Der Zittersieg (2:1) gegen St. Pauli war Wasser auf den Mühlen der Kritiker Emre Can. Der BVB-Kapitän leistete sich einige Male haarsträubende Ballverluste und ermöglichte dem Aufsteiger, in gefährliche Abschlusssituationen zu kommen.
„Das alte Problem von Emre Can“
Zwar hatte Can auch einige gute Tacklings und Ballgewinne, doch die Balance stimmte überhaupt nicht. Die Folge: In der 69. Spielminute wurde der 30-Jährige ausgewechselt und durch Felix Nmecha ersetzt.
„Das ist das alte Problem von Emre Can. Seit er in Dortmund ist, will er zu viel. Er will immer wieder Dinge machen, die er nicht so gut beherrscht, wie beispielsweise den kreativen Spielaufbau, und interpretiert seine Rolle ständig anders. Wenn er eine höhere Positionsdisziplin hätte, würde er der Mannschaft mehr helfen“, meint BVB-Reporter Oliver Müller.
Kritik an Emre Can gerechtfertigt?
Can und Kritik. Das geht seit seinem BVB-Wechsel vor über vier Jahren Hand in Hand. Immer wieder ploppt die Diskussion um den Mittelfeldspieler auf. Vor ein paar Wochen, vor der Königsklassen-Partie in Brügge, wehrte sich der EM-Fahrer und gab zu, dass er sich manchmal „ungerecht behandelt“ fühle.
Seit der Ernennung zum Kapitän im vergangenen Sommer sind die negativen Stimmen noch lauter und regelmäßiger zu hören. Für SPORT1-Reporter Manfred Sedlbauer kommt Can „oft zu schlecht weg. Einsatz und Leidenschaft stimmen nahezu immer bei ihm.“ Dennoch merkt auch der Insider an: „Seine spielerischen Defizite sind dennoch oftmals, wie gegen St. Pauli, deutlich sichtbar.“
Cans Schwachstelle: Das Spiel mit dem Ball. „Wenn er sich ausschließlich auf seine defensiven Aufgaben konzentriert und den kreativen Aufbau seinen Kollegen überlasst, die das besser können, wie beispielsweise Pascal Groß, macht er eine deutlich bessere Figur“, rät Sedlbauer.
Can mit Problemen im Spielaufbau
Genau hier liegt für die beiden Podcaster das Problem. Gegen starke Gegner, die viel Ballbesitz haben und Dortmund defensiv fordern, überzeugt Can häufig. Ganz anders dagegen ist es gegen defensiv stehende Gegner, gegen die der BVB und somit auch der Kapitän das Spiel machen müssen.
„Letztes Jahr im Halbfinale gegen Paris hat er ein Weltklasse-Spiel gemacht. Defensiv hat er da alles abgeräumt“, erinnert sich Müller.
Sedlbauer wirft die These in den Raum: „Demnach müsste Can gegen offensiv starke Gegner spielen, gegen schwächere pausieren.“
Sahin lässt Sabitzer zappeln und vertraut auf Can
Sahin vertraute in dieser Saison meist auf das Sechser-Duo Can und Groß. Auf den 33 Jahre alten Groß, so scheint es, will Sahin auf keinen Fall verzichten. „Groß ist der passsichere Stratege. Er ist derjenige, der das Auge für das Spiel hat“, unterstreicht Müller die Bedeutung des Nationalspielers.
Can kann auch deshalb an der Seite von Groß spielen, weil der BVB-Coach weiter an der Idee mit Marcel Sabitzer auf der ungeliebten, halbrechten Position festhält. Dabei war der Österreicher, der in der ÖFB-Elf oftmals im linken Mittelfeld überzeugt hatte, in der vergangenen Spielzeit auf der defensiven zentralen Position einer der besten Dortmunder.
Fakt ist: Im Spiel mit dem Ball ist Groß und Sabitzer deutlich besser als Can.
Cans Stärken liegen vielmehr in der Defensivarbeit und Balleroberung. Tacklings, aggressive Zweikampfführung und Mentalität zeichnen den Mittelfeldspieler aus. Doch er verstrickte sich zuletzt oft in Situationen, in denen er seine Qualitäten nicht einbringen konnte. „Ich habe das Gefühl, er tut sich immer noch schwer, seine Rolle als klassischer Abräumer zu akzeptieren“, so Sedlbauer.
Müller sieht im Dortmunder Mittelfeld ein „strukturelles Problem“, weil ein rein „defensiver Sechser“ fehlt und weist auf Edson Alvarez hin. Die Dortmund verzichteten im vorletzten Sommer auf eine Verpflichtung des Mexikaners. Vor allem Ex-BVB-Trainer Edin Terzic wollte damit Can den Rücken stärken.
Muss Sahin Can auf die Bank setzen?
Für welche Aufstellung entscheidet sich Sahin am Dienstag-Abend in der Neuauflage des Champions-League-Endspiels gegen Real Madrid (ab 21.00 Uhr im LIVETICKER)?
Gegen die erwartbar dominant auftretenden Königlichen hat Can, trotz aller Kritik, nach Einschätzung der beiden Podcaster wieder beste Karte für die erste Elf. „Can muss sich auf seine Stärken besinnen und einfach vor der Abwehr abräumen“, fordert Sedlbauer.
Und dennoch: Die Situation um den Kapitän bleibt verzwickt. Denn nach Madrid wartet mit dem FC Augsburg eine Pflichtaufgabe. Und spätestens dann muss sich Sahin wieder die Frage stellen: Wie lange kann ich noch an meinem Kapitän festhalten?