Ein Kirmespokal? Verspottet als Wettbewerb ohne sportliche Relevanz, dem ständig der Charakter eines besseren Testspiels nachgesagt wird? Und dazu eine Partie, der die normale Stimmung fehlt, weil die aktiven Fanszenen beider Klubs fernbleiben? Von wegen. Der Supercup, den Bayer Leverkusen im Elfmeterschießen gegen den Vizemeister aus Stuttgart gewann, kann auch ganz anders.
Das neue Bayern gegen Dortmund?
Nämlich aufregend, laut und vor allem hitzig sein - selbst nach dem Schlusspfiff, wie eine Szene bewies. Da ging VfB-Trainer Sebastian Hoeneß mit erhobenem Zeigefinger auf Florian Wirtz zu und redete sichtlich wütend auf den Nationalspieler ein. Dieser gab seinerseits auch Konter, weshalb beide Streithähne voneinander getrennt werden mussten. Jonathan Tah und Granit Xhaka kümmerten sich um Hoeneß, Josha Vagnoman hielt Wirtz zurück. Überall wurde gerangelt und diskutiert.
An die große Glocke wollte Hoeneß den Vorfall nicht hängen. „Es ging um eine Situation, nachdem das Spiel entschieden war. Damit hat Flo nichts zu tun. Es ging um einen anderen Spieler, der dachte, uns das Gefühl geben zu müssen, dass wir verloren haben und sich über uns lächerlich gemacht hat“, stellte der 42-Jährige hinterher klar und meinte wohl eine abfällige Geste von Victor Boniface: „Da hatten wir verschiedene Meinungen. Das ist aber bereinigt.“ Und trotzdem dürften etliche Beobachter durchaus verwundert gewesen sein, wie viel Feuer dieses Duell beinhaltete.
Die beachtliche Bilanz des Supercups: viele Nickligkeiten, zahlreiche Rudelbildungen, die quasi logischen Reaktionen der Fans, elf Gelbe Karten und der frühe Platzverweis gegen Martin Terrier. „Wenn man gesehen hat, wie laut es auf den Rängen war und wie viel Leidenschaft die Mannschaften an den Tag gelegt haben, zeigt das, welch hohen Stellenwert diese Partie doch hatte“, sagte Bayer-Sportdirektor Simon Rolfes. Hoch her ging es vor allem in der zweiten Halbzeit, beide Teams bewegten sich ab und zu gar am Rande des Erlaubten - nicht zuletzt durch Terriers Rote Karte angestachelt.
„Emotionen gehören in gewissem Maß dazu“
Jene Hinausstellung brachte eine zuvor ausgeglichene Partie plötzlich auf die schiefe Bahn. Xhaka und Anthony Rouault kamen sich in der 60. Minute in die Haare, zehn Minuten später sorgten Edmond Tapsoba und Ermedin Demirović für Krawall, ehe kurz vor Ende der Spielzeit auch bei Jeff Chabot und Jeremie Frimpong die Emotionen beiderseits deftig hochkochten. Auf den Rängen taten die Fans ihr Übriges, jedes noch so kleine Foul wurde angefochten. „Ohne Stuttgart wär‘ hier gar nix los“, hallte es dazu aus dem Gästeblock. Leverkusens Anhang reagierte: „Ohne Bayer wärt‘ ihr gar nicht hier.“
Ein Grund: Schiedsrichter Tobias Stieler verlor seine Linie, zog den Zorn beider Seiten auf sich und trug einiges zur Aufregung bei. „Du merkst von Anfang an, dass es um was geht. Dann bauen sich solche Szenen immer weiter auf, Rudelbildungen helfen dann auch nicht weiter und es werden Gelbe Karten umhergeworfen. Teilweise kamen die etwas zu schnell“, betonte Robert Andrich hinterher und erklärte seine Sicht: „Emotionen gehören in gewissem Maß dazu. Manchmal war es ein Tick zu viel. Und wenn ich das sage, heißt das schon was. Es geht aber halt um einen Pokal.“
Neue Rivalität zwischen Bayer und dem VfB?
Für Demirović schien die Sache hingegen weniger schnell gegessen zu sein, so sehr ging ihm sein Scharmützel mit Tapsoba auf die Nerven. „Er hat die Hand die ganze Zeit an meinem Hals. Ich glaube, wenn wir nicht auf dem Fußballplatz sind, dann geht das anders aus hier“, sagte der Stürmer, sowas gehöre sich im Sport nicht. „Seine Hand hat nichts in meinem Gesicht oder an meinem Hals zu suchen. Aber wenn der Schiedsrichter da nichts sagt, ist es okay.“ Bahnt sich da eine neue Rivalität an? Es wirkt fast so.
Denn vermutlich war es nicht allein die Aussicht auf eine Trophäe, die alle Akteure dermaßen befeuerte, sondern auch die Frage nach der Vormachtstellung in Deutschland. Zum vierten Mal in Folge avancierte dieses Duell zu einem wahren Spektakel, bei dem es auf absolutem Top-Niveau hin und her ging. Man wird den Eindruck nicht los: Das, was lange Jahre der FC Bayern München gegen Borussia Dortmund war, ist in diesen Monaten eher Leverkusen gegen Stuttgart.
Zur Erinnerung: Dreimal stand der schwäbische Vizemeister in der letzten Saison dicht davor, das erste deutsche Team seit dem 34. Spieltag der Saison 2022/23 zu sein, das Bayer besiegt. Dreimal wendete die Werkself das Blatt aber noch - weshalb Andrich leicht provokant meinte: „Jetzt hat Stuttgart ein Trauma von uns.“ Wohl nicht völlig falsch. Während der Pokal-Übergabe im Anschluss wollten die VfB-Spieler sogar den Platz verlassen und wurden nur vom eigenen Pressesprecher davon abgehalten.
„Es f***t mich richtig ab, dass wir wieder verloren haben, obwohl wir 2:1 geführt haben“, monierte Deniz Undav passend dazu. Für den Torjäger fühlten sich anscheinend selbst die jüngsten Resultate (1:1 und 2:2) in der Liga wie Niederlagen an. „Wenn du gegen zehn Mann spielst und 2:1 führst, darfst du das Ding nicht mehr verlieren. Wir machen immer diese scheiß Fehler. Vielleicht sind ein paar Spieler durch die Atmosphäre eingeschüchtert worden. Das ist der einzige Grund, mit dem ich mir das erklären kann.“
Eine generelle Abneigung oder gar Hass zwischen beiden Klubs existiert nun einmal nicht. Und dennoch zeigte die ganze Emotionalität, all das Geschubse, welches den Supercup zu einer unerwartet heißen Nummer werden ließ und die Aussage hinterher, welche sportliche Brisanz mittlerweile besteht. Für die Schwaben gibt es die nächste Chance zur Revanche nun Anfang November, dann kommt es zum Hinspiel in der Bundesliga. Fußball-Deutschland darf sich auf ein weiteres Spektakel freuen.