Sechs Tore gegen Holstein Kiel, neun gegen Dinamo Zagreb und nun fünf gegen Werder Bremen: Der FC Bayern hat seine Gegner in dieser Woche förmlich aufgefressen. „Wir spielen auch nach dem dritten, vierten, fünften Tor noch nach vorne und wollen noch eins“, erklärte Stürmer Harry Kane den derzeit unstillbaren Torhunger bei Sky.
Frisst Bayern auch Leverkusen auf?
Die bayerische Tormaschine ist unter dem neuen Trainer Vincent Kompany aber mal so richtig ins Rollen gekommen. 20 Tore waren es allein in den vergangenen drei Spielen in der zurückliegenden Woche. Mit 16:3-Toren thront der Rekordmeister in der Bundesliga schon jetzt souverän an der Tabellenspitze.
Drei Auswärtssiege zum Auftakt einer Bundesligasaison gelangen den Bayern zuletzt 2015/16 unter Pep Guardiola. Dass auch die Art und Weise, wie die Bayern derzeit ihre Gegner dominieren an die erfolgreiche Zeit unter Kompanys Mentor erinnert, ist sicher kein Zufall.
„Die Bayern haben so intensiv gespielt, und unglaubliche Ballsicherheit gehabt“, sagte Werder-Geschäftsführer Clemens Fritz tags darauf im STAHLWERK Doppelpass. „Wenn die Bayern eine Top-Verfassung haben, ist es schwierig, etwas gegen sie zu holen.“
Bayern nimmt dem Gegner die Luft zum Atmen
Der Schlüssel des momentanen Erfolgs ist die hohe Intensität. Und die Bayern denken nicht daran, nachzulassen. „Das Team wird fitter und fitter“, formulierte Kane eher noch eine Drohung an die Konkurrenz. „Unser Ziel ist, Teams physisch dahinzubringen, wo sie nicht sein wollen.“
Die Statistik nach dem 5:0 in Bremen verzeichnete am Ende 25:0-Torschüsse - ein deutlicher Beleg, dass die Bayern ihrem Gegner kaum Luft zum Atmen ließen.
„Wir müssen echt auf ein neues FC Bayern schauen“, schwärmte SPORT1-Experte Stefan Effenberg am Sonntagmittag. „Sie pressen extrem hoch mit zwei Viererketten, das habe sie in der letzten Saison nicht gemacht, als sie sich oft ein bisschen haben fallen lassen. Du darfst dir gegen Bayern keinen Ballverlust leisten, das nutzt Bayern eiskalt aus.“
Das hohe Pressing, das Kompany seinem Team verordnet hat, funktioniert, weil das Team im Kollektiv harmoniert. „Wir unterstützen uns gegenseitig“, analysierte Sportvorstand Max Eberl. „In der Defensive macht jeder mit, wir setzen den Passgeber unter Druck. Das macht es dem Abwehrspieler und den Stürmern leichter, wenn sie den Ball in hohen Regionen gewinnen.“
Hohes Pressing hilft Bayerns Offensiv-Stars
Man habe Jungs, „die zocken wollen. Wenn du ständig hinterherläufst, verliert man irgendwann die Lust. Aber wir erobern die Bälle aktuell sehr, sehr hoch, sodass die Jungs Platz haben und ihre Qualität ausspielen können“, ergänzte Eberl.
Insbesondere der offensive Taktgeber Jamal Musiala und Doppeltorschütze Michael Olise sind hier zu nennen.
„Der Spieler, der zwei Tore gemacht hat, ist für seine Teamkollegen gelaufen“, sagte Kompany, der nur ungern einzelne Spieler herauspickt, lobend an Olise gerichtet - und in Richtung Kane schob er nach: „Der andere Spieler, der schon zehn Tore in dieser Saison erzielt hat, ist für sein Team gelaufen. Gnabry, Coman, Sané, all diese Jungs rennen für das Team.“
Bayern-Stars sind neuerdings Kilometerfresser
In der Tat ist die Laufleistung eine bemerkenswerte Veränderung im Vergleich zu den Vorjahren. Aktuell werden die Bayern im ligaweiten Vergleich der zurückgelegten Kilometer (474,8 km) nur von Aufsteiger St. Pauli (480,2 km) überboten. Dabei verzeichnen die Bayern ligaweit die höchste Ballbesitz-Quote (64 Prozent).
Zum Vergleich: Am Ende der Vorsaison war Bayern in puncto Laufleistung Letzter! Auch in den Jahren davor landeten die Bayern maximal auf einem soliden Top-10-Platz - man ließ eher den Gegner laufen, statt sich selbst die Lunge aus dem Leib zu rennen und Kilometer zu fressen.
„Das ist etwas Neues - und wie wir sehen, gelingt uns das“, sagte Musiala über den neuen Pressing-Stil. „Es werden noch schwere Spiele über die Saison kommen, wir nutzen jedes Spiel, um unsere Fitness aufzubauen und uns daran zu gewöhnen.“
Hält Bayern gegen Bayer am hohen Pressing fest?
Am kommenden Samstag wartet im Topspiel gegen Meister Bayer Leverkusen (18.30 Uhr im LIVETICKER) die ultimative Bewährungsprobe, ob diese intensive Spielweise auch gegen einen solchen Gegner funktioniert. Dass das hohe Pressing auch ein Risiko darstellt, hat die Anfangsphase der zweiten Hälfte gegen Dinamo Zagreb gezeigt, als die Bayern eiskalt ausgekontert wurden und um ein Haar einen Drei-Tore-Vorsprung komplett aus der Hand gaben.
Die Reaktion, die in einem fulminanten Offensivfeuerwerk mündete, ist allerdings genauso typisch für die Bayern zu Beginn dieser Saison.
Ob er auch gegen die spiel- und konterstarken Leverkusener auf das hohe Pressing setzen werde, wurde Kompany nach dem Sieg in Bremen auch noch gefragt. „Ich muss erst noch mal den Gegner analysieren. Es ging jetzt erstmal um die ersten vier Spiele. Ab morgen geht es nur um Leverkusen“, hielt sich der Bayern-Coach noch bedeckt.
Möglicherweise kommt Leverkusen gerade recht, denn die Bayer-Abwehr machte im bisherigen Saisonverlauf nicht den sichersten Eindruck. “Wir wollen nicht jedes Spiel drei Tore kassieren“, sagte Trainer Xabi Alonso, nachdem sein Team beim 4:3-Sieg gegen Wolfsburg mal wieder in der Nachspielzeit zugeschlagen hatte. „Normalerweise bekommt eine Mannschaft keine Punkte, wenn sie drei Tore kassiert.“ Das müsse man schnellstmöglich verbessern - doch gegen die Bayern dürfte das zu einer Herkulesaufgabe werden.
Dabei hatte Kompanys Vorgänger Thomas Tuchel beim letzten Duell überraschend auf eine Dreierkette umgestellt und sich beim 0:3-Debakel letztlich gehörig verzockt.
Dass sich die Bayern nun erneut allzu sehr am Gegner orientieren, ist indes nicht zu erwarten. „Wir sind Bayern München. Wir ändern unseren Stil nicht für andere Teams“, betonte Kane. „Es wird ein hartes Spiel. Aber wir müssen mit der gleichen Mentalität und dem gleichen Hunger ins Spiel gehen, wie wir es bislang in jedem Spiel getan haben.“
Satt scheinen die Bayern aber noch lange nicht.