Freitagabend, das Flutlicht geht an, das alte Westfalenstadion kocht. Vor Erwartung, längst durch beinahe grenzenlose Zuversicht zu ersetzen.
Die letzte Freitagspleite des BVB
Für Fans von Borussia Dortmund gibt es kaum eine schönere Art, ins Wochenende zu starten. Denn wenn kein Wunder geschieht, kann ihr BVB nicht verlieren und meist gewinnt er natürlich sogar - allen Widrigkeiten zum Trotz.
Der FC St. Pauli ist an diesem Freitag die 39. Mannschaft, die gegen den Dortmunder Freitagsbonus anspielen muss. 20 Jahre und fast neun Monate ist es her, dass an jenem Wochentag mal eine Mannschaft in Dortmund gewann. Das war ausgerechnet der Lieblingsfeind aus Gelsenkirchen - und das nur dank einer gehörigen Portion Dusel.
Was geschah am 30. Januar 2004?
Ganz Deutschland blickte auf das Revierderby, denn nach sechswöchiger Winterpause war der Fußballhunger groß. Und zur Feier des Tages übertrug nicht nur Pay-TV-Sender Premiere live, sondern auch die ARD. Die beiden Rivalen hatten etwas gutzumachen, der BVB (Meister 2002) stand auf Platz sechs, Schalke (Vizemeister 2001) auf acht.
Der BVB stand damals kurz vor der Insolvenz
Zu wenig für die Ansprüche, die zumindest die Aussicht auf einen Champions-League-Platz vorsahen - den damals nur der Meister und der Zweite sicher bekamen, der Dritte musste in die Qualifikation. Die Ansprüche gab es auch weil man beiderseits so teure Mannschaften und namhafte Trainer hatte - Matthias Sammer und Jupp Heynckes.
Überhaupt, die Finanzen. In Dortmund tat sich in jenen Tagen ein Millionenloch auf, dessen ganze Dimension erst im Herbst erkennbar werden und den Verein an den Rand der Insolvenz drücken sollte. Aber schon damals war man zu Gehaltsreduzierungen und riskanten Darlehen gezwungen.
Vor dem Derby war auch viel von Serien die Rede. Schalke war zehn Spiele ungeschlagen gegen Borussia, deren junger Trainer, seit 2000 im Amt, hatte folglich noch nie einen Derbysieg gefeiert. Und diesmal?
Borussia musste auf Christoph Metzelder, Dede und Lars Ricken verzichten, Schalke schmerzte der Ausfall von Haudegen Tomasz Hajto, Nationalspieler Jörg Böhme und Stürmer Victor Agali (beim Afrika-Cup).
Warmuz ersetzt Weidenfeller im BVB-Tor
Sammer stellte mit dem Franzosen Guillaume Warmuz einen neuen Torwart auf, der 33-Jährige gab sein Bundesligadebüt, Roman Weidenfeller musste auf die Bank. Gesprochen aber wurde schon bald und noch weit nach Abpfiff über den Torhüter der Schalker.
Frank Rost verursachte in der 9. Minute einen Foulelfmeter an Torsten Frings und vollbrachte prompt die maximale Wiedergutmachung – er hielt ihn einfach. Jan Koller schoss flach in die Mitte, ein Prinzip, das oft gut geht – diesmal nicht. Rost parierte mit den Beinen.
Stöhnen auf den vollbesetzten Rängen, 83.000 passten damals ins Westfalen-Stadion. Sie sahen kein gutes Spiel, es hätte dieses frühe Tor dringend gebraucht. Stattdessen spielten Ideen- und Chancenarmut Doppelpass und die Keeper langweilten sich.
Für die nächste Aufregung sorgte Schiedsrichter Herbert Fandel, der BVB-Spielmacher und Kapitän Tomas Rosicky nach 43 Minuten mit Gelb-Rot vom Platz stellte. Die Karten gab es für eine Schwalbe und ein Foul. ARD-Reporter Reinhold Beckmann fand: „Das ist klar, so kann man nicht gegen einen Kobiashvili einsteigen und auch gegen keinen anderen.“
Sammer faucht Schiri Fandel an
Es gab naturgemäß andere Meinungen. Rosicky warf die Binde weg und auf dem Weg in die Kabinen fauchte Sammer Fandel an: „Denken Sie daran, dass es hier vielleicht um meinen Job und nicht um Ihren geht!“
Schalke nutzte die Unterzahl aber nicht aus, wie Heynckes auf der Pressekonferenz monierte: „Es hätte mehr kommen können.“ Als dann Innenverteidiger Thomas Kläsener per Handspiel einen Elfmeter verursachte (74.) und bei der Aktion auch vom Platz flog, schienen die Schalker Felle wegzuschwimmen.
Nun trat Nationalspieler Frings gegen Rost an - und scheiterte ebenfalls. Der Torwart ahnte die Ecke. Der Gästeblock hatte einen neuen Helden und die Bundesliga den zehnten Keeper, der in einem Spiel zwei Elfmeter hielt, was noch immer Rekord ist.
Beckmann kommentierte: „Von heute an ist Frank Rost ein richtiger Schalker. Wer zwei Elfmeter gegen die Schwarz-Gelben hält, ist ein Held.“ Es waren die beiden einzigen Bälle, die er in diesem Spiel halten musste, aber Elfmeter hält man ja rein statistisch nur in einem von vier Fällen.
Noch einen Helden des Tages gab es: Unmittelbar zuvor hatte Heynckes den Dänen Ebbe Sand eingewechselt, längst Kult auf Schalke, aber nur noch ein Schatten jenes Mannes, der 2001 Torschützenkönig wurde.
Seit dem 20. April 2002 (!) war er torlos geblieben, doch als er in Minute 89 nach Kobiashvilis Pass frei vor Warmuz auftauchte, lupfte er den Ball über die Linie. Freudenszenen auf der Gästebank, wo Manager Rudi Assauer Jupp Heynckes um den Hals fiel, pure Ekstase im weißblauen Block.
Dortmunds Super-Serie begann mit einem faden Remis
Schalke hat danach noch ein halbes Dutzend Mal in Dortmund gewonnen, aber nie mehr an einem Freitagabend – und auch sonst kein Verein. Übrigens war der BVB auch an sieben Freitagsspielen vor dem 0:1 gegen Schalke ungeschlagen.
Wie ging es weiter? In den Spielzeiten 2004 bis 2006 gab es keine Heimspiele am Freitag. Die 38er-Serie begann erst zweieinhalb Jahre später recht unspektakulär mit einem 2:2 gegen Hannover 96 und einem 1:1 gegen Bochum, der erste Sieg fiel in den Januar 2007, als unter Trainer Jürgen Röber die Bayern 3:2 geschlagen wurden.
Die Bilanz der Serie: 29 Siege, neun Unentschieden.
Zuletzt gab es vier Siege, die beiden in dieser Saison endeten jeweils 4:2 gegen Heidenheim und den VfL Bochum.
Häufigstes Freitagsopfer war übrigens Werder Bremen (vier Niederlagen). Am wackeligsten war die Serie 2019, als Aufsteiger SC Paderborn zur Pause schon 3:0 führte, am Ende aber verhalf der Freitagsbonus dem BVB noch zu einem 3:3. Und heute?