Uli Hoeneß' sommerlichen Presse-Audienzen rund um den FC Bayern haben große Tradition. Wenn der Ehrenpräsident alljährlich rund um den Start der Saisonvorbereitung spricht, richten sich alle Augen auf ihn. Reporter spitzen ihre Ohren, Bayern-Führungskräften fließt derweil der Schweiß über die Stirn. Sie alle wissen: Jetzt produziert Hoeneß Schlagzeilen.
Das jüngste Opfer von Hoeneẞ
Letztes Jahr diktierte Hoeneß den Journalisten am Tegernsee Spitzeleien gegen Tottenham-Boss Daniel Levy in die Schreibblöcke, diesen Sommer kam sein Opfer aus den eigenen Reihen.
Denn Hoeneß zog bei einem Besuch des 75-jährigen Vereinsjubiläums des bayerischen Amateurklubs SV Seligenporten in aller Öffentlichkeit einen wenig schmeichelhaften Vergleich zwischen Bayerns 23 Jahre alten Alphonso Davies und Spaniens Lamine Yamal, der gerade erst 17 geworden ist.
Hoeneß zieht bösen Vergleich zwischen Yamal und Davies
Bei Yamal habe er während der EM “ein paar Dinge gesehen, die ich jahrelang nicht gesehen habe“, schwärmte Hoeneß: „Was der mit dem Ball macht! Nicht nur dieses unglaubliche Tor, das er da in den Winkel geschlenzt hat, sondern die Art und Weise, wie er mit links und rechts den Ball annimmt, schlitzohrig ist und nicht nur ein starkes Bein hat.“
Dann folgte der entscheidende Teil: “Das hätte ich dem Alphonso Davies gewünscht, dass er das auch mal kann, rechts und links annehmen. Das sind so Dinge, die einen großen Spieler ausmachen.”
Heißt im Umkehrschluss: Davies hat laut Hoeneß nur ein starkes Bein - und noch nicht die Qualitäten, die einen großen Spieler ausmachen. Auf den ersten Blick ein schiefer Vergleich: Hier der kanadische Linksverteidiger, dort der spanische Rechtsaußen.
Alphonso Davies’ überraschende Bayern-Bilanz
Tut Hoeneß seinem eigenen Spieler damit Unrecht? Auch wenn der Klub-Patron nicht an Davies‘ Können bei der Ballannahme glaubt, so hat der Kanadier seine Beidfüßigkeit und seine Fähigkeit, Traumtore zu schießen, im Bayern-Trikot bereits bewiesen. Tatsächlich hat Davies seit seiner Ankunft in München eine ausgeglichene Torbilanz: Fünf Treffer mit rechts, fünf mit links.
Jüngstes Beispiel: Davies’ wunderschöner Treffer im Halbfinal-Rückspiel bei Real Madrid, als er einen Ball von Jamal Musiala mit dem linken Fuß aus der Luft pflückte, von links nach innen in den Strafraum zog, und dann mit einem Rechtsschuss in den langen Winkel vollstreckte.
Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass Davies bei den Bayern eine schwache Saison hinter sich hat - und dass sein Spielerberater Nick Huoseh sich seit dem vergangenen Herbst mit dem Verein eine unrühmliche verbale Schlacht um eine mögliche Vertragsverlängerung über 2025 hinaus liefert.
In Seligenporten stichelte Hoeneß nicht zuletzt deshalb in einem Nebensatz auch gegen den Davies-Agenten und erklärte, mit Spielern wie Joshua Kimmich zu reden, sei „nicht so schwierig, wie mit dem einen oder anderen Berater, der nicht weiß, dass im Ball Luft ist.“
Davies tankt Selbstvertrauen bei Copa América
Doch etwas, das hierzulande im Zuge der Heim-EM vielleicht etwas unterging: Davies spielte nach Saisonschluss eine äußerst überzeugende Copa América, konnte sich auf großer Bühne beweisen und ordentlich Selbstvertrauen tanken.
In zwei Jahren steigt die Fußball-Weltmeisterschaft in den USA, Mexiko und Kanada. Unter den kommenden WM-Gastgeberländern spielte Kanada diesen Sommer die mit Abstand erfolgreichste Copa, wurde Vierter des gesamten Turniers.
Davies war als Führungsspieler mittendrin, spielte alle sechs Partien. Einzig sein Panenka-Elfer an die Latte im Spiel um Platz 3 gegen Uruguay trübte den Eindruck leicht.
Im November 2019 frohlockte Hoeneß nach Bayerns 4:0-Gala gegen den BVB, bei der Davies hinten links durchspielte, noch: “Er wird Weltklasse!”
Damals war der Kanadier 19 Jahre jung, heute ist er immer noch erst 23. Dem Linksverteidiger bleibt wohl noch mindestens eine Saison Zeit, um Hoeneß' damalige Prophezeiung zu erfüllen.