Victor Boniface hatte Zeit, nachzudenken. Richtig viel Zeit. In der 5. Minute zeigte der auffällig oft im Mittelpunkt stehende Schiedsrichter Felix Brych auf den Punkt und gab Elfmeter für Leverkusen. Doch bis die vehementen Proteste der Frankfurter verhallt waren, eine endlose VAR-Kontrolle stattgefunden hatte und der Nigerianer den Strafstoß tatsächlich ausführen durfte, drehte sich der Zeiger noch vier weitere Male. In der Zwischenzeit hatte er beschlossen, Kevin Trapp ein nettes Comeback-Geschenk zu machen.
Eine gefährliche Situation
Lässig lief der Torjäger an und schob den Ball flach nach halbrechts, genau in die Arme von Trapp, der mit dem kläglichen Schüsschen keinerlei Probleme hatte und den Versuch sogar festhielt. Die Höchststrafe für Boniface auf der einen Seite. Ein perfekter Start für den SGE-Kapitän auf der anderen Seite, der nach fünfwöchiger Verletzungspause wieder in den Kasten zurückgekehrt war und unter besonderer Beobachtung stand. Trapp befand sich daher früh auf dem Weg, einer der Matchwinner zu werden - bis zu diesem bitteren Patzer, quasi dem Retourenschein.
Trapp? „Ein bisschen unglücklich“
Denn in der 72. Minute revanchierte sich Trapp bei Boniface auf eine Art und Weise, auf die alle Frankfurter gerne verzichtet hätten. Eine abgefälschte Flanke von Florian Wirtz lenkte er unkonventionell mit dem Fuß statt mit den Händen ab. Dazu hätte auch Rasmus Kristensen eingreifen und wohl ohne Probleme bereinigen können. Der Torhüter erwischte die Kugel allerdings nicht richtig, so dass diese am langen Pfosten beim Bayer-Stürmer landete, der mühelos zum 2:1-Endstand einköpfte. Und schon war Trapp nicht mehr die strahlende, sondern die tragische Figur.
Warum der Rückkehrer in dieser Situation überhaupt rauskam, wusste Kristensen nicht: „Da muss man Kevin fragen. Ich war eigentlich bereit, den Ball zu klären. Ich habe gesehen, dass er auf den ersten Pfosten flanken wollte, aber Kevin kam mit dem Fuß genau vor mir raus. Ein bisschen unglücklich“, sagte der Däne in der Mixed Zone. Auch Trapp selbst reagierte später - sichtlich verärgert - auf das Gegentor und versuchte eine plausible Erklärung zu finden, weshalb er seine Hände nicht nutzen wollte.
„Es ist als Außenstehender immer schwer, das verstehe ich“, sagte Trapp. „Aber im Spiel gehen solche Dinge sehr schnell. Der Ball wird vorher kurz abgefälscht, ich versuche ihn mit dem Fuß zu klären. Dass er so hochgeht und hinten jemand steht, der nur einnicken muss, ist sehr unglücklich und sehr bitter. Wenn da keiner steht, ist alles in Ordnung und es redet keiner drüber.“ So aber reden viele darüber. Weil Trapp in Frankfurt längst nicht so unantastbar wie in früheren Jahren scheint. Und weil so mancher am Main eine Wachablösung fordert. Der Druck auf Trapp ist zweifelsohne gewachsen.
Frankfurt will Hierarchie nicht verändern
Schließlich zeigte Vertreter Kaua Santos, im vergangenen Jahr aus Rio de Janeiro nach Frankfurt gekommen, während Trapps Abstinenz ausgesprochen gute Leistungen. In Istanbul gegen Besiktas und beim Remis gegen den FC Bayern hielt der baumlange Kerl aus Brasilien grandios, Thomas Müller bezeichnete den Auftritt des 21-Jährigen hinterher als „überragend“. Damit meinte er wohl nicht nur Santos‘ Aktionen auf der Linie, sondern auch seine Präsenz bei Flanken und sein Spiel mit dem Ball am Fuß.
Dass Santos den mittlerweile 34 Jahre alten Platzhirsch Trapp eines Tages beerben soll, steht außer Frage. Bleibt nur offen, wann. Zuletzt verging in Frankfurt kaum mehr eine Pressekonferenz ohne die Frage, ob es nicht besser wäre, die etatmäßige Nummer zwei schon jetzt zur Nummer eins zwischen den Pfosten zu ernennen. Der Verein stellte sich dabei jedes Mal geschlossen hinter Trapp und wies alle Versuche, an der Hierarchie zu rütteln, entschieden zurück - egal ob in Person von Trainer Dino Toppmöller, Sportvorstand Markus Krösche oder Sportdirektor Timmo Hardung.
Trotzdem festigt sich so langsam der Eindruck: Für Trapp ist die aktuelle Situation nicht ungefährlich. Der Routinier befand sich bereits in der abgelaufenen Saison in einem Formtief und trat oft ungewohnt wacklig auf, im Spielaufbau schlichen sich dazu immer wieder Fehler ein. Bundestrainer Julian Nagelsmann nominierte ihn auch deshalb nicht für die Europameisterschaft im eigenen Land - worauf Trapp wiederum kämpferisch reagierte und unbedingt belegen wollte, dass er nach wie vor so gut wie früher ist.
Toppmöller ordnet Trapps Comeback ein
Und das schien ihm zunächst auch zu gelingen, er startete ordentlich in die neue Spielzeit. Dann aber kam die Verletzung zu einem denkbar bitteren Zeitpunkt. Es folgte eine fünfwöchige Woche Pause und nun die unglückliche Rückkehr in Leverkusen. Wenngleich zur Wahrheit gehört, dass Trapp abgesehen vom zweiten Gegentor einen hervorragenden Tag erwischt hatte. Vor der Pause parierte er neben dem Elfmeter eine weitere Großchance von Boniface. In der zweiten Halbzeit bewahrte er sein Team mehrfach vor einer höheren Niederlage.
„Er hat ein richtig gutes Comeback gefeiert“, urteilte Toppmöller deshalb, bevor er den letztlich entscheidenden Fehler einordnete: „Beim Tor entscheidet er sich einfach, so hinzugehen. Das ist eine Entscheidung von Sekundenbruchteilen. Es ist halt unglücklich, dass der Ball Boniface auf den Kopf fällt.“ Allzu viele solcher Dinge sollte Trapp in Zukunft aber nicht produzieren.