Es gibt viele Fans, die wenig übrig haben für die TSG Hoffenheim. Weil es ein vor allem mit wirtschaftlichen Mitteln hochgefahrenes Fußball-Projekt ist und kein Verein mit großer Tradition, Strahlkraft und Anhängern im ganzen Land. Hoffenheim, so empfinden viele, ist unattraktiv. Als Klub, als Gegner.
Strömungen sind gefährlich
Nun sind sie in diesem Sommer aber doch in die Schlagzeilen gerutscht, ziemlich groß und überregional. Weil die TSG überraschend, aber mit Vollgas zum Chaosklub mutierte. Am wohl beschaulichsten Standort der Bundesliga tobten plötzlich Machtkämpfe auf verschiedenen Ebenen, alles gipfelte in der Freistellung von Geschäftsführer und Sportchef Alexander Rosen Ende Juli, mitten in der Saisonvorbereitung.
Über 50 Millionen Euro wurden dann noch, rein an Ablösen, in neue Spieler investiert, nur: Eine Struktur oder ein Konzept dazu gab es nicht mehr, zumindest war das nicht mehr zu erkennen.
Matarazzo-Rauswurf wäre größter Fehler
Was sportlich passierte, ist an der Tabelle abzulesen: Nach dem 3:4 gegen Bremen steht Hoffenheim nun tief unten drin, Platz 16, drei Punkte aus fünf Spielen. Dass die Mannschaft viel größeres Potenzial hat, sieht jeder Zuschauer. Doch ihr fehlt komplett die Sicherheit. Der kleinste Gegenwind haut sie aus der Spur.
Der branchenübliche Reflex ist klar und wird auch unter den aktuell und zum Teil vorübergehend verantwortlichen Entscheidern der TSG diskutiert. Aber genau dieser Trainerwechsel, also der Rausschmiss von Pellegrino Matarazzo, 46, wäre jetzt der größte Fehler!
Sie haben ihn und damit das sensible sportliche Gebilde, Mannschaft und Trainer stehen weiter eng beieinander in Hoffenheim, höchstpersönlich angeschossen. Nach der Freistellung von Rosen, der sich klar für eine Zukunft mit Matarazzo ausgesprochen hatte, erkundigte sich die TSG zum Beispiel bei Sandro Wagner, 36, dem Co-Trainer der Nationalmannschaft, ob er sich den Posten als Cheftrainer bei seinem Ex-Klub vorstellen könnte. Das wurde öffentlich. Auch mit Ex-Bayern-Profi Martin Demichelis, 43, wurden Gespräche geführt.
Hopp: Kein Vertrauen mehr in Matarazzo?
Matarazzo stärkte es nicht, auch brachte es keine Ruhe. Glaubt man Mitarbeitern, die am Trainingszentrum in Zuzenhausen jeden Tag eng an der Mannschaft sind, steht Mäzen Dietmar Hopp, 84, nicht mehr hinter dem Trainer und hatte große Probleme damit, dass Matarazzo in Erwägung zog und auch hinterlegt hatte, bei einem konkreten Angebot des US-Verbands deren Nationaltrainer werden zu wollen. Über den neuen Vereinspräsidenten, Sinsheims Ex-Oberbürgermeister Jörg Albrecht, übe Hopp nun starken Druck aus.
Die Strömungen bei der TSG Hoffenheim sind gefährlich. Der Fokus auf das Sportliche fällt der Mannschaft dementsprechend schwer. Von Matarazzo und seinen Ideen sind die Spieler überzeugt. Sein Plan gegen Bremen ging nahezu perfekt auf, bis zum Platzverweis von Verteidiger Nsoki (18. Minute) führte die TSG 3:0. Anschließend, in Unterzahl, brach vieles auseinander. Der Glaube an drei Punkte, so hatte es den Eindruck, war deutlich schneller weg als die Führung. Alles ist wackelig.
Neuer Trainer wäre neue, große Baustelle
Ein neuer Trainer wäre eine neue, große Baustelle. Matarazzo kennt die Mannschaft, sie folgt ihm, sie arbeiten in dieselbe Richtung. Und sie haben schon guten Fußball gespielt, in Phasen, in dieser Saison. Was sie da haben, abseits des Chaos, ist auf jeden Fall eine Basis.
Denen, die es mit Hoffenheim halten, wäre zu wünschen, dass die Verantwortlichen ihr sportliches Fundament nicht auch noch zerstören.