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Dieses Tor veränderte die Bundesliga nachhaltig

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Dieses Tor veränderte die Bundesliga nachhaltig

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Das Tor, das keins war

Das Phantomtor im Spiel zwischen Bayer Leverkusen und der TSG Hoffenheim hat den deutschen Fußball nachhaltig geprägt. Am Wochenende treffen die beiden Vereine erneut aufeinander.
18. Oktober 2013: Stefan Kießlings Kopfball findet durch ein Loch im Netz den Weg ins Hoffenheimer Tor. Der Treffer zählt und wird zum zweiten Phantomtor der Bundesligageschichte.
Udo Muras
Udo Muras
Das Phantomtor im Spiel zwischen Bayer Leverkusen und der TSG Hoffenheim hat den deutschen Fußball nachhaltig geprägt. Am Wochenende treffen die beiden Vereine erneut aufeinander.

Es ist nicht gerade die Partie, auf die sich Traditionalisten des Fußballs freuen. Der von einem Milliardär alimentierte Dorfklub TSG Hoffenheim trifft am Samstag auf Werksklub Bayer Leverkusen (LIVETICKER), der jetzt allerdings als amtierender Meister ungekannte Strahlkraft entwickelt hat.

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Nach 35 Spielen endete die Serie ohne Niederlagen vor der Länderspielpause gegen Leipzig. Zwei Niederlagen in Folge sind in der Ära Xabi Alonso schier unvorstellbar, zuletzt geschehen im Februar 2023. Die Bilanz in Sinsheim, der Heimat der TSG Hoffenheim, ist auch ausgesprochen gut (10-3-3), kein Verein hat hier öfter gewonnen.

Ohne Torlinientechnik: Brych gibt Phantomtor

Wenn es auch nicht immer mit rechten Dingen zuging. Ein Rückblick auf einen schwarzen Freitag und auf ein Tor, das die Bundesliga veränderte.

Als Platzwart Klaus-Peter Sauer am Nachmittag des 18. Oktober 2013 die Tore aus den Katakomben der Rhein-Wirsol-Arena holt, ist die Fußballwelt noch in Ordnung. Routiniert baut er sie fünf Stunden vor Anpfiff eines denkwürdigen Bundesligaspiels auf und wirft auch einen letzten Blick auf die Netze.

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„Alles sah so akkurat wie immer aus“, sagt er am nächsten Tag in einem der eher seltenen Interviews seines Lebens. Wenn nun aber plötzlich der Platzwart ein Interview gibt, dann ist was faul in der Glitzerwelt des deutschen Fußballs. Oder kaputt – wie an jenem Freitagabend.

In einem der Netze klafft nämlich an der Außenseite ein kleines Loch und durch dieses flutscht in der 71. Spielminute der Ball. Der Kopfball von Leverkusens Stürmer Stefan Kießling kommt von draußen rein und bleibt drinnen liegen. Wie das geschehen ist, sieht zunächst keiner – geschweige denn, dass es jemand wahrhaben will.

Aber wieso jubeln die Leverkusener dann plötzlich? Schiedsrichter Felix Brych erlebt seine schwerste Stunde an der Pfeife, schlimmer noch als ausgerechnet an seinem Rekordtag im November 2023 in Frankfurt das Kreuzband reißen wird. Es ist der Moment, der der Technik eine weitere Schlacht gewinnen wird.

2013 gibt es noch keinen Videobeweis, nicht einmal die Torlinientechnologie, auch wenn immer mal wieder davon geredet wird. Das im Tennis schon 2001 entwickelte Hawk-eye (Falkenauge) lässt die Fifa seit 2012 testen, in der Premier League haben sie es zum Saisonstart 2013/14 eingeführt, aber an diesem Herbstabend von Sinsheim kann es noch keine Hilfe sein und das menschliche Auge ist so fehlbar wie eh und je.

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Nicht das erste Phantomtor der Bundesliga

Brych jedenfalls hat nichts Irreguläres gesehen, geht zur Befragung der Zeugen über und wird doch nicht schlauer „Die Reaktionen der Spieler waren eindeutig, es gab kein Kontra. Keiner, auch nicht Kießling, hat mir gesagt, dass es kein Tor war.“

Das Netz kontrolliert er nicht und gibt das Tor, gegen das sich kaum Widerstand rührt. Dann entdecken Hoffenheimer Reservespieler, die sich hinter dem Tor warmlaufen, das Loch, durch das Jahre später die Torkamera schlüpfen wird.

Nun ahnen alle im Stadion, was die TV-Zuschauer schon länger wissen: man ist Zeuge eines Phantomtors geworden.

Dortmunds Hans-Jürgen „Zange“ Wosab war 1965 (gegen Karlsruhe) der erste, der sich einen Treffer durch einen Schuss ins löchrige Außennetz erschlich, 1978 fiel so ein Tor in der 2. Liga in Neunkirchen und führte zur Wiederholung.

Leverkusens Arne-Larsen Ökland konnte das 1981 verhindern, er gab sein viertes Tor gegen die Bayern beim Stand von 3:0 sozusagen zurück – dafür erntete er den Handschlag des Schiedsrichters und allgemeinen Beifall.

1994 ließ der DFB dann mit einem Präzedenzurteil die Tatsachenentscheidung ins Wanken geraten und die Partie Bayern München – 1. FC Nürnberg wegen des berühmten Helmer-Tores wiederholen – und bekam prompt einen Anpfiff von der Fifa.

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Im Wissen darum erscheint Hoffenheims fristgerecht eingelegter Protest aussichtslos, wenn auch verständlich.

Bayer-Stürmer bekommt Hassnachrichten

Dabei kommt Bayer-Sportdirektor Rudi Völler der TSG noch entgegen und schlägt vor, das Spiel beim Stand von 0:1 fortzusetzen – für die letzten 19 Minuten. Das Sportgericht aber entscheidet am 29. Oktober regelkonform: keine Wiederholung. Richter Hans E. Lorenz: „Fragen Sie uns nicht, ob das Urteil uns unter sportlichen Gesichtspunkten gefällt. Unter rechtlichen Gesichtspunkten gibt es keine Alternative.“

Kießling, als sehr fairer Sportsmann bekannt, ist da schon zwei Wochen durch die Hölle gegangen.

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Die Nation hat einen neuen Buhmann. Noch im Stadion wird er mit Bierbechern beworfen. Wegen übelster Beschimpfungen lässt er seine Facebook-Seite schließen, ein halbes Jahr bekommt die Familie Polizeischutz.

Sogar die Hilfe seines Sportpsychologen nimmt er in Anspruch. Alles nur, weil er nicht zugegeben hat, was er sich doch gar nicht erklären konnte: „Ehrlich, ich habe es nicht gesehen. Erst als mir die Hoffenheimer das Loch gezeigt haben, wurde es mir klar. Es war eine Scheißsituation für mich. Natürlich gab es Momente, in denen ich diese Szene verflucht habe. Das Tor verfolgt mich bis heute“, sagt er noch 2018.

Eine Szene mit immerhin guten Folgen.

Phantomtor verhilft Torlinientechnik zum Durchbruch

Sein Phantomtor ist das letzte der Bundesligageschichte, denn die Szene wird der Torlinientechnik zum Durchbruch verhelfen. Schon einen Monat später feiert sie bei England-Deutschland in Wembley Länderspielpremiere, im Pokalfinale 2015 dann fällt der Startschuss in Deutschland.

Seit 2015/16 fällt in der Bundesliga kein Tor mehr, das keins war, denn der Schiedsrichter kommt ein Signal auf seine Uhr, wenn die vier bis sieben Spezialkameras den Weg des Balles erfasst haben. Kriegt er keines, gibt er auch kein Tor.

Das Verfahren ist weit zuverlässiger und daher auch beliebter als der 2017/18 eingeführte Videobeweis, aber nach der Sache mit dem Kießling-Tor war das Streben nach absoluter Wahrheit eben größer denn je im deutschen Fußball. Nur: die gibt es immer noch nicht.