Es ist die ultimative Heiligsprechung der nahezu fußballreligiösen Anhänger, erteilt man einem Spieler diese Ehre.
Als der Kaiser den Fußballgott anrief
Diego Maradona ist das wohl bekannteste Beispiel, dem als Messias die Lobpreisung eines Fußballlandes zuteilwurde, als er im WM-Viertelfinale 1986 die „Hand Gottes“ zu Hilfe nahm. Auch Guti von Real Madrid schien nicht von dieser Erde, als er 2010 Karim Benzema ein Tor mit der „Ferse Gottes“ auflegte. Oder, man ist eben der „Fußballgott“ selbst. So wie Carsten Jancker.
Jancker wird 1974 in der DDR geboren
Dem wurde gar noch eine größere Ehre zuteil: als Nordlicht von Bayern-Fans als ebenjener betitelt zu werden. Geboren wurde Jancker nämlich am 28. August 1974 in Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern.
Die BRD war soeben zum zweiten Mal in der Verbandsgeschichte Weltmeister geworden, Jancker als ein Kind der DDR auf die Welt gekommen. „Ich habe nur Gutes in Erinnerung“, erinnerte er sich einst in der Ostsee-Zeitung an seine Ausbildung und die Zeit auf dem Sport-Internat. Mit 17 Jahren, die Wende war vollzogen, machte sich auch Jancker auf in den Westen.
1993 sollte er sein erstes Bundesliga-Spiel für den 1. FC Köln machen, zwei Jahre später zu Rapid Wien wechseln, die zu damaligen Zeiten eine europäische Größe darstellten. Kurzerhand verliebte sich Jancker in die Sekretärin des Klub-Managers Werner Kuhn, die Geheimniskrämerei ging los. Dabei musste das Glück raus, es sollte der Auftakt zu den besten Jahren der Fußballer-Karriere des Carsten Jancker werden. Denn dann rief der „Kaiser“ beim „Fußballgott“ an.
Wenn Beckenbauer anruft: So kam der Wechsel zum FC Bayern zustande
„Hier spricht der Franz Beckenbauer, Präsident vom FC Bayern, bitte um Rückruf in Kitzbühel, bin bis 22 Uhr zu erreichen“, soll die Anfang 2024 verstorbene Fußball-Ikone auf Janckers Anrufbeantworter hinterlassen haben, wie er in einem 11Freunde-Interview offenbarte.
Erst nach dem zweiten Versuch, den Beckenbauer unternahm, war Jancker bereit, zurückzurufen – und schließlich auch zurückzukehren nach Deutschland. 1996 also, Jancker war 21 Jahre jung, wechselte er zum großen FC Bayern: „Natürlich war alles extremer: die vielen Kamerateams, die Zeitungen.“
Einen Vorteil jedoch gab es, respektive zwei: Jürgen Klinsmann und Ruggiero Rizzitelli, die die Aufmerksamkeit und den Trubel abbekamen und Alexander Zickler und Carsten Jancker gemeinsam mit Giovanni Trapattoni nach den Trainings Sondereinheiten einlegen ließen – ohne Rummel.
Der kam ohnehin früh genug. Nicht zuletzt im verlorenen Champions-League-Finale 1999. Oder besser gesagt danach. Denn nicht nur war die Niederlage in der Nachspielzeit gegen Manchester United eine der schlimmsten Niederlagen der Münchner Klubgeschichte, auch die bitterste in der Karriere des Carsten Jancker.
Denn er war es, der einen spektakulären Fallrückzieher an die Latte setzte. Es wäre das 2:0 gewesen. So war es wenig später der geplatzte Traum. „Wenn du in 90 Sekunden einen Lebenstraum verlierst, ist das sehr bitter“, sagte Jancker später.
Vom „Arschloch“ Berti Vogts und der Meisterschaft 2001
Es würde in die Erzählung passen, würde man die angestaute Wut und Trauer in die folgende Szene hineinwerfen. Jancker bezeichnete Leverkusens damaligen Trainer Berti Vogts als „Arschloch“, Fußball-Deutschland johlte auf. Die Geschichte dahinter aber war eine andere.
Es war die eines Jungen, der schon als Kind weder verlieren konnte, noch wollte. Und die des mit den Leverkusener Spielern gut auskommenden Stürmerbrechers. Also brauchte er ein Feindbild, an dem sich selbst eine 1,93-Meter-Kante noch reiben konnte. Und das war eben Berti Vogts.
Bei der WM 1998 noch Nationaltrainer gewesen, berücksichtigte Vogts Jancker damals nicht – und sah so im Jahre 2000 bei einem Ligaspiel der Bayern gegen Bayer Jancker nach dessen erzieltem Tor auf sich zustürmen und brüllen: „Vogts, du Arschloch!“
Schon in dieser Saison funktionierte plötzlich alles besser. Und das hatte zwei Gründe: Unterhaching und einen erfüllten Traum. „Unser Spiel in Hamburg hatte später angefangen, weil fast zwei Kilo Bananen in den Strafraum von Oliver Kahn geflogen waren“, erinnerte sich der damals 26-Jährige: „Deshalb wurde bei uns immer noch gespielt, als auf Schalke schon Schluss war.“
Spätestens jetzt weiß wohl jeder Fußball-Fan, worum diese Geschichte handelt: dem Ende der Saison 2000/2001, also dem wirklichen letzten Ende. Doch da stand Jancker nicht mehr auf dem Platz. Verletzt musste er in der Kabine Unterhaching zuschauen, wie sie gegen Schalke gewinnen mussten, um den Bayern Schützenhilfe zu leisten.
„Plötzlich fiel das 1:0 für Unterhaching, danach habe ich mich nicht mehr aus der Kabine getraut, weil ich Angst hatte, dass dann etwas schieflaufen würde“, sagte Jancker, der nach eigener Aussage ein totales Nervenbündel war: „Erst nach dem 2:0 für Unterhaching bin ich rausgerannt. Das ganze Stadion hat vibriert, es war großartig.“
Wie Jancker für südkoreanische Frauen zum Umjubelten wurde
Wenige Tage später sollte gar die Vollendung der Vereinskarriere eintreten. Champions-League-Sieger gegen den FC Valencia 2001 im Elfmeterschießen. Jancker kam nach der Pause für Willy Sagnol und wurde aktiver Zeitzeuge eines der denkwürdigsten Spiele der bayerischen Vereinsgeschichte.
49 Champions-League-Spiele sollten am Ende der Karriere zusammenkommen, zwölf Tore und zehn Assists sowie über 80 Scorer-Beteiligungen in 178 Bundesliga-Partien.
All das war endlich genug, um 2002 bei der WM in Südkorea mit von der Partie zu sein – und mit einer Aktion zum Star zu werden, die Jancker bis heute noch Liebesbriefe bescheren.
Denn im ersten Gruppenspiel gegen Saudi-Arabien traf er nicht nur ins Tor, sondern auch mitten in die weiblichen südkoreanischen Fanherzen, indem er sich nach dem Torerfolg das Trikot vom Leib riss und zum Vorschein kam, was in Deutschland längst jeder wusste: Er war eine Kante. 1,93 Meter gestählter Körper, eine kahlgeschorene Glatze und dazu blaue Augen.
Jancker, Hoeneß und Verbindungen zur Nazi-Szene
Dass ihm das hierzulande jedoch nicht immer zum Vorteil gereichte, musste Jancker später auch noch feststellen. „Carsten Jancker, unser Führer“, skandierten einige rot-weiße Anhänger und brachten ihren „Fußballgott“ damit ungewollt in Verbindung mit der nationalsozialistischen Szene.
„Ich habe diese Geschichte leider nicht so ernst genommen, wie sie sich nachher entwickelt hat“, sagte Jancker dem 11Freunde-Magazin. Dass er das hätte tun sollen, wusste selbst Bayerns Klubpatron und heutiger Ehrenpräsident schon damals.
„Uli Hoeneß hat öfter mit mir gesprochen, ob ich mir nicht die Haare wachsen lassen will, was ich dann auch getan habe. Heute würde ich anders mit der Sache umgehen: Ich würde früher entschieden den Gerüchten entgegentreten, mir aber nie wieder vorschreiben lassen, wie ich meine Haare zu tragen habe. Es war mein Ritual, mir vor dem Spiel mit der Maschine den Schädel zu rasieren“, sollte Jancker später sagen.
Denn eine Lockenmähne wäre ihm zwar gemäß eigenen Ausführungen gewachsen, aber ohne eine Glatze wäre Carsten Jancker nun einmal nicht Carsten Jancker.
Wohl auch nicht der Frauenheld der südkoreanischen Bevölkerung, wohl nicht der Trainerlegenden in überschäumender Emotion verunglimpfende Stürmer – und eben auch nicht der „Fußballgott“ des FC Bayern.