Ein, zwei, dreimal schlug sich Emre Can mit der Hand auf die Brust - dorthin, wo das Herz unter dem BVB-Wappen schlägt. Der Kapitän feierte sich emotional - und das Stadion reagierte begeistert.
Bemerkenswert in vielerlei Hinsicht
Der vielleicht größte Sündenbock der vorerst gestoppten Dortmunder Talfahrt (2:1 gegen RB Leipzig) verkörperte in dieser Szene rund eine halbe Stunde vor Spielende den erstaunlichen Kampfgeist der dezimierten Mannschaft von Trainer Nuri Sahin in Perfektion. In höchster Not stellte Can seinen pfeilschnellen Gegenspieler Lois Openda - und klärte den Ball im Strafraum gekonnt.
Es war eine von mehreren Rettungstaten, die der als Innenverteidiger aufgebotene Nationalspieler in den Rasen brannte. Ausgerechnet Can, könnte man nun sagen. Die Erfolgserlebnisse taten ihm unübersehbar gut. Der 30-Jährige musste zuletzt viel einstecken.
Can mit ehrlicher Selbstanalyse
Was alles andere als einfach für ihn gewesen sei, wie er am SPORT1-Mikrofon entwaffnend ehrlich zugab: „Am Ende bin ich nur ein Mensch und ich kann mit Kritik sehr, sehr gut umgehen, glaube ich. Ich habe nicht gut gespielt, das waren keine einfachen Spiele für mich: Ich habe Fehler gemacht, das weiß ich, aber wenn es unter die Gürtellinie geht, dann kann ich das nicht akzeptieren.“
Can steht als Kapitän und Führungsspieler stets unter besonderer Beobachtung. Auch gegen Leipzig war er nicht fehlerfrei. Zuletzt wurde sogar geunkt, dass man ihm die Spielführerbinde eventuell sogar abnehmen sollte - was Sahin allerdings vehement abgelehnt hatte.
„Es ist leider unter die Gürtellinie gegangen“, sagte der emotionalisierte Can. Aber eine Partie kann im Fußball bekanntlich vieles ändern: „Deswegen war das Spiel heute schon Balsam für die Seele“, machte der häufig Gescholtene klar.
Nicht nur für Can dürfte der nicht unbedingt zu erwartende Sieg gegen den Tabellenzweiten Leipzig eine Art Erlösung gewesen sein. Die Erleichterung war so manchem BVB-Akteur bei Abpfiff im Gesicht abzulesen. Trotz etlicher Verletzter und des bitteren Ausscheidens im Pokal zeigte sich der angeschlagene BVB von seiner besten Seite.
Eine temporäre Lösung für das Can-Problem?
Can spielte dabei nicht nur besser als zuletzt, er spielte auch auf einer anderen Position. Als Innenverteidiger ging er voran und strahlte Sicherheit aus. „Am Ende geht es nicht um mich, es geht um die Mannschaft und ich versuche immer für die Jungs da zu sein, auf dem Platz und neben dem Platz.“
Er habe schon immer Gefallen an der Rolle in der Abwehrkette gehabt, sagte er noch: „Hauptsache zentral, da fühle ich mich am wohlsten, habe ich immer gesagt. Ich könnte die Position auch öfter ausführen, ist kein Problem für mich.“
Da die Verletzungsprobleme beim BVB zumindest nicht kleiner werden, könnte Can tatsächlich vorerst weiter als Innenverteidiger auflaufen. War das Leipzig-Spiel für Can also nun ein Wendepunkt? Sollte die Steigerung vor allem mit der Position zu tun haben, vermutlich eher nicht.
Denn früher oder später werden sich die etatmäßigen Abwehrspieler zurückmelden und die seit Saisonbeginn schwelende Frage dürfte wieder in den Vordergrund rücken: Wer soll beim BVB das Mittelfeld dirigieren? Während Can als Abräumer auf letzter Linie überzeugte, spielt sich auf seiner eigentlichen Position Teamkollege Felix Nmecha immer mehr in den Vordergrund.
Dieser war gegen Leipzig häufig Dreh- und Angelpunkt im BVB-Spiel. Während rings um ihn die Spieler ausfallen, agiert der in der Vorsaison häufig von Blessuren ausgebremste Nmecha derzeit mit beeindruckender Konstanz.
Klar ist aber auch: Nach all den Negativ-Erlebnissen der vergangenen Wochen dürfte sich Can davon nicht unterkriegen lassen. Denn der Sündenbock verkörpert den wieder gefundenen Kampfgeist des BVB in Perfektion.