Während Gerardo Seoane versuchte, den Mittwochabend sachlich einzuordnen, war Kevin Stöger so richtig geladen, auch Minuten nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck noch voll auf Betriebstemperatur. Wieder hatten die Gladbacher eine riesengroße Möglichkeit, die schwierigen Wochen vom Start der Saison etwas vergessen zu lassen. Wieder griff die Borussia nicht zu und hinterließ letztlich nur mehr Fragezeichen als alles andere. Entsprechend war die Gemütslage.
Gefangen in der Sackgasse
„Mit einem Mann mehr auf dem Platz darf man dieses Spiel auf keinen Fall verlieren. Was ich hier gerade empfinde, darf ich gar nicht sagen“, schimpfte Stöger nach dem maximal schmerzhaften Pokal-Aus in Frankfurt, bei dem die „Fohlen“ eigentlich alle Trümpfe in der eigenen Hand hatten. Denn als Lukas Ullrich nach einer Viertelstunde auf das Tor zustürmte, rutschte SGE-Verteidiger Arthur Theate als letzter Mann aus und wusste sich nur zu helfen, indem er Ullrich den Ball mit der Hand vom Fuß nahm.
Eine Rote Karte für den Belgier und ewig lange Zeit für Gladbach, den Sieg im numerischen Vorteil zu erringen, war die Konsequenz - doch am Ende lief alles wie so oft: wenig Ideen, kaum erkennbare Struktur keine Lösungen bei eigenem Ballbesitz und eine Abwehr, die nicht unbedingt den Eindruck erweckte, den Gegner mit aller Macht am Toreschießen hindern zu wollen. „Hier in Überzahl auszuscheiden, ist inakzeptabel“, redete sich Stöger in Rage. „Wir machen zwei, drei Fehler, fangen uns direkt zwei Gegentore, die man niemals bekommen darf und fliegen raus.“
Stöger: „Wir haben sehr viel Redebedarf“
„Wir dürfen hier auf keinen Fall verlieren, haben es aber trotzdem geschafft. Ich glaube, wir haben sehr viel Redebedarf“, erklärte Stöger und kündigte eine interne Aufarbeitung an, nachdem er wie der Rest der Profis bereits bei den mitgereisten und frustrierten Fans am Zaun gestanden hatte. Es sind die typischen Zeichen dafür, dass in einem Verein vieles im Argen liegt, er entweder auf direktem Weg in eine Krise steuert oder sich schon längst in einer befindet. Bei der Borussia scheint Letzteres der Fall zu sein.
Schließlich ist die Unberechenbarkeit der Gladbacher in gewisser Weise berechenbar geworden. Die heftigen Ausschläge nach unten können durch die wenigen Ausschläge nach oben längst nicht mehr kaschiert werden, zudem folgen sie einem so klaren Muster, dass sie in ihrer Regelmäßigkeit kaum noch jemanden überraschen. Trainer und Verantwortliche sind in den vergangenen Jahren gekommen und oft auch schnell wieder gegangen. Geblieben sind diese extremen Schwankungen im Auftreten, die gefühlt von Jahr zu Jahr sogar noch etwas stärker werden.
Da wirkte die Begegnung am Mittwoch fast wie eine Blaupause. Erst ein vielversprechender Start samt der Chance, erstarkte Hessen aus dem Pokal zu kegeln und sich etwas Luft zu verschaffen. Doch dann tappte Gladbach trotz Überzahl in die Fallen, die jedem bekannt waren: In das zuletzt so oft thematisierte Umschaltspiel der SGE und ihre enorme Schnelligkeit, mit der sie immer wieder ihre Treffer erzielen. „Obwohl wir wussten, wie Frankfurt spielt, kriegen wir genau so das Gegentor. Das ist das, was einen extrem ankotzt. Genau so etwas analysierst du, und am Ende kontern sie dich aus“, beklagte Tim Kleindienst.
Gladbachs bittere Realität
Enttäuschungen und Tiefschläge - sie stehen in Gladbach inzwischen an der Tagesordnung. Die Fans können sich offenbar darauf verlassen, dass nach jedem noch so positiven Ansatz der nächste bittere Rückfall kommt. Diesmal reisten die „Fohlen“ immerhin mit der Bilanz von vier Punkten aus den vergangenen zwei Spielen an den Main, an den emotionalen Sieg gegen Union Berlin (1:0) reihte sich das ebenso hart erkämpfte 1:1 in Mainz. Nun aber die erneute Bruchlandung in Frankfurt, die die Stimmung ähnlich tief ins Negative drückte wie zuvor die desolate Vorstellung in Augsburg (1:2).
Man könnte meinen, Gladbach steckt in einer Sackgasse. Kaum geht es mal einen kleinen Schritt vorwärts, folgen prompt zwei zurück. Das Wort „Mentalität“ wird immer wieder als Ansatz für Erklärungen bemüht, dazu nährt das Auf und Ab Zweifel an Seriosität und Resilienz. Zu oft knickt Seoanes Team ein, wenn es anstrengend, unangenehm oder mühsam wird. Daran haben bisher auch die Verpflichtungen von physisch starken Spielern wie Kleindienst, Stöger und Philipp Sander nicht so viel wie erhofft geändert.
Hat Seoane seinen Kredit verspielt?
Ob Seoane die Wende noch schafft, ist mehr als fraglich. Wie die Bild kürzlich berichtete, soll es intern sogar ein Ultimatum für den Schweizer geben - und auch bei den Fans hat der VfL-Coach schon viel Kredit verspielt. Weil einfach keine Entwicklung zu erkennen ist. Und weil manche Personalentscheidungen kaum nachvollziehbar sind. In Frankfurt zum Beispiel wechselte er mit Florian Neuhaus und Lukas Ullrich zuerst zwei der bis dahin stärksten Gladbacher aus. Das Spiel litt merklich darunter und die harsche Kritik im Netz ließ nicht lange auf sich warten.
So ist am Niederrhein schon wieder ordentlich Druck auf dem Kessel, wenn Werder Bremen am Sonntag (ab 17.30 Uhr im LIVETICKER) im Borussia-Park gastiert. Ein Sieg für die Gladbacher ist da fast Pflicht - sonst dürfte es für die Mannschaft und ihren ohnehin wackelnden Trainer richtig ungemütlich werden. Noch weitaus ungemütlicher als in den vergangenen Wochen.