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“Hol dir deinen Pass und geh zu Sechzig!“

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“Hol dir deinen Pass und geh zu Sechzig!“

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Gerland verhinderte Müller-Transfer

Hermann Gerland genießt Kultstatus beim FC Bayern. In seinen 20 Jahren beim Rekordmeister arbeitete der „Tiger“ mit vielen Trainern zusammen, entdeckte Talente wie Thomas Müller. Im Exklusiv-Interview mit SPORT1 spricht der 70-Jährige über seine Zeit bei den Bayern und schwärmt von Trainer Vincent Kompany.
Jamal Musiala und Leroy Sané sorgten mit starken Auftritten für den 1:0-Erfolg in der Champions League gegen Benfica Lissabon. Bayern-Trainer Vincent Kompany findet für beide Spieler lobende Worte.
Hermann Gerland genießt Kultstatus beim FC Bayern. In seinen 20 Jahren beim Rekordmeister arbeitete der „Tiger“ mit vielen Trainern zusammen, entdeckte Talente wie Thomas Müller. Im Exklusiv-Interview mit SPORT1 spricht der 70-Jährige über seine Zeit bei den Bayern und schwärmt von Trainer Vincent Kompany.

Hermann Gerland ist nicht nur bei seinem Herzensverein VfL Bochum, sondern auch beim FC Bayern eine Kultfigur. Von 2001 bis 2021 war er an der Säbener Straße angestellt - als Trainer der Amateure und später als Co-Trainer der ersten Mannschaft. Er assistierte unter anderem Trainern wie Jupp Heynckes, Louis van Gaal, Carlo Ancelotti und Pep Guardiola.

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In der zweiten Mannschaft des FCB trainierte er einst den jungen Thomas Müller. Aktuell ist Gerland Co-Trainer der deutschen U21-Nationalmannschaft. Jetzt empfing der 70-Jährige SPORT1 bei sich zu Hause für ein Exklusiv-Interview über den FC Bayern, Vincent Kompany und Müller.

SPORT1: Herr Gerland, der FC Bayern hat zu alter Stärke zurückgefunden. Ist man wieder zu gut für die Liga?

Hermann Gerland: Die Situation sehe ich absolut positiv. Bayern hat die beste Mannschaft. Sie haben überragende Spieler und einen überragenden Trainer. Sie werden erfolgreich sein. Für mich ist der FC Bayern haushoher Favorit auf den Titel. Triple will ich nicht sagen, aber Meisterschaft und Pokal gehen nach München. Ich freue mich sehr, dass es so gut läuft.

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SPORT1: Was macht Vincent Kompany so überragend?

Gerland: Er hat Qualität, ganz einfach. Die Verantwortlichen haben sich bestimmt über ihn informiert. Er ist empathisch und hat einen Draht zur Mannschaft. Ähnliche Qualitäten hatte Hansi Flick. Kompany hat wirklich tolle Spieler und stellt sie gut ein. Er hält alle bei Laune, was wichtig ist. Er hat mit Pep Guardiola zusammengearbeitet und ist im fachlichen wie im menschlichen Bereich einfach stark. Kompany und Flick sind sich sehr ähnlich.

SPORT1: Als Sie Co-Trainer bei Bayern waren, sind Sie ihm mal begegnet, als Kompany noch Spieler beim HSV war.

Gerland: Die Hamburger waren damals chancenlos gegen uns (lacht). Das war eine richtige Packung für den HSV. Bei uns spielten Robben, Ribéry, Mandzukic, Gomez - also eine Top-Mannschaft. Später hat Kompany noch mit Didi Hamann bei Manchester City zusammengespielt. Was ich so mitbekomme, passt alles mit Kompany. Wenn ich die Stimmung sehe, dann ist alles sehr schön und lebendig. Ich konnte zuletzt mit Kompany sprechen, als wir mit der U21 dort waren. Auch in Barcelona hatte er ein paar Minuten für mich. Er ist ein sehr guter Typ. Es passt wirklich alles mit ihm, und ich bin sicher, Bayern wird mit Kompany Titel holen - mehrere Titel.

SPORT1: Wie waren die Gespräche mit Kompany?

Gerland: Total sympathisch. Ich mag ihn. Ich mache ja immer Aktionen für karitative Zwecke und lasse hier und da Trikots unterschreiben, die ich dann verschicke. Ich habe Kompany also gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn ich komme und er kurz unterschreibt. Da sagte er nur: „Du kannst immer kommen.“ Sehr, sehr nett.

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SPORT1: Haben Sie die Kritik an seinem offensiven Spielstil verstanden?

Gerland: Überhaupt nicht. Das ist totaler Blödsinn. Wenn Bayern nicht gewinnt, gibt es immer Aufregung. Dann ist es völlig normal, dass irgendein Zeug geschrieben wird. Daran muss sich Kompany noch gewöhnen. Er sollte sich davon bloß nicht beirren lassen. Ich habe das Spiel in Barcelona gesehen, das hätte Bayern auch gewinnen können. Ebenso gegen Leverkusen. Die Leverkusener haben einmal aufs Tor geschossen und wussten gar nicht, wohin sie laufen sollten. Bayern war absolut überlegen. Auch in den drei Spielen, in denen nicht gewonnen werden konnte, hat Bayern super gespielt. Wenn Bayern nicht offensiv spielt, wer soll dann in Deutschland offensiv spielen?

Geht Goretzka? „Das ist Leons Sache“

SPORT1: Was sagen Sie zur Situation von Leon Goretzka, wie Sie ein Bochumer Junge? Eberl sagte, man sei einfach nur offen und ehrlich mit ihm umgegangen.

Gerland: Leon hat absolut Qualität. Und wenn er diese abruft, ist er immer ein erstklassiger Spieler. Immer. Ähnliches gilt übrigens auch für Coman. Wenn er gesund ist, ist er ein Vollblutstürmer. Wenn ich 25 Top-Spieler habe, dann sind immer einige außen vor. Bei den vielen Spielen gibt es auch häufiger Verletzungen als früher. Kompany muss Top-Leute haben, weil alle gegen Bayern ihr bestes Spiel machen. Bayern München ist zum Erfolg verdammt.

SPORT1: Finden Sie es gut, dass Goretzka sich bei Bayern durchbeißen will?

Gerland: Das ist einzig und allein seine Entscheidung. Wenn er merkt, dass er keine Chance hat, kann er den Verein verlassen und woanders hingehen. Das ist Leons Sache. Und wenn er denkt, er ist weiterhin gut für Bayern, dann ist das auch okay. Er hat einen Vertrag, und Verträge werden eingehalten - leider nicht immer. Ich finde seine Einstellung toll. Auch seine Konkurrenten werden mal Schwächen zeigen. Dann muss Leon da sein.

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SPORT1: Wie sehen Sie Goretzka als Menschen?

Gerland: Leon ist ein feiner Junge, wie die anderen bei Bayern auch. Ich habe sie alle gern. Ich kenne die ganze Geschichte von Leon. Ich habe damals Jupp Heynckes empfohlen, ihn zu holen, noch bevor er von Bochum zu Schalke ging. Leon hat unglaubliche Fähigkeiten, nur muss er sie wieder regelmäßig zeigen. Und er liebt wie ich den VfL (lacht laut).

SPORT1: Thomas Müller ist das Gesicht des FC Bayern. Wie sehen Sie das?

Gerland: Da muss ich von vorne anfangen. Thomas war bei uns in der Jugend, war talentiert und immer gut drauf. Er hat immer viel gequatscht, wusste zu allem etwas zu sagen. Immer locker, lustig, und er hatte Spaß am Fußballspielen. Aber er hatte deutliche Schwächen in der Technik und in der Geschwindigkeit. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass Thomas 15 Jahre später der erfolgreichste Bayern-Spieler aller Zeiten sein würde, hätte ich mich in eine Klinik einweisen lassen. Keiner konnte erahnen, dass Thomas den Anforderungen eines jeden Trainers bei Bayern entsprechen würde. Von einer Sache hat er natürlich profitiert…

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SPORT1: Von was?

Gerland: Von Louis van Gaal, der für junge Spieler prädestiniert war. Nicht nur ich habe in Thomas etwas gesehen, sondern auch Jupp Heynckes, der ihn mit nach Leverkusen nehmen wollte. Da habe ich mein Veto eingelegt. Dann wollte Andreas Rettig Thomas nach Augsburg holen, und Rangnick wollte ihn nach Hoffenheim holen. Thomas war schon in Hoffenheim, aber als ich davon erfuhr, habe ich zu Uli (Hoeneß, d. Red.) gesagt: „Thomas bleibt hier!“ Da gab es einige Streitgespräche. Uli fragte mich, wie Thomas uns in der Champions League weiterbringen soll. Ich meinte nur: „Das kann ich nicht sagen, ich weiß nicht, wie der vor 70.000 Leuten funktioniert.“ Lange Rede, kurzer Sinn: Sein erstes Spiel in der Königsklasse war in Haifa und wir haben 3:0 gewonnen - zwei Tore von Thomas Müller.

SPORT1: Obwohl damals auch Luca Toni, Miro Klose und Mario Gomez im Kader waren.

Gerland: Genau. Die haben aber nicht gespielt, sondern Thomas. Das war schon verrückt, weil Gomez für viel Geld geholt wurde und das Eigengewächs Thomas Müller spielte. Er hat immer so gespielt, wie der nächste Trainer es wollte. Thomas ist insgesamt unvorstellbar. Er ist im Bus super, in der Kabine super, auf dem Trainingsplatz super und im Spiel super. Viermal super also! Thomas schiebt immer an und ist immer positiv. Wenn man ihn sieht, erkennt man, dass er Spaß am Spielen hat. Meine Schwiegermutter ist 92. Wenn sie Thomas spielen sieht, ist sie der größte Bayern-Fan und hat immer ein Trikot von ihm auf ihren Beinen liegen.

SPORT1: Seine Entwicklung verwundert, denn Müller war ja nie der filigrane Techniker.

Gerland: Thomas hat aber eine Technik, die fußballspezifisch gut ist. Er ist nicht brillant am Ball, aber er hat sich gewaltig verbessert. Im Anlaufen ist Thomas überragend. Er teilt das Feld und ist unglaublich laufstark. Er setzt alles, was er hat, ein, um zum Erfolg zu kommen. Das ist Thomas Müller.

SPORT1: Sie verbindet auch die Liebe zu Pferden.

Gerland: Richtig. Thomas hat eine Hengststation mit außergewöhnlichen Hengsten. Unter anderem heißen sie Erste Sahne, Feliciano, Bowmore, Van Gaal, D‘avie. Thomas Müller ist Erste Sahne.

SPORT1: Würden Sie Thomas Müller als Ihren Ziehsohn bezeichnen?

Gerland: Nein, das wäre übertrieben. Aber wir haben viel Spaß miteinander. Er hat zuletzt in Barcelona beim Bankett zu mir gesagt: „Tiger, was machst du denn hier? Du musst doch zu Hansi gehen, er hat doch gewonnen.“ Thomas hat immer einen Spruch drauf.

SPORT1: Können Sie sich noch an die Anfänge erinnern?

Gerland: Na klar. Ich habe damals ab und zu „Fräulein Müller“ zu ihm gesagt. Bei einem Spiel in Paderborn gab es ein Foul an Thomas, und er rollte und rollte und rollte. Da habe ich später zu ihm gesagt: „Thomas, da konntest du froh sein, dass die Tribüne da war, sonst wärst du in die Pader (Fluss in Paderborn, Anm. d. Red.) gerollt.“ Wenn man ihn heute sieht, denkt man, er bricht gleich zusammen. Aber er ist robuster geworden. Er hat schon von meinem harten Training profitiert, denn er war selten verletzt. So viele Spiele zu machen wie Thomas, ist außergewöhnlich. Und er spielt immer noch.

SPORT1: Haben Sie noch regelmäßig Kontakt?

Gerland: Nein, aber wenn irgendetwas mit Pferden ist, telefonieren wir. Oder wenn ich ein unterschriebenes Trikot brauche oder Karten für ein Spiel, zu dem ich mit meinen Enkeln hingehen möchte, dann kann ich mich auf Thomas verlassen. Er hat das Herz am rechten Fleck. Auf jedem Gebiet ist er top. Seine Karriere neigt sich dem Ende entgegen, und ich hoffe, dass er bei Bayern bleibt - egal in welcher Funktion.

„Er hat so viel Unglaubliches für den FC Bayern geleistet“

SPORT1: Hat Müller noch genug Power im Tank für ein weiteres Jahr?

Gerland: Das ist schwer zu sagen. Aber für jeden Spieler ist es schön, wenn er den richtigen Abschluss findet. Es wäre schade, wenn man sagen müsste: „Ach, Müller, langsam wird es Zeit.“ Da muss Thomas aufpassen. Er muss zur richtigen Zeit mit dem Verein sprechen, wie es weitergehen kann und was das Beste für ihn ist. Er hat so viel Unglaubliches für den FC Bayern geleistet, da wäre es fatal, wenn das letzte Jahr nicht gut verlaufen würde.

SPORT1: Können Sie sich überhaupt vorstellen, dass Müller noch woanders spielt? In Amerika zum Beispiel?

Gerland: Nein. Thomas in der MLS - das passt doch nicht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es einen besseren Klub gibt als den FC Bayern. Ich war 25 Jahre in diesem Verein, und das ist nun mal der beste Klub. Thomas profitierte auch davon, beim besten Verein zu spielen. Beim VfL Bochum hätte er nie so groß werden können. Entweder hört Thomas auf, oder er bleibt bei Bayern oder geht zum DFB. Fertig.

SPORT1: Lothar Matthäus meinte zuletzt, er könne sich Müller als CEO und Trainer vorstellen. Was denken Sie darüber?

Gerland: Ich halte den Lothar fachlich für sehr kompetent. Wenn er das sagt, ist das nicht verkehrt. Thomas muss erkennen, wann es an der Zeit ist, aufzuhören. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Thomas Trainer wird. Er weiß, wie schwierig das ist. Vielleicht hört Thomas auch ganz auf mit dem Fußball-Zirkus und möchte ein Leben auf dem Golfplatz und mit den Pferden genießen. Ich habe mit ihm nicht darüber gesprochen. Thomas war einer der schlauesten Spieler, die ich jemals hatte.

„Spieler die mir gefolgt sind, sind große Spieler geworden“

SPORT1: Im vergangenen Jahr hat der Journalist Alfred Draxler vorgeschlagen, Müller solle Spielertrainer werden - an Ihrer Seite.

Gerland (lacht): Darüber habe ich nicht eine Sekunde nachgedacht. Meine Zeit als Trainer ist abgelaufen. Ich bin jemand, der immer verlangt hat, dass die Basis stimmen muss. Wenn ich das heute sehe, denke ich mir: „Mein lieber Herr Gesangsverein!“ Sei froh, dass du mich vor 30 Jahren nicht nach Belastungssteuerung gefragt hast. Bei mir mussten die Spieler arbeiten. David Alaba hat alles gemacht, was ich gesagt habe. Neulich kam seine Mama in der Allianz Arena zu mir, gab mir ein Küsschen auf die Wange, bedankte sich noch einmal und sagte: „Ich liebe dich. Du hast meinen Jungen dahin gebracht, wo er heute ist.“ Spieler, die mir gefolgt sind, sind große Spieler geworden.

SPORT1: Hat Thomas Müller auch unter Ihnen gelitten?

Gerland: Oh ja, ich war sehr verbissen. Ich wollte immer mehr, als die Spieler bereit waren zu geben. Da gab es oft Reibungspunkte. Wenn es jemandem nicht passte, habe ich gesagt: „Hol dir deinen Spielerpass und geh zu Sechzig!“ Keiner ist gegangen. Aber mit Thomas war das eine Win-Win-Situation. Ich konnte ihm nie böse sein, weil er immer Leistung bringen wollte. Ich denke gerne an die gemeinsame Zeit zurück. Er ist ein großartiger Junge.