nuri Şahin vertreten hat. Wie erleben Sie diese Verbindungen rückblickend?
Bastürk: Ich war einer seiner ersten Klienten. Nach wie vor habe ich guten Kontakt zu Reza. Er hat als Spielerberater eine gute Karriere hingelegt und hat mich damals auch top beraten. Ich war rundum zufrieden. Er hat es international sehr gut gemacht. Wir haben nach wie vor Kontakt, da ist eine Freundschaft entstanden.
Can? „Mehr Rückendeckung gewünscht“
SPORT1: Können Sie die Kritik an Emre Can, die in den vergangenen Monaten immer wieder aufkam, verstehen?
Bastürk: Emre Can ist ein verdienter Spieler für den deutschen Fußball. Ich hätte mir mehr Rückendeckung von den BVB-Fans gewünscht. Das hätte Can verdient. Er hatte es in der Vergangenheit nicht einfach. Can ist ein Weltklassespieler. Er hatte aufgrund von Verletzungen und Positionswechseln einige Probleme. Aber der BVB steht hinter ihm, und das ist wichtig. Can kann ein Leader sein, wenn er fit ist.
SPORT1: Markus Babbel war beim VfB Stuttgart Ihr Trainer, inzwischen ist er Fußball-Experte. Wäre das auch etwas für Sie?
Bastürk: (lacht) Babbel war damals nie einer, der viel geredet hat, er war ein introvertierter Typ. Das wundert mich ein bisschen. Aber er macht das gar nicht so schlecht. Man kann sich Vieles auch aneignen. Mit der Zeit ist Babbel immer besser geworden. Wenn man mich vor einigen Jahren gefragt hätte, ob Babbel mal TV-Experte werden würde, hätte ich klar Nein gesagt. Für mich möchte ich das auch nicht ausschließen. Ich bekomme schon viele Anfragen aus der Türkei.
SPORT1: Christoph Daum ist 2024 verstorben. Er war eine Legende in der Türkei und eine schillernde Figur im Fußballgeschäft. Leider hast du nie unter ihm gespielt. Wie sehr fehlt er dem Fußball?
Bastürk: Ich bin leider nach Leverkusen gekommen, als er schon weg war. Was damals die Spieler über Daum erzählt haben, war unglaublich. Ich habe in der Fußballszene nie ein schlechtes Wort über ihn gehört, nicht nur aus Leverkusen, sondern auch aus der Türkei. Alle haben von Daum geschwärmt - sowohl als Trainer als auch als Mensch. Für den Fußball ist es sehr schade, dass es solche Menschen wie Daum nicht mehr oft gibt. Er fehlt sehr.
SPORT1: Letzte Frage: Schafft der VfL Bochum den Klassenerhalt, wird Bayer Leverkusen wieder Deutscher Meister und kommt der VfB erneut in die Champions League?
Bastürk: Für den VfL sieht es schlecht aus. Durch den Trainerwechsel kommen sie nicht wirklich in Fahrt. Es wird sehr schwer, in der Liga zu bleiben. Die Bayern werden in der Meisterschaft dieses Mal nichts anbrennen lassen. Und der VfB hat es durch die Doppelbelastung einfach schwer. Man musste sich im Sommer von wichtigen Spielern trennen. Das tut weh. Aber am Ende werden die Stuttgarter unter den ersten Fünf landen.