Zu den weitesten Auswärtsfahrten in der Geschichte der Bundesliga zählte der Trip, den Aufsteiger SSV Ulm 1846 heute vor 25 Jahren antreten musste.
Sein Ausraster wurde zum Raab-Kult
Knapp 800 Kilometer, bedeutete zehn Stunden Busfahrt nach Rostock. Dass ihnen auf der Rückfahrt in der Nacht vom 10. auf den 11. September 1999 der Gesprächsstoff nicht ausging, dafür hatten sie selbst gesorgt.
Die Schwaben hatten gleich in ihrem vierten Bundesligaspiel einen Rekord aufgestellt, an den sich bis heute keiner herangetraut hat. Vier Spieler flogen vom Platz, außerdem landeten Trainer und Manager auf der Tribüne.
Das turbulente Duell erlangte zudem landesweite Berühmtheit durch einen Ausraster, der jahrelang bei Stefan Raabs TV-Comedyshow rauf und runterlief.
Was war geschehen?
Sieben Ulmer gegen die Niederlage
Für die Ulmer, die man „die Spatzen“ nennt, war Schiedsrichter Herbert Fandel der Buhmann. Er stellte Stürmer Hans van der Haar (44./Gelb-Rot), Libero Uwe Grauer (60./ Gelb-Rot) und Sturm-Joker Evans Wise (77.) vom Platz und doch war die Partie nicht entschieden.
Hansa führte nur 1:0. Nach 80 Minuten die Sensation: mit acht gegen Elf kam Ulm durch einen 25-Meter-Freistoß von Janusz Gora zum Ausgleich. Als erste Mannschaft der Geschichte, die drei Spieler weniger hatte, hätte sie einen Punkt holen können. Da glückte Viktor Agali noch das 2:1 für den schwachen Gastgeber. Damit nicht genug: In den letzten Sekunden holte Verteidiger Janos Radoki einen Rostocker von den Beinen und sah auch noch Rot. Nun war es vorbei mit jeglicher Ulmer Zurückhaltung.
Trainer Martin Andermatt, ein sonst so bedächtiger Schweizer, der seit Minute 77 auf der Tribüne saß, befand höchstens die Notbremse von Radoki für rotwürdig, alle anderen Karten seien „unberechtigt“ gewesen, fand der Nachfolger des Ulmer Aufstiegs-Architekten Ralf Rangnick.
Torschütze Gora war ebenfalls außer sich und wurde auf dem Weg in die Kabine unfreiwillig zum Fernsehkult, als er den markerschütternden Wutschrei „Skandal!“ in die Kameras rief (“Gibt‘s doch nicht, in der ersten Liga, solche Schiedsrichter“). Dann schubste er einen unschuldigen Hansa-Ordner.
Mit vier Platzverweisen noch gut bedient
Die Kleinen fühlten sich benachteiligt, so was hatte es ja schließlich nie gegeben. Der Rekord stand bei drei Platzverweisen, gehalten von Kaiserslautern, Dynamo Dresden, dem KSC und Bayer Leverkusen. Mit Betrachten der Fernsehbilder, die auch im Ulmer Bus liefen, wurden die Spatzen dann immer einsilbiger. Sie zeigten Notbremsen und grobe Foulspiele und sogar noch eine übersehene Tätlichkeit von Joachim Stadler gegen Viktor Agali. Es hätten also auch fünf Rote werden können gegen die Ulmer, denen der Kicker attestierte: „Ihr Kampfgeist imponierte, wurde mit jedem Platzverweis größer, doch ihr nervliches Kostüm passt nicht für die Bundesliga.“
Am Morgen danach wollten sie deeskalieren, auch angesichts der Sportgerichtsverhandlungen gestand Manager Erich Steer nun kleinlaut: „Alle vier Karten konnte man geben.“ So sah es auch das Gericht, das Fandel folgte „Ich denke, alle Platzverweis waren korrekt.“ Die beiden Sünder, die glatt Rot sahen, wurden eine bis drei Wochen gesperrt.
Der Skandal, den der heute 61 Jahre alte, spätere Ulm-Coach Gora zu sehen glaubte, war letztlich keiner.