Erst bediente Victor Boniface bei einem Konter Bayer-Neuzugang Martin Terrier, der sein erstes Bundesligator erzielte. Dann ließ er Hoffenheims Verteidiger Alexander Prass mit einer Schussfinte ins Leere rutschen und schoss den Ball humorlos zum 2:0 ins kurze Eck. Ein Treffer, den er im zweiten Durchgang beim 4:1 spiegelverkehrt quasi noch einmal wiederholte. Der Leidtragende diesmal: Pavel Kaderabek, der den Nigerianer nicht halten konnte.
Diese Worte sind eine Drohung
Die Frage, wer sich beim Leverkusener Sieg im Kraichgau „Man of the Match“ nennen darf, stellte sich nach zwei Toren und einer Vorlage gar nicht, so sehr hob sich Boniface am Samstag von seinen Mitspielern ab. Einziger Wermutstropfen für ihn: Seine herausragende Leistung wurde im Nachhinein weit weniger gewürdigt, als sie es verdient hätte. Das lag aber vor allem an ihm selbst und seinem außergewöhnlichen, kuriosen Torjubel.
Nach beiden Treffern zog Boniface seine Hose ein paar Zentimeter herunter und tanzte in seiner weißen Radlerhose an der Seitenlinie - eine etwas irritierende Art, seine Glücksgefühle auszudrücken, die es so in 61 Jahren Bundesliga wohl noch nicht gegeben hat. „Ich wollte niemanden provozieren“, stellte der 23-Jährige am Sky-Mikrofon daraufhin klar. Vielmehr sei dies ein Tiktok-Trend in Nigeria. Dem bekannten Influencer, der den Tanz erfunden hat, habe er versprochen, ihn nach einem Tor aufzuführen.
Boniface? „Er hat einen großen Einfluss“
„Ich wollte es schon in den ersten beiden Spielen machen, aber ich habe nicht getroffen. Als ich heute getroffen hatte, wusste ich: Es ist Zeit, es zu tun“, erklärte Boniface. „Ich bin sehr glücklich, denn in den letzten Spielen hatte ich keine Tore und keine Assists. Ich brauchte das wirklich, um mich zu pushen.“ Ein Blick in die sozialen Medien genügte allerdings, um zu erkennen, dass sein Jubel dort mehr als nur ein kleiner Nebenaspekt war: Einige fanden ihn extrem provokant, andere sehr unangemessen. Wieder andere konnten die Empörung gar nicht nachvollziehen.
Dazu gehörte auch Trainer Xabi Alonso. Der versuchte jedenfalls, sich nicht allzu lange mit den kuriosen Freudentänzen seines Torjägers aufzuhalten. „Ich habe es nicht gesehen, ich habe gerade keine Meinung dazu“, behauptete der Spanier. Wohl auch ganz bewusst, um den Fokus gleich auf Boniface‘ Kernkompetenzen zu lenken: „Die zweite Hälfte der vergangenen Saison war nicht einfach für ihn. Wir sind jetzt in einer anderen Saison und wir erwarten das Beste von ihm. Er hat einen großen Einfluss auf unser Spiel.“
Zur Erinnerung: Boniface, der bereits im Supercup gegen Stuttgart wegen einer obszönen Geste negativ aufgefallen war, verletzte sich Anfang Januar bei einem Test des nigerianischen Nationalteams schwer am Oberschenkel und fiel bis April aus. Langsam kämpfte er sich zurück, fand aber bis zur Sommerpause nicht mehr zu seiner Bestform. War er in den ersten Monaten in Leverkusen noch eine leibhaftige Naturgewalt, die mit Spielstärke, Raffinesse und Kraft die Massen begeisterte, hatte er durch die lange Pause einiges an Explosivität verloren.
Boniface ist wieder on fire
Doch der Angreifer erkannte seine körperlichen Baustellen, arbeitete intensiv an einer Art Transformation und deutete schon während der Vorbereitung an: Der „alte“ Boniface ist endlich zurück und wieder richtig on fire - was sich in Hoffenheim nicht allein an seinen Toren zeigte. Gegen eine hoch attackierende TSG agierte er immer wieder als eleganter und stabiler, kaum zu stoppender Ankerspieler, der die Kugel entweder im Mittelfeld absicherte oder mit flinken Bewegungen klug in die Tiefe weiterleitete.
Bemerkenswert: Trotz dieser Tatsache und seiner drei Scorerpunkte, die eigentlich kaum Angriffsfläche für Kritik bieten, kratzte Boniface nicht am Optimum, wie Teamkollege Granit Xhaka anmerkte. „Wir wissen ja, wie wichtig Boni für uns ist. Man sieht, dass er hungrig ist, die Bälle wieder hält, wieder in den Rhythmus kommt“, sagte der Schweizer und schob hinterher: „Er ist noch jung. Er weiß, was er gut gemacht hat heute, aber insgesamt muss er vier Tore machen. Dann sind wir ein bisschen glücklicher.“
Weshalb sich Boniface noch steigern kann
Übertrieben? Keineswegs - im Gegenteil. Vielleicht wählte Xhaka mit seinen Worten sogar noch eine Untertreibung, was auf die Konkurrenz wie eine Drohung wirken muss. Denn Boniface hatte tatsächlich Möglichkeiten auf gut und gerne fünf Tore. Einen seiner Kopfbälle wischte Hoffenheims Keeper Oliver Baumann gerade noch von der Linie, auch bei einem Eins-gegen-Eins-Duell kurz vor der Pause behielt der deutsche Nationalspieler die Oberhand. In der zweiten Halbzeit köpfte Boniface noch einen Ball aus bester Position über die Latte. Vollständig abgeschlossen ist sein Prozess also nicht - auf dem richtigen Weg scheint sich Boniface aber offenbar zu befinden.
Und langweilig, so sieht es aus, wird es mit ihm sowieso nicht. Weder durch seine markanten Szenen auf dem Rasen noch durch seinen kreativen Torjubel. Wobei ja bekanntlich gilt: Über guten Geschmack lässt sich nicht streiten. Umso aufmerksamer dürfte man zuschauen, wenn Boniface das nächste Mal trifft - vielleicht schon am Donnerstag beim Champions-League-Auftakt gegen Feyernoord Rotterdam (18.45 Uhr im LIVETICKER).