Etwas Neues ist es schon lange nicht mehr. Im Prinzip beklagt alle paar Wochen irgendein Ex-Profi, dass die echten Typen im Fußball aussterben. Also die Art der Charaktere, die noch echte Ecken und Kanten haben, die in der Lage sind, über das große Ganze zu reden, die geradlinig und bereit sind, sich zu streiten, wenn es nötig ist oder sie es für nötig halten. Diejenigen, der den Mund aufmachen, auch mal unbequem und schwierig sein können. Oder kurz gesagt: Keine Ja-Sager sind.
Ein Comeback mit Sprengkraft
Nur stellt sich das Problem, dass es Spieler, die freigeistig und rebellisch sein können, in der heutigen Spielergeneration kaum noch gibt, nicht ohne Grund dar. Zu oft fliegt ihnen das eigene Verhalten um die Ohren, zu oft werden sie von Fans, Presse oder sogar vom eigenen Verein zerrissen. Manuel Riemann kann ein Lied davon singen. Der Torhüter des VfL Bochum stand seit Mitte Mai nicht mehr im Kader, nachdem es am letzten Spieltag der Vorsaison zwischen ihm, der Vereinsführung und Teilen der Mannschaft zum Knall gekommen war.
Riemann wurde daraufhin freigestellt, der Fall ging vor Gericht, weil ihm fortan die Teilnahme am Profitraining verweigert wurde. Gespräche zwischen beiden Parteien blieben offenbar lange ergebnislos - bis am Sonntagabend eine überraschende Wende durchsickerte: Der Keeper, seit Jahren eine polarisierende Persönlichkeit in Bochum, darf nun doch wieder am Training der Profimannschaft teilnehmen. Eine Einigung in letzter Sekunde, an diesem Dienstag hätten sie sich vor dem Bochumer Arbeitsgericht gegenüberstehen sollen. Es wäre der nächste Teil der Geschichte eines Zerwürfnisses gewesen.
Riemann stand öfter im Brennpunkt
Immer wieder stand Riemann in den vergangenen Jahren im Brennpunkt. Einmal ging er auf einen Zuschauer los, der ihn wochenlang beleidigt und bedroht hatte. Ein anderes Mal, im August 2019, als der VfL nach einem ohnehin verkorksten Saisonstart zur Pause mit 0:3 gegen Wehen Wiesbaden zurücklag, untergrub der Torwart mit dem Spitznamen Radio Riemann kurzerhand die Autorität des früheren Trainers Robin Dutt und stellte gemeinsam mit Kapitän Anthony Losilla die Taktik um. Das Spiel endete 3:3 - Dutts Entlassung war daraufhin besiegelt.
Auch sonst fiel der Heißsporn nicht selten durch Ausraster auf. Doch egal, ob Riemann seinem Frust über Mitspieler lautstark Luft machte, wild und total aufgebracht in Richtung Trainerbank gestikulierte oder gar die Auswechslung von Mitspielern forderte, Konsequenzen hatte das für ihn nicht - bis der Geduldsfaden seiner Mitspieler doch eines Tages riss. Nach einem Auswärtsspiel in Bremen machten einige intern deutlich, dass sie sich durch Riemanns Anwesenheit gestört fühlten. Seine ständigen, wüsten Beschimpfungen hätten verunsichert und irritiert.
Tatsächlich hat Riemann mit seiner impulsiven und unbeugsamen Art jahrelang sehr an seinem Kultstatus gearbeitet. Sein unbändiger Ehrgeiz lebte den galligen Bochumer Charakter vor, sodass der Verein bisher auf Sanktionen verzichtete und ihm jedes Mal den Rücken stärkte. Vor der Relegation gegen Düsseldorf war das dann nicht mehr möglich. So erklärte der Klub damals, dass sich Verein und Spieler aufgrund „unüberbrückbarer unterschiedlicher Auffassungen zu teaminhaltlichen Themen“ darauf geeinigt hätten, Riemann für diese Spiele nicht im Kader zu haben.
Allerdings stellte der Verein auch klar, „dass es sich nicht um eine Suspendierung oder Bestrafung handelt: Der VfL und Manuel Riemann werden diese Situation nach Saisonende aufarbeiten.“ Am Training der Profimannschaft durfte der Torhüter, der bisher 290 Pflichtspiele für die Bochumer bestritt, jedoch nicht mehr teilnehmen. Der Ruhrpott-Klub bot ihm lediglich an, Einheiten mit der U21 oder individuell mit einem Torwarttrainer zu absolvieren. Dagegen ging Riemann juristisch vor. Ein langwieriger Prozess, der sich bis jetzt gezogen hat.
Hätte Bochum den Prozess verloren?
Wie geht es nun also weiter? „Es ging auch darum, in der aktuell sportlich schwierigen Phase, weitere Unruhe zu vermeiden, die ein öffentlicher Gerichtsprozess nach sich gezogen hätte“, wird VfL-Geschäftsführer Ilja Kaenzig in einer Mitteilung zitiert. Offenbar hat man im Verein erkannt, dass Riemann vor Gericht gute Argumente gehabt hätte, weshalb der Ausschluss vom Training für ihn völlig überraschend und ungerechtfertigt kam. Dass der Routinier aber bald auch wieder den Bochumer Kasten in der Bundesliga hüten wird, scheint nicht völlig ausgeschlossen.
Bereits nach der Trennung von Trainer Peter Zeidler und Sportdirektor Marc Lettau war eine Rückkehr Riemanns verstärkt thematisiert worden. Der Grund: Die aktuelle Nummer eins, der aus Karlsruhe gekommene Patrick Drewes, steht nach kleinen Wacklern und unglücklichen Aktionen bereits in der Diskussion. Hinzu kommt, dass sein Herausforderer Timo Horn, lange Jahre Stammkraft beim 1. FC Köln, lange Zeit ohne Spielpraxis war. Und dass sich der stets ehrgeizige Riemann nicht mit einer Rückkehr ins Training zufriedengibt, sondern mehr will, dürfte klar sein.
Hecking stärkt Drewes den Rücken
„Das ist ein Thema, das ich geerbt habe. Diese Personalie ist so, dass der Verein die für ihn beste Lösung finden muss. Ich bin Angestellter des Vereins, und wenn es eine Lösung geben sollte, sowohl in die eine wie in die andere Richtung, dann werde ich das mittragen, das ist doch klar. Für alles andere ist es noch nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu sprechen“, sagte Neu-Trainer Dieter Hecking am Sonntag im STAHLWERK Doppelpass. Die Tür für Riemann, der einen Vereinswechsel und eine Abfindung stets abgelehnt hatte, scheint nicht ganz zugeschlagen. Andererseits weiß auch Hecking, wie schmal der Grat bei dieser Personalie ist.
Am Montag stellte er klar, dass Drewes erstmal weiter die Nummer eins bleibe. „Und daran gibt es im Moment erst mal nichts zu ändern, genauso wie Timo Horn die Nummer zwei ist.“ Er hielt sich aber ein Hintertürchen offen. „Was natürlich noch passieren kann, sind Verletzungen, Sperren oder dass Manu einfach besser ist als die beiden“, sagte Hecking, der noch einmal klarstellte: „Im Moment gibt es keinen Grund an dieser Ordnung etwas zu verändern.“
Neben Stammspielern wie Philipp Hofmann oder Losilla war es vor allem Riemann, der dem Verein in den vergangenen Jahren wieder Leben eingehaucht hat. Mit seinen sportlichen Qualitäten und mit seinen Emotionen. Diese haben der Mannschaft in unzähligen Spielen geholfen, sein ständiger Ärger über Fehler hat aber auch für viel Unsicherheit und Unzufriedenheit in der Mannschaft gesorgt. Und auch in Fankreisen ist das Thema Rückkehr alles andere als unumstritten. Es bleibt also spannend, wie Hecking nun mit Riemann umgehen wird. Klar ist: Neue Unruhe kann Hecking nach dem Lebenszeichen im Abstiegskampf gegen Bayer Leverkusen (1:1) nicht gebrauchen.