Der Frust war ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich muss schauen, dass ich jetzt nichts Falsches sage“, wollte Granit Xhaka sich zunächst noch selber maßregeln. Doch die Wut nach dem 2:2 von Bayer Leverkusen beim SV Werder Bremen war einfach zu groß. „Wir kriegen zu einfach Gegentore. Wir kriegen pro Spiel zwei Gegentore. Auf diesem Niveau kannst du so keine Spiele gewinnen“, polterte der Mittelfeldspieler. „Wenn du nach acht Spieltagen 15 Gegentore bekommst, reicht das nicht, um ganz oben mitzuspielen.“
Bayers verzweifelte Spurensuche
In der vergangenen Spielzeit kassierte Leverkusen 24 Gegentreffer – über die komplette Saison. Der 15. Gegentreffer ereignete sich damals erst am 22. Spieltag. Nun ist es bereits nach acht Spieltagen geschehen. „Wir können nicht zufrieden sein, wir haben zweimal eine Führung hergegeben. Es ist nicht das erste Mal, dass uns das in dieser Saison passiert. Es gibt einiges, was wir korrigieren müssen“, kritisierte Trainer Xabi Alonso.
Leverkusen hat nur eines der letzten vier Bundesligaspiele gewonnen. Zwischendurch ereignete sich am Mittwoch auch noch das enttäuschende 1:1 gegen Stade Brest in der Champions League. In der Bundesliga beträgt der Rückstand auf die Tabellenspitze bereits fünf Punkte.
„Wir müssen ehrlich zu uns sein. So wie es momentan läuft, müssen wir nicht nach oben schauen“, so Xhaka. „Wir müssen erst einmal zusehen, dass wir keine Gegentore kriegen, denn das war unsere Stärke in der letzten Saison.“
Xhaka-Aussagen lassen tief blicken
Doch wie ist es zu erklären, dass die große Stärke der vergangenen Saison plötzlich zu einer Schwachstelle geworden ist? Am Personal dürfte es eher nicht liegen. Die aus Jonathan Tah, Piero Hincapié und Edmond Tapsoba agierende Dreierkette spielte bereits in der vergangenen Spielzeit erfolgreich zusammen. Der Unterschied war aber: Die Mannschaft funktionierte als Defensivverbund besser.
„Diese Tore, die wir kriegen, sind eine Sache der Kommunikation“, lautete die Feststellung von Xhaka. „Wenn wir einfach mehr auf dem Platz miteinander reden und uns auch ein bisschen gegenseitig helfen – links, rechts, vorne, hinten – dann ist man auch ein bisschen näher an den Gegenspielern dran.“
Besonders auffällig wäre dies beim Ausgleichstreffer zum 2:2 gewesen, den der Bremer Romano Schmid aus der Distanz erzielte. „Klar, er trifft ihn auch sehr gut. Aber wenn du dem Gegenspieler drei Meter Abstand gibst, wird es natürlich auch schwierig“, sagte Xhaka zu der spielentscheidenden Szene. „Es geht um den letzten Biss im eigenen Sechszehner. Das ist unser zu Hause und da darf niemand rein. Aber momentan gehen da zu viele rein.“
Matthäus legt den Finger in die Wunde
Sky-Experte Lothar Matthäus sprach ebenfalls von einer negativen Entwicklung: „Leverkusen hat es im letzten Jahr besser gemacht. Da waren sie konsequenter, haben besser gestanden, sind das Risiko nicht eingegangen und haben bessere Lösungen gefunden.“
Alonso stellt sogar ein Mentalitätsproblem fest. „Wir müssen in der Bundesliga, der Champions League und im Pokal dieses Sacrifice (Opferbereitschaft, Anm. d. Red.) und diese Intensität zusammen haben“, sagte er. Fehlt es den Spielern, die in der vergangenen Spielzeit vom Erfolg verwöhnt waren, also an Opferbereitschaft? Alonso würde sich wünschen, dass seine Mannschaft immer die gleiche „Mentalität und Identität“ zeigt. Doch: „Wir sind zu unstabil. Und das ist unsere große Herausforderung.“
In der vergangenen Saison war Leverkusen die Mannschaft, die irgendwie immer gewann - und sei es durch einen Treffer in der letzten Minute. Nun sind sie die Mannschaft, die Siege spät noch herschenkt - im Bremen sogar in der letzten Minute.
Die Stimmung ist super - noch
Ähnlich bitter war der verschenkte Sieg Anfang Oktober, als Leverkusen gegen die sieglose Mannschaft von Holstein Kiel bereits nach acht Minuten mit 2:0 führte und schlussendlich 2:2 spielte. Bayer hat zwar keines der vergangenen sechs Bundesligaspiele verloren, aber eben auch nur drei davon gewonnen.
Völlig überraschend ist es allerdings nicht, dass nach einer Erfolgssaison auch schwierige Phasen kommen. Als SPORT1 Xhaka fragte, ob er insgeheim mit so etwas gerechnet hatte, antwortete er: „Auf jeden Fall. Es gehört im Fußball dazu, dass man auch einmal eine Phase hat, wo man Gegentore bekommt und wo man vielleicht auch ein bisschen Pech hat. Wenn der Ball von Flo (Wirtz, Anm. d. Red.) beim Stand von 2:1 nicht gegen den Pfosten, sondern ins Tor geht, dann ist das Spiel gegessen.“
Xhaka ist überzeugt davon, dass die Mannschaft mit der Situation umgehen kann: „Die Stimmung untereinander ist super. Diese Stimmung wird auch in so einer Phase uns nicht zerreißen oder kaputtgehen.“
Doch der Frust über die verschenkten Punkte ließ sich eben auch nicht so schnell abschütteln.