Die Fans am Bökelberg staunten nicht schlecht, als sie am 24. September 1994 ihre Nummer 10 auflaufen sahen - und nicht nur sie: Stefan Effenberg, der erst vor der Saison auf Leihbasis von der AC Florenz wieder zu Borussia Mönchengladbach zurückgekehrt war, hatte sich optisch auf ungewöhnliche Art und Weise verändert.
Eine Wette mit denkwürdigen Folgen
In seine gewohnt blonden, leicht wuscheligen Haare, war an seinem Hinterkopf etwas eingefärbt. Man musste gar nicht ganz genau hinschauen, um dort einen großen Tigerkopf zu erkennen.
Niemand im Stadion in Mönchengladbach hätte da wohl geahnt, dass diese Frisur einen Mythos erschaffen und dem heute 56-jährigen „Effe“ seinen zweiten berühmten Spitznamen einbringen sollte.
Mittelfinger-Skandal lag hinter „Effe“
Dabei hätte er das Spiel gegen den VfL Bochum an diesem Tag - heute vor genau 30 Jahren - fast verpasst. Schuld daran: der Tiger auf dem Hinterkopf. Was war passiert?
Effenberg hatte keine guten Monate hinter sich. Er hatte für den Skandal des Sommers gesorgt, den bis in die Gegenwart hinein viele mit ihm verbinden. Bei der WM in den USA, seiner ersten Weltmeisterschaft, hatte sich der gebürtige Hamburger zu einer folgenschweren Geste hinreißen lassen.
Nach dem zweiten Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft in Dallas gegen Südkorea zeigte er unzufriedenen Fans den Stinkefinger. Bundestrainer Berti Vogts zeigte sich empört und schmiss „Effe“ raus - mitten im laufenden Turnier.
Zum Start der Saison 1994/95 lief es dann auch nicht rund. Effenberg konnte in Gladbach noch nicht an seine guten Leistungen aus der Vergangenheit anknüpfen. Der Mittelfeldspieler hatte bereits zwischen 1987 und 1990 bei den „Fohlen“ gespielt, ehe er zum FC Bayern und dann zur AC Florenz wechselte. Im Sommer 1994 kehrte er - zunächst auf Leihbasis - zur Borussia zurück.
Effenberg verlor Wette gegen Gottschalk
Zu allem Überfluss hatte Effenberg in dieser Zeit auch noch Wettschulden, nachdem er ein Jahr zuvor auf den falschen Bundesligisten gesetzt hatte. Als „Effe“ im Herbst 1993 Gast in Thomas Gottschalks Late-Night-Show gewesen war, hatte er sich auf eine pikante Wette mit dem Showmaster eingelassen.
Sie drehte sich um die Frage: Wird Eintracht Frankfurt am Ende der Saison 1993/94 Deutscher Meister oder der FC Bayern München? Effenberg schwärmte noch Jahre später von der damaligen Frankfurter Elf „mit Tony Yeboah, Uwe Bein, Gaudino (Maurizio Gaudino, d. Red.). Die hatten ja eine spektakuläre Mannschaft“, erklärte Effenberg 2020 im SPORT1-Fantalk seine damaligen Gedanken. „Jupp Heynckes war damals Trainer in Frankfurt. Und die haben die Tabelle angeführt.“
Er habe sich schließlich auf Frankfurt festgelegt - Gottschalk auf die Bayern. Würde Effenberg verlieren, müsste er sich einen Tiger frisieren lassen, verlöre Gottschalk, müsste der seine Lockenpracht abrasieren.
Und so kam es, wie es für Effenberg kommen musste: Frankfurt hielt sich nicht an der Spitze und die Bayern gewannen unter Interimstrainer Franz Beckenbauer die Meisterschaft. „Somit habe ich die Wette verloren und mein Einsatz war, genau diese Frisur zu machen“, erinnerte sich Effenberg bei SPORT1.
„Effe“ lief gegen Bochum mit Tigerfrisur auf
Gottschalk engagierte im September 1994 einen Friseur, der Effenberg also zur Einlösung der Wettschulden verhelfen sollte. Der Friseur habe sechs Stunden gebraucht, erzählte der heutige SPORT1-Experte. Fortan prangte auf seinem Hinterkopf der Tiger, der sich so schnell auch nicht herauswaschen ließ und zumindest für ein paar Wochen Bestand hatte.
In diese Situation fiel das Bundesligaspiel der Borussia gegen den VfL Bochum. Nach seinen durchwachsenen Leistungen tauchte „Effe“ einige Tage vor der Partie mit der Tigerfrisur auf dem Trainingsgelände auf. Gladbachs damaliger Trainer Bernd Krauss soll die Aktion laut kicker gar nicht lustig gefunden haben. Er habe Effenberg suspendieren wollen, wenn er den Tigerkopf nicht bis zum Spieltag entfernen ließe.
Obwohl Effenberg nicht einlenkte, ließ Krauss ihn dennoch auflaufen - und „Effe“ zahlte es seinem Trainer mit einem denkwürdigen Spiel zurück. Mit dem 1:0 in der 16. Minute gab er den Startschuss für eine fulminante Partie, in der bei ihm endgültig der Knoten platzen sollte. Gladbachs Nummer 10 spielte beflügelt, bereitete ein weiteres Tor vor und setzte fünf Minuten vor Ende mit dem 7:1-Treffer den spektakulären Schlusspunkt.
Krauss konnte gar nicht anders, als seinem zurückgeholten Mittelfeld-Ass zu verzeihen. Und Effenberg? Seine außergewöhnliche Karriere war um ein verrücktes Kapitel reicher, das ihm deshalb schon bald den Spitznamen „Tiger“ einbringen sollte.
Der „Tiger“ war geboren
Zum Ende der Saison 1994/95 wurde die Borussia sogar Pokalsieger. Beim 3:0-Finalsieg über den VfL Wolfsburg erzielte „Effe“ den zweiten Treffer. Die Borussia holte ihn schließlich für umgerechnet 3,8 Millionen Euro auch wieder fest zu sich.
In Gladbach entwickelte sich Effenberg in den Folgejahren zum torgefährlichen Führungsspieler. Den Mittelfinger-Skandal ließ er bald hinter sich - und der „Tiger“ legte eine von Erfolgen gespickte Karriere hin. Dabei passte sein Spitzname auch noch perfekt zu seiner aggressiven Spielweise.
Effenberg gewann später mit dem FC Bayern unter anderem noch einmal den DFB-Pokal, wurde dreimal Deutscher Meister und krönte seine Karriere mit dem Champions-League-Titel 2001.