Michael Reschke hat sich über 40 Jahre lang einen exzellenten Ruf in der Fußballbranche erarbeitet. Er war bei Bayer Leverkusen, dem FC Bayern, dem VfB Stuttgart und Schalke 04 in führenden Positionen tätig. Seit März 2021 ist Reschke „Head of International“ bei der Agentur CAA Stellar.
„Heftige Diskussionen“ bei Bayern
Mit SPORT1 traf sich der 67-Jährige jetzt zum Exklusiv-Interview. In Teil 1 geht es unter anderem um den FC Bayern, Joshua Kimmich, Thomas Müller - und natürlich Uli Hoeneß.
Kompany bei Bayern? „Total interessant und spannend“
SPORT1: Herr Reschke, wie sehen Sie Bayerns Trainer-Lösung mit Vincent Kompany?
Reschke: Die Kompany-Verpflichtung ist total interessant und spannend. Aus Belgien und England habe ich sehr viel Positives über ihn gehört. Ich finde es ganz wichtig, dass die Bayern einen Trainer verpflichtet haben, der ein hohes Maß an Selbstbewusstsein besitzt. Um diese Ansammlung von Top-Spielern, von denen jeder ein spezielles Ego besitzt, zu führen, musst du als Trainer extrem selbstbewusst sein. Dies ist bei Kompany ausgeprägt. Ob die Entscheidung für ihn richtig oder falsch ist, wird der Verlauf der Saison zeigen. Ich bin überzeugt, dass Eberl, Freund und Co. gewissenhaft eine logisch schlüssige Wahl getroffen haben.
SPORT1: Er war aber nicht die Wunschlösung.
Reschke: Entscheidend ist nur, ob es gemeinsam funktioniert. Ob Kompany der fünfte oder sechste Kandidat war, ist völlig egal. Die Entscheidung birgt echte Chancen und besitzt den Hauch von etwas Besonderem. Lassen wir uns einfach überraschen…
SPORT1: Neuzugang Ito kam vom VfB Stuttgart und hat sich verletzt. Muss der FC Bayern jetzt noch einen Spieler holen?
Reschke: Die Bayern müssen nach den bisherigen Investitionen aus wirtschaftlicher und sportlicher Sicht zur Zeit wohl eher verkaufen. Das hat Uli Hoeneß ja auch ganz klar gefordert. Ein zu großer Kader birgt immer Gefahren. Konkurrenzkampf ist wichtig, aber zu viel davon gefährdet eine erfolgversprechende Balance im Kader. Das wird eine echte Herausforderung für die Bayern-Verantwortlichen, zumal natürlich auch die wirtschaftliche Situation eine große Rolle spielt und derzeit stehen die Ausgaben und Einnahmen in einem ungünstigen Verhältnis. Da kann man schon froh sein, dass durch geschickte Transfererlöse bei Zirkzee und Tillmann, aus der Zeit von Salihamidzic und Neppe, rund 30 Millionen in die Kasse gewandert sind.
Reschke: „Die Bayern müssen Spieler verkaufen“
SPORT1: Ist es eine gefährliche Herausforderung?
Reschke: Die Bayern müssen Spieler verkaufen, da es ein Überangebot und ungesunden Konkurrenzkampf auf verschiedenen Positionen geben könnten. Wenn man davon ausgeht, dass Palhinha als Sechser gesetzt ist und natürlich auch Musiala im Mittelfeld zur Stammelf zählt, dann hat man auf der Acht aktuell mit Kimmich, Pavlovic, Goretzka und Laimer gleich vier hochkarätige Stammplatz-Anwärter für eine Position. Da ist es sportlich und wirtschaftlich notwendig, dass ein oder vielleicht sogar zwei Spieler transferiert werden. Aber Eberl und Freund sind erfahrene Manager und werden da noch einiges lösen.
SPORT1: Verkauft man de Ligt nach der Ito-Verletzung lieber nicht?
Reschke: Ich weiß nicht, wie lange Ito ausfällt und wie sich die Tah-Geschichte zwischen Bayer 04 und Bayern entwickelt. Mein Gefühl sagt mir, dass es da nicht zum Transfer kommt. Die entscheidende Frage ist, ob und wenn ja, welches Angebot für de Ligt vorliegt. Angeblich gibt es Interesse von ManUnited, sowohl für de Ligt als auch für Mazraoui. Wenn da attraktive Transferlösungen gibt, wäre dies wirtschaftlich sicher ein Riesenschritt für die Bayern.
SPORT1: Muss Alphonso Davies jetzt bleiben?
Reschke: Ich finde Davies einfach klasse. Dass so ein junger Kerl nicht immer konstant auf Top-Niveau spielt und auch einmal schwächere Phasen hat, ist normal. Auch hier ist die entscheidende Frage: Liegt ein werthaltiges Angebot vor? Wenn nicht, werden die Bayern sicher alles versuchen, seinen Vertrag zu verlängern.
Gnabry und Goretzka verkaufen? Reschke warnt
SPORT1: Serge Gnabry und Leon Goretzka können den Verein verlassen. Können Sie das nachvollziehen?
Reschke: Auch hier gelten Angebot und Nachfrage. Beide haben schon international ihre Klasse bewiesen und sind zudem richtig gute Typen. Zwei starke Charaktere, beide deutsch und man muss die Champions-League-Meldeliste im Blick behalten. Wenn die Bayern deutsche Leistungsträger verkaufen, dann bekommen sie später richtig Probleme für die Meldeliste der Königsklasse. Eine gewisse Anzahl von Local-Playern ist extrem wichtig. Wenn Bayern zwei, drei gestandene deutsche Spieler verkauft, kann es eng werden.
SPORT1: Gibt es für die beiden überhaupt einen Markt?
Reschke: Ich glaube nicht, das Serge Gnabry die Bayern verlassen will. Ich schätze ihn sehr und war ja damals entscheidend an seinem Transfer beteiligt. Er hat im übrigen nur sieben Millionen Euro Ablöse gekostet und sich definitiv bezahlt gemacht. Um überhaupt an einen Transfer zu denken, müsste für Serge schon etwas ganz Spannendes kommen. Der Markt für Gnabry und Goretzka wird grundsätzlich überschaubar sein, da nur wenige Vereine für die Beiden interessant sind. Nur internationale Spitzenklubs könnten infrage kommen. In Deutschland gibt es beispielsweise keine Alternative für die Beiden, da ihr Anspruchsdenken und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von keinem Klub erfüllt werden können.
SPORT1: Max Eberl spricht von einem brutalen Konkurrenzkampf und machte eine Ansage an Goretzka. Er ist längst nicht mehr gesetzt. Wie konnte es bei Goretzka so weit kommen?
Reschke: Konkurrenzkampf ist bei Spitzenklubs völlig normal, und Leon wird sich dem sicher stellen. Falls er Ende August spürt, dass es schwer wird, auf sinnvolle Spielzeit zu kommen, könnte ich mir vorstellen, dass er Transferbereitschaft erkennen lässt. Aktuell dürfte das für ihn eher kein Thema sein.
SPORT1: Kingsley Coman soll auch ein Verkaufskandidat sein. Sie haben ihn einst geholt.
Reschke: Ein sehr spezieller Transfer damals. Ich bin nach wie vor absolut überzeugt von King. Vor seinem Transfer gab es mächtige Diskussionen mit Uli Hoeneß. Bei Juventus hat er damals ja kaum gespielt. Wir mussten dann sieben Millionen Euro Leihgebühr für zwei Jahre bezahlen und besaßen danach eine Kaufoption von 21 Millionen Euro. Hoeneß hat mich zuerst für verrückt erklärt. Die Außenpositionen waren Robben, Ribéry und Costa hochkarätig besetzt, aber es gab halt immer wieder Verletzungsprobleme und Pep Guardiola wollte logischerweise noch einen schnellen Außen dazu haben. Wir haben schließlich Pep, Matthias Sammer, Rummenigge und schlussendlich auch Hoeneß überzeugt. Ich kannte King schon aus dem PSG-Nachwuchs und war total von Ihm überzeugt. Er ist nicht nur ein toller Spieler, sondern auch ein sehr guter Typ für die Kabine. Coman hat sich für den FC Bayern doppelt und dreifach bezahlt gemacht und am Ende war es dann ja auch Hoeneß, der sich für den finalen Transfer starkgemacht hat.
Reschke: „Hoeneẞ hat kein Geheimnis ausgeplaudert“
SPORT1: Uli Hoeneß hat zuletzt die Ansage gemacht, dass erst zwei bis drei namhafte Spieler verkauft werden müssen. Macht so eine öffentliche Ansage überhaupt Sinn? Macht er damit nicht die Preise kaputt?
Reschke: Uli Hoeneß hat nur formuliert, was eh jeder in der Szene weiß. Es ist einfach bekannt, dass die Bayern Spieler verkaufen müssen. Internationale Topvereine, die sich mit Spielern dieser Klasse beschäftigen, kennen den Markt. Hoeneß hat da kein Geheimnis ausgeplaudert.
SPORT1: Schadet Hoeneß dem Klub von außen aber nicht mit solchen Aussagen?
Reschke: Identität spielt in Vereinen eine ganz bedeutsame Rolle. Und wer verkörpert diese Identität mehr als Uli Hoeneß bei den Bayern? Dass er eine besondere Betrachtungsweise hat, ist allgemein bekannt. Der FC Bayern ist sein Lebenswerk und er nimmt sich das Recht so zu reden wie er denkt, auch wenn das nicht immer jedem passt. Für mich war es etwas ganz Besonderes, dass ich mit Uli und Rummenigge zusammenzuarbeiten durfte. Wir lesen doch alle die Interviews von Hoeneß sehr gerne und haben alle Spaß an den farbenfrohen Bildern, die er verbal malt.
SPORT1: Selbst ein Fantreffen wie kürzlich in Seligenporten wird durch seine Aussagen zu einem Spektakel. Muss das sein?
Reschke: (lacht) Das hat dem FC Bayern noch nie geschadet. Uli Hoeneß hat seinem Klub immer eine ganz besondere Note verpasst. Eine spezielle Art von Folklore, die diesen Klub mitprägt. Der FC Bayern ist ein wichtiges sportliches Aushängeschild in und für Deutschland. Dazu haben die Aussagen von Hoeneß ganz entscheidend beigetragen. Der macht einfach sein Ding und sagt, was er will.
Reschke: „Ich habe Hoeneẞ immer bewundert“
SPORT1: Wie war das damals, als Sie mit ihm zusammengearbeitet haben?
Reschke: Ich habe Uli Hoeneß immer bewundert. Wie er den FCB geprägt hat, ist einzigartig in der Klublandschaft. Zu meiner Zeit in München war es dann nicht nur Hoeneß, sondern das Duo Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge. Diese Beiden in allen Facetten zu erleben, auch in heftigen Diskussionen, war sehr fordernd und belebend. Es war eine Wahnsinns-Zeit bei Bayern, im positivsten aller Sinne. Und Uli Hoeneß ist einfach ein außergewöhnlicher Mensch und das Poltergeisthafte ist doch nur eine Facette. Es ist bewundernswert, wie vielen Menschen er in schwierigen Phasen ihres Lebens entscheidend geholfen hat. Das ist sicher das Faszinierendste an Uli Hoeneß.
SPORT1: Gab es mal eine Anekdote aus der Zeit mit Hoeneß?
Reschke: Viele. Wir hatten ein Vorbereitungsspiel mit Bayern II gegen den 1. FC Heidenheim, damals noch Viertligist. Holger Sanwald (FCH-Boss, d. Red.) erzählte mir vor dem Spiel: „Es wäre ein für mich Traum, wenn ich Uli Hoeneß einmal kennenlernen dürfte.“ Ich habe das Uli dann berichtet und er hat sofort gesagt: „Klar, gerne, er soll herkommen.“ Es war herrlich zu sehen, wie Hoeneß Sanwald mit seiner Menschlichkeit und seiner Erzählkunst eingefangen hat. Sanwald ist vor Stolz fast geplatzt und wir haben jüngst noch einmal von diesem Treffen gesprochen.
Kimmich? „Die Bayern sollten seinen Vertrag verlängern“
SPORT1: Über Joshua Kimmich wurde seit seiner Corona-Geschichte immer wieder diskutiert. Wie sehen Sie die Akte Kimmich?
Reschke: 2015 hat Bayern 9,5 Millionen Euro Ablöse für Kimmich bezahlt. Das war sicher einer der Top-Transfers, der vergangenen 15 Jahre. Jo hat sicher Phasen gehabt, in denen er nicht auf seinem Top-Niveau gespielt hat, aber selbst dann ist er zumindest ein sehr guter Bundesligaspieler und sowieso immer ein absoluter Mentalitätsspieler. Dass Kimmich teilweise in sachlich falscher Form kritisiert wurde, ist für mich völlig unverständlich. Allerdings habe ich ihn nie so klar als Sechser gesehen, wie er sich selbst, sondern ganz klar auf der Acht. Da ist er ein internationaler Topspieler, weil er seine außergewöhnliche Qualität für den entscheidenden Pass viel besser ausspielen kann, als auf der Sechs. Bei der EM war er auch als Rechtsverteidiger wieder stark. Wir sollten in Deutschland froh sein, auf einen solch charakterstarken, leistungsbewussten und starken Spieler bauen zu können.
SPORT1; Paris Saint-Germain soll angeblich Interesse an Kimmich haben. Was sagen Sie dazu?
Reschke: Das ist verständlich, denn er bereichert jedes Team mit seiner Mentalität und Klasse. Meiner Meinung nach sollten die Bayern dringend seine Position im Team stärken und seinen Vertrag verlängern.
SPORT1: Ist Josip Stanišić eine der Entdeckungen der vergangenen Saison? Jetzt spielt er wieder für den FC Bayern.
Reschke: Stanišić ist ein klasse Junge. Ich habe ihn in der letzten Saison einige Male im Bayer-Dress gesehen und auch mal länger mit ihm gesprochen. Josip ist richtig guter Bundesligaspieler und ein ganz wichtiger Eckpfeiler für die Bayern. Mit der Leihe zu Bayer hat Dieter (Berater Dieter Hoeneß, d. Red.) einen richtig guten Job für seinen Jungen gemacht.
SPORT1: Thomas Müller hat seine Karriere in der Nationalmannschaft für beendet erklärt. Wird es auch das letzte Jahr als Spieler beim FC Bayern?
Reschke: Es hat in Deutschland eine außergewöhnliche Abschiedstour gegeben, nämlich die von Rudi Völler, nachdem er damals erklärte: „Das wird meine letzte Saison.“ Rudi wurde dann in jedem Stadion extrem respektvoll verabschiedet und gefeiert. Dies ist nur möglich, wenn du ein ganz besonderer Nationalspieler und Typ gewesen bist, also so wie Rudi und eben auch Thomas, der aber sein Karriereende zur neuen Saison noch nicht erklärt hat. Wenn er dies machen würde, würde er auch eine Abschiedstour à la Völler erleben. Ich glaube, Thomas wird die nächste Saison für sich genießen und dann für sich einen Kassensturz machen wird. Keinen wirtschaftlichen, aber einen emotionalen. Vermutlich hat er sich noch nicht entschieden, ob es das letzte Karriere-Jahr sein wird. Wenn er geht, wird er der Bundesliga fehlen, weil er ein einzigartiger Typ ist. So schlagfertig, witzig, oftmals ironisch und auch mal tiefgründig wie Thomas, kannst du nur sein, wenn du hochintelligent und empathisch bist. Extrem spannend, was er nach seiner Karriere machen wird.