Michael Reschke war 35 Jahre lang für Bayer Leverkusen tätig - zunächst als Jugendtrainer, dann als Leiter der Nachwuchsabteilung und schließlich als Manager und Nachfolger von Reiner Calmund. 2014 wechselte er zum FC Bayern und bekleidete dort für drei Jahre den Posten des Technischen Direktors.
„Ausfall wiegt heftig bei Bayern“
Kaum jemand kennt die Klubs, die am Samstag im Bundesliga-Spitzenspiel (ab 18:30 Uhr im LIVETICKER) aufeinandertreffen, so gut. Im Vorfeld spricht Reschke im SPORT1-Interview unter anderem über seine Erwartungen an das Spiel, die Bedeutung von Jamal Musiala für die Bayern, Sportdirektor Max Eberl und Sportchef Christoph Freund sowie die Raúl-Gerüchte beim FC Schalke 04.
SPORT1: Herr Reschke, für Vincent Kompany ist das Duell mit Leverkusen der erste richtige Härtetest, nachdem seine Mannschaft zuletzt gegen schwächere Gegner groß aufgespielt hat. Funktioniert sein Ansatz auch in großen Spielen? Oder ändert er etwas an seiner Taktik und Aufstellung?
Reschke: Das Spiel gegen Leverkusen wird interessante Aufschlüsse über Kompanys Denken geben und hat in mehrerlei Hinsicht richtungsweisenden Charakter. Jetzt kommt der erste richtige Brocken: Wie reagiert Kompany darauf? Sehr interessant ist, was dies für die Aufstellung bedeutet. Vor der Saison hätten viele gesagt: ‚Das wird interessant, wer neben Palhinha spielt.‘ Aber diese Frage stellt sich aktuell nicht und ich sehe mich in meiner Einschätzung vor der Saison bestätigt. Denn die Frage lautet: ‚Wer spielt neben Kimmich?‘
Bayern? „Die Tor-Bilanz ist sehr beeindruckend“
SPORT1: … und das wird weiterhin Aleksandar Pavlovic sein? Oder könnte gegen einen offensiv gefährlichen Gegner wie Leverkusen mit Palhinha mehr defensive Stabilität gefragt sein?
Reschke: Ja, ich glaube das Pavlovic weiterhin an Joshuas Seite spielen wird. Aber genau das ist die Frage. Palhinha wäre ein Signal, dass Kompany gegen Spitzenmannschaften eine defensivere Ausrichtung wählt. Meiner Einschätzung nach, gerade weil es zuletzt sehr gut funktioniert hat und ich glaube, dass Kompany sehr offensiv denkt, wird er weiter auf Kimmich und Pavlovic setzen.
SPORT1: Wer entscheidet das Spiel letztlich für sich?
Reschke: Ganz ehrlich, ich habe überhaupt kein Gefühl. Wenn man die jüngsten Ergebnisse anschaut, spricht natürlich einiges für die Bayern - weil sie in den letzten Spielen einen absoluten Atom-Lauf hatten. Die Tor-Bilanz ist sehr beeindruckend. Bei einem guten Bayern München fand ich immer eine Sache herausragend: Sie konnten in jedem Angriff ein Tor erzielen – und dieses Gefühl ist im Moment wieder da. Dies ist natürlich eine außergewöhnliche Qualität.
Reschke zweifelt nicht an Leverkusens Qualität
SPORT1: Eigentlich war es Bayerns Defensive, die in der jüngeren Vergangenheit häufiger in der Kritik stand. In dieser Saison hat jedoch die Werkself schon neun Gegentore bekommen. Bayern hat dagegen bisher nur drei Gegentreffer kassiert. Welche Abwehrreihe hat derzeit die Nase vorn?
Reschke: Leverkusen ist noch einmal richtig wachgerüttelt worden und die Abwehr wird ihre grundsätzliche Qualität am Wochenende wieder zeigen. Da habe ich keine Zweifel. Im Gesamt-Vergleich – und nicht nur auf das Topspiel gesehen – finde ich Leverkusen hinten etwas stabiler, obwohl der Trend zuletzt in eine andere Richtung gezeigt hat.
SPORT1: Nicht mitwirken können wird Bayerns Josip Stanisic. Wie schwer wiegt sein Fehlen wegen seiner Knöchelverletzung? Und wie schätzen Sie seine Zukunft in München ein?
Reschke: Der Ausfall von Stanisic wiegt heftig bei den Bayern, überhaupt keine Frage, zumal sich mit Boey auch seine Kaderalternative bitter verletzt hat. Jetzt müssen halt Laimer, Guerreiro oder Goretzka ran. Stanisic war letztes Jahr in Leverkusen absolut zuverlässig und positionssicher. Zudem ist er immer wieder mit ganz außergewöhnlichen und spielentscheidenden Aktionen in der Offensive aufgefallen. Ich habe mich auch mal länger mit ihm unterhalten: Er ist auch noch ein richtig klasse Junge. Es war ein richtungsweisender und logischer Vertrauensbeweis von Max Eberl, nach seiner Verletzung keinen neuen Spieler zu verpflichten.
SPORT1: Ist Stanisic Bayerns Zukunft auf der Rechtsverteidiger-Position?
Reschke: Ja, auf jeden Fall. Er hat von seiner Ausleihe enorm profitiert und sich unter Alonso entscheidend weiterentwickelt. Er besitzt internationales Niveau und macht einfach Spaß. Und Typen wie er, die aus der Region stammen, sind auch richtig wichtig für eine Balance in der Mannschaft.
„Musiala ist für die Bundesliga ein strahlendes Geschenk“
SPORT1: Ein weiterer wichtiger Baustein für die Zukunft ist Jamal Musiala. Nun gab es laut Medienberichten ein erstes Treffen. Wie schätzen Sie die Lage um den 21-Jährigen ein?
Reschke: Bayern München ist über Jahrzehnte hinweg ein absoluter europäischer Spitzenklub, besitzt die entsprechende Aura und war in der Champions League oft genug ganz vorne mit dabei. Dazu besitzen die Bayern auch die wirtschaftliche Wucht, internationalen Vergleichsangeboten Paroli bieten zu können. Deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass es Bayern gelingen kann und hoffe es sehr. Ein Spieler wie Musiala ist für die Bundesliga ein strahlendes Geschenk. Es ist als Fußballfan ein Traum, dass wir diesen Zauberfuß Woche für Woche bewundern dürfen. Da kann man Max nur ‚Viel Glück‘ wünschen. Musiala wäre aus meiner Sicht auch gut beraten, in München zu bleiben. Die Bayern sind einfach ein geiler Klub und er kann in München ganz entscheidend dazu beitragen eine Ära zu prägen.
SPORT1: Bayern will die Gehaltsstruktur eigentlich verändern – und die Spitzengehälter künftig nach unten schrauben. Müssen die Verantwortlichen bei Musiala eine Ausnahme machen?
Reschke: Es steht mir nicht zu, seine Schwerpunkte zu beurteilen. Aber eins kann ich mit Sicherheit sagen: Musiala wird sich am Ende seiner Karriere - ob er in München bleibt, oder wechselt - nie, nie mehr wirtschaftliche Sorgen machen müssen. Ob du am Ende deiner Karriere 50 oder 90 oder noch mehr Millionen Euro auf dem Konto hast, ist für dein weiteres Leben völlig uninteressant.
SPORT1: Entscheidend ist dieses Thema auch für Sportvorstand Max Eberl und Sportdirektor Christoph Freund. Wie beurteilen Sie als Ex-Manager die Arbeit der Klub-Bosse bislang?
Reschke: Ich möchte nicht urteilen, allerdings einige Feststellungen tätigen. Die Trainer-Frage besaß große Bedeutung. Und da habe ich schon von Anfang an gesagt, dass der Moment, wann du einen Trainer verpflichtest, völlig sekundär ist. Entscheidend ist: Ist es der richtige? In diesem Bereich haben die beiden eine überraschende Lösung gezogen, weil Vincent Kompany in den öffentlichen Spekulationen nie eine Rolle gespielt hat. Aber es scheint offensichtlich, dass ihnen ein richtiger guter Griff gelungen ist. Zudem haben sie mit Michael Olise noch ein richtiges Sahne-Teilchen verpflichtet. Ansonsten wird viel davon abhängig sein, wie die Saison von der inneren Ruhe und Balance im Klub läuft. Im Moment darf man da sehr zuversichtlich sein.