Oft genug haben sich die Bayern in den vergangenen Jahren über Dietmar „Didi“ Hamann geärgert, weil er als Experte von Sky kein Blatt vor den Mund nimmt - soeben hat ihn Sportvorstand Max Eberl deswegen mit einem „Tinnitus“ verglichen.
Eine Bayern-Panne mit fatalen Folgen
Aber auch, als der Vize-Weltmeister von 2002 noch das Bayern-Trikot trug, machte er ihnen mal gehörig Probleme. Unfreiwillig zwar und gewiss unverschuldet, doch ist Bayerns peinlichste Niederlage in Frankfurt, wohin der Rekordmeister am Sonntag wieder einmal reisen muss (ab 17:30 Uhr im LIVETICKER), eng mit seinem Namen verknüpft.
Sein Einsatz machte aus dem höchsten Münchner Sieg im Waldstadion eine Niederlage - die wohl peinlichste in der langen, leidvollen Geschichte des Duells. Frankfurt ist einer von drei aktuellen Bundesligastandorten, bei denen die Bayern eine negative Bilanz haben.
Als am Bayern-Sieg was faul war
Es war der 15. April 1995: Das Internet war noch nicht weit verbreitet und das Smartphone noch ferner - was an diesem Bundesliga-Samstag eine Rolle spielte.
Ein 2:5 leuchtete in Frankfurt von der Anzeigetafel und die meisten Eintracht-Fans gingen frustriert nach Hause, nichtsahnend, dass am Bayern-Sieg was faul war. Warum? Weil der Rekordmeister nicht ganz regelfest war oder, wie Spötter meinten, nicht bis Vier zählen konnte.
Dabei hatten sie schon Probleme genug. Im Frühjahr 1995 war der Titel auf Platz sechs schon in weite Ferne gerückt, es ging nur noch um einen Platz im UEFA-Cup. Mit Punkten in Frankfurt rechneten sie aufgrund all der Demütigungen in den Siebzigern und Achtzigern (19 Jahre kein Sieg, unter anderem ein 0:6 zu Beckenbauer-Zeiten und ein 1:5 in der Breitnigge-Ära) nie. Zumal sie diesmal große Personalsorgen hatten.
Nur zwölf Profis standen auf dem Spielbericht, auf dem Platz waren es nur neun. Torwart Oliver Kahn fehlte nach Kreuzbandriss, sein Vertreter Sven Scheuer war offiziell Amateur, ebenso wie der junge Innenverteidiger Sammy Kuffour. Sie spielten von Beginn an und nach 25 Minuten humpelte Thomas Helmer vom Platz. Ersetzt wurde er durch Marco Grimm, der dritte Vertreter der Amateur-Abteilung. Trotzdem führten die in Gelb/Grün spielenden Gäste zur Pause mit 3:2 - ein Ergebnis das dem Defensivpapst auf der Bayern-Bank, dem Italiener Giovanni Trapattoni, weder ähnlich sah noch schmeckte.
Bayerns Pressechef erkannte Unheil zu spät
Nun wollte er wenigstens den dünnen Vorsprung über die Zeit retten. Um 16.45 Uhr schickte er seine Reservisten zum Warmlaufen. Elf Minuten später entschied er sich dazu, Stürmer Marcel Witeczek aus dem Spiel zu nehmen. Die Offensiven, Alain Sutter und Michael Sternkopf, mussten wieder auf die Bank, es kam der letzte Defensive auf dem Spielberichtsbogen: Dietmar Hamann.
Den jedoch durfte er nicht mehr einsetzen, denn auch Hamann war noch Amateur - und mehr als drei waren nur nach vorheriger Sondergenehmigung erlaubt. In der Vorwoche hatten sie diese erwirkt, diesmal hatte kein Offizieller daran gedacht. Das fiel in den Bereich von Manager Uli Hoeneß, der sonst immer so weit voraus blickte.
Als erster erkannte Bayerns Pressechef Markus Hörwick das Unheil und eilte von der Tribüne nach unten. Doch die Wege sind weit im Waldstadion und Handys hatte noch fast niemand, schon gar nicht auf der Bank. Hörwick also kam zu spät unten an, um 16.57 Uhr wurde Hamann eingewechselt. Was noch die wenigsten wussten: Ab Minute 73 war das Spiel für die Bayern verloren. Der in diesem Jahr verstorbene Eintracht-Manager Bernd Hölzenbein merkte es eher als Kollege Hoeneß, mit dem er rund 20 Jahre zuvor Weltmeister geworden war. „Du, wie viel Amateure haben die Bayern denn auf dem Platz?“, fragte er einen Reporter und erhielt zur Antwort: „Vier und damit einer zu viel.“
„Das ist menschliches Versagen“
Das Spiel lief noch, da musste DFB-Pressechef Wolfgang Niersbach auf dem Weg zu seinem Auto schon Regelfragen beantworten, denn das Gerücht von Trapattonis Wechselfehler machte allmählich die Runde. Auf dem Platz hatte das Missgeschick noch keiner registriert, die Bayern schossen noch zwei Tore und jubelten nach dem Abpfiff von Schiedsrichter Eugen Strigel. Das 5:2 war der bis dato höchste Sieg, den sie je im Waldstadion eingefahren hatten - heute steht der Rekord bei 6:1, am 1. Spieltag 2022/23.
Komisch kam ihnen freilich vor, dass der von Hörwick informierte Hoeneß allen einen Maulkorb verhängte und sie in die Kabine winkte. Motto: Jetzt bloß keine unbedachten Interviews geben. Um 17.45 Uhr gab Trapattoni dann seinen Fehler zu und Hoeneß ließ ihn nicht im Regen stehen: „Das ist menschliches Versagen. Es ist auch meine Schuld und die von Klaus Augenthaler. Und peinlich ist es allemal.“ Augenthaler war damals Co-Trainer der Bayern und sollte ein Jahr später als Interimscoach noch einen drauf setzen, als er gegen Fortuna Düsseldorf vier Spieler einwechselte, drei waren bis zum Ausbruch von Corona nur erlaubt.
Bemerkenswerteste Episode der Trapattoni-Ära
Doch zurück zum Trapattoni-Gate: Da Eintracht Frankfurt sofort Protest einlegte, rollte das vorgeschriebene Prozedere ab. Der Fall landete vor dem Sportgericht und das musste nicht lange tagen: Der Einsatz eines nicht spielberechtigten Spielers führte nach dem Lizenzspielerstatut §25, Absatz 4 dazu dass „das Spiel für den Verein als verloren zu werten“ ist.
Bayern nahm sich zwar mit Reinhard Rauball einen renommierten Anwalt, doch auch der spätere BVB-Präsident konnte die Punkte nicht mehr retten. So wurde eine Woche später aus dem 5:2 ein 0:2 und bis zu seiner Wutrede im März 1998 war der Wechselfehler von Frankfurt die bemerkenswerteste Episode in der Trapattoni-Ära.
Für die Bayern war es nicht die letzte Blamage in Frankfurt: Man denke an das 1:5 im November 2019, als die Eintracht die Amtszeit von Niko Kovac, ihrem Ex-Coach, bei den Bayern beendete. Auch im vergangenen Dezember gab es für die Tuchel-Bayern ein solches Resultat. Wohl niemals aber machte sich der Rekordmeister lächerlicher als an dem Tag, als Uli Hoeneß nicht bis Vier zählen konnte.