In Abwesenheit von Schalke 04 fällt das Revierderby der Bundesliga diese Saison wieder mal aus. Das brisanteste Spiel der Liga, das keinen kalt lässt, ob er im Ruhrpott wohnt oder nicht.
Als der BVB in sich zusammenfiel
Dank des VfL Bochum gibt es seit drei Jahren immerhin wieder ein „kleines Revierderby“, heute Abend steigt es in Dortmund bereits zum 67. Mal in der Bundesliga (ab 20.30 Uhr im LIVETICKER).
Die Bochumer dürften sich nicht gekränkt fühlen ob der Bezeichnung, sie kennen ihre Rolle im Revier, auch wenn sie gerade mal die Nummer zwei sind. Es gab aber auch Zeiten, da stand die Revier-Hackordnung auf dem Kopf und der BVB schaute zu den Bochumern auf.
Ein historisches Spiel im Ruhrstadion
Am 14. September 1985 mussten die Dortmunder ins Ruhrstadion und Klaus Fischer, der Ex-Schalker in Bochumer Diensten, gab die Parole aus: „Es geht hier um die Vormachtstellung des Fußballs im Ruhrgebiets.“
Die war vor fast 40 Jahren nämlich keineswegs in Stein gemeißelt. Schalke hatte zwei Abstiege (1981 und 1983) hinter sich, der BVB einen 1985 knapp vermieden und nach dem sechsten Spieltag standen die beiden Großvereine des Reviers schon wieder unten drin: Schalke auf Rang 15, die Borussia noch sieglos auf der 17.
Die Bochumer waren da, wo sie immer waren seit dem Aufstieg 1971: im grauen Mittelfeld (12.) - und strickten weiter am Mythos von den Unabsteigbaren.
Der BVB gerät unter die Räder
In Dortmund war reichlich Dampf auf dem Kessel, der neue Trainer Pal Csernai, mit Bayern zweimal Meister geworden, hatte sich mit Superstar Marcel Raducanu überworfen.
Dann lief der Rumäne doch auf, „der ungarische Trainer hat sich dem Druck von außen wohl beugen müssen“, hieß es damals in der ARD. Aber die Rückkehr von Ex-Nationalspieler Rolf Rüssmann, auf die alle gehofft hatten, zerschlug sich kurz vor dem Derby nach Streitigkeiten um seine spätere Zukunft im Verein.
So musste Csernai auch in Bochum wieder auf eine relativ unerfahrene Abwehr bauen, der junge Michael Zorc (23) gab den Libero, obwohl er eigentlich ein Mittelfeldspieler war.
Im Kicker unkte Reporter Harald Landefeld noch, es bestehe „die Gefahr eines Spiels nach taktischen Gesichtspunkten“. Die war recht schnell gebannt: Obwohl der torgefährlichste Mann auf dem Platz schon nach 16 Minuten verletzt ausfiel (Klaus Fischer), gab es ein Torfestival in Bochum. Vor 22.000 Zuschauern, für damalige Verhältnisse eine passable Kulisse, fertigte die Elf von Rolf Schafstall die Borussia so hoch wie nie ab – mit 6:1.
Uwe Wegmann leitete das Schützenfest schon nach sechs Minuten mit einem Schuss von der Strafraumgrenze ein, aber Wolfgang Schüler glich freistehend aus drei Metern alsbald aus (16.) und nährte die Hoffnung auf ein spannendes Derby.
Hrubesch wird eingewechselt
VfL-Spielmacher Thomas Kempe stellte die Weichen nach 33 Minuten per Kopf wieder auf Sieg Bochum, aber zur Pause stand der noch lange nicht fest (2:1). Schließlich hatte der VfL nach 43 Minuten sein Auswechselkontingent schon erschöpft, als auch Heinz Knüwe vom Platz humpelte. Zwei Wechsel waren nur erlaubt, es durfte nichts mehr passieren.
Die Borussia wechselte in der Pause auch, Verteidiger Dirk Hupe musste raus. Für ihn kam der legendäre Horst Hrubesch, der natürlich in den Sturm ging. Der junge Günter Kutowski wurde in die Abwehr zurückbeordert und diese brach nun wie ein Kartenhaus zusammen. Gegen die diesmal ganz in Weiß gekleideten Bochumer erlebte die Borussia ihr blaues Wunder.
Stefan Kuntz drosch den Ball aus spitzem Winkel unter die Latte (50.) und „nach der verletzungsbedingten Auswechslung des fleißigen Schülers brachen alle Dämme“, las man am Montag im Kicker.
Frank Benatelli (73.) per Abstauber und noch zweimal Kuntz (75., 77.) schenkten Borussen-Torwart Eike Immel binnen fünf Minuten drei Tore ein und alle in Schwarz-Gelb waren froh, dass es die Bochumer dann gut sein ließen.
„Wenn ich ehrlich bin, tat mir die Borussia beim 1:6 ein bisschen leid“, gestand Bochums Keeper Wolfgang Kleff.
„Starker Tobak“: Frust entlädt sich in Dortmund
Auch Jupp Tenhagen, Ex-Borusse, war nicht todunglücklich drüber, dass sein Kopfball nach 80 Minuten nicht reinging und stellte fest: „6:1, das ist schon starker Tobak!“ Das fand auch der deprimierte Zorc: „Die Sache ist doch ganz einfach, man darf hier einfach nicht 6:1 verlieren.“
Mann des Tages war natürlich Streifenpolizist Stefan Kuntz, der noch einen Zweitberuf hatte, was sich nach diesen Leistungen bald erledigen sollte, und neben drei Toren noch einen Assist zu Kempes Tor sammelte.
Kuntz sagte gelassen: „Ich spiele jetzt im dritten Jahr Bundesliga. Da wird es Zeit, dass ich langsam meine Leistung stabilisiere.“ Vier Wochen später schoss er alle drei Tore zum 3:0 über die Bayern und am Saisonende wurde er mit 22 Treffern als erster Bochumer überhaupt Torschützenkönig.
Zur Teilnahme an der WM in Mexiko fehlte ihm nur die Bayern-Lobby, Teamchef Franz Beckenbauer nahm lieber Dieter Hoeneß mit. War das Revierderby für den VfL die Initialzündung für eine gute Saison, bedeutete es das Gegenteil für den BVB. Nach dem Spiel waren alle niedergeschlagen und gelobten Besserung, Uli Bittcher war gar den Tränen nahe und Csernais Standpauke war durch die Kabinenwände zu hören.
Es wurde trotzdem eine Horrorsaison, deren Ende er nicht mehr im Amt erlebte. Auch das nächste Revierderby im November auf Schalke verlor der BVB mit 1:6 und letztlich musste er in die Relegation, die er erst im dritten Spiel gegen Fortuna Köln dramatisch für sich entschied.
Relegation spielte in diesem Sommer der VfL Bochum, der heute als Außenseiter nach Dortmund reist - zum kleinen Revierderby, das zuweilen Großes hervorbringt. Auf der Webseite des VfL Bochum ist jedenfalls noch ein Clip vom größten Derby-Sieg vor 39 Jahren zu finden.