Es sind jene Wochen einer Saison, in denen man sich als Trainer des FC Bayern für lange Zeit Ruhe verschaffen kann – oder man schafft sich Probleme, die einen unter Umständen noch monatelang begleiten: die Zeit der Vorbereitung, die Zeit vor den ersten Pflichtspielen.
Wie Kompany von Tuchel profitiert
Für Vincent Kompany stand am Montag erstmals eine Pressekonferenz als im Amt befindlicher (und nicht nur designierter) Bayern-Trainer an. Smart trat der Belgier auf, wechselte gekonnt zwischen Deutsch und Englisch. Er lachte viel und vermittelte einen Eindruck davon, wie er den Rekordmeister wieder zum souveränen Spitzenreiter machen will.
Auch seine Auslegung des „Mia san Mia“ – ein Klassiker jener Fragen, die Neulingen in München gestellt werden – überzeugte: „Ich verstehe das als ein Gefühl. Wir müssen gewinnen und feiern, aber wir müssen auch immer weitermachen. Es geht um den Verein, den nächsten Schritt - wie können wir besser werden?“, sagte er.
Und weiter: „Auf die Vergangenheit können wir stolz sein, aber wir sind erfolgreich, weil wir an die Zukunft denken.“
Das dürfte Musik in den Ohren der Fans und Bosse gewesen sein. Der 38-Jährige hatte sich gut vorbereitet. Fehltritt? Fehlanzeige!
Kompany kennt seine Rolle
Und Kompany kannte die Fallstricke, die die aktuelle Situation beim FC Bayern bietet: Welcher namhafte Star muss gehen? Wie weit soll der Umbruch noch fortgesetzt werden?
Uli Hoeneß, der Patriarch des Klubs, hatte am Sonntag eine klare Botschaft an die Verantwortlichen um Sportdirektor Max Eberl und Christoph Freund gesendet: Erst müssen prominente Stars gehen, dann kann weiter eingekauft werden. Dabei nahm der 72-Jährige auch den Trainer in die Pflicht.
Doch die Fragen nach eben diesen namhaften Abschiedskandidaten umschiffte Kompany – ohne dabei verschlossen oder gar bockig zu wirken. „Ich verstehe die Frage, wirklich. Aber wir könnten jetzt alle Namen durchgehen“, erklärte Kompany im Konferenzraum des Seehotels „Überfahrt“ in Rottach-Egern. Das wolle er aber nicht tun, weil es nicht zielführend sei.
Tuchel setzte früh den Ton
Ironie der Geschichte: Genau in diesem Konferenzraum hatte Thomas Tuchel, Kompanys direkter Vorgänger als Trainer des FCB, sich ein Jahr zuvor Probleme geschaffen, die er lange Zeit nicht mehr loswurde.
Beispiel 1: Leon Goretzka bescheinigte Tuchel damals ein unbefriedigendes Ende der Saison 2022/23. Der Mittelfeldspieler sei, „einfach von seinem Status, von seinem Vertrag, von seinem Alter jemand, von dem wir viel erwarten. Da ist viel Luft nach oben, und unsere Aufgabe ist es, ihm dabei zu helfen.“ Zudem schloss er nicht aus, dass man Goretzka noch kurzfristig abgebe.
Beispiel 2: In den Transfer-Wochen forderte Tuchel immer wieder Verstärkung auf der Sechser-Position. Es folgte die berühmte Diskussion um eine „Holding Six“ à la Declan Rice oder Joao Palhinha. Der damalige Coach erweckte den Eindruck, als habe er sein Vertrauen in Joshua Kimmich im Mittelfeld verloren.
Die Folge: Goretzka und Kimmich starteten mit einem kleinen Malus in die Saison – und wehrten sich gegen die öffentlichen Diskussionen. Goretzka verkündete nach der Saisoneröffnung in der Allianz Arena: „Ich liebe den Verein, ich liebe die Stadt, ich liebe die Fans.“ Er denke nicht an Abschied.
Und Kimmich erklärte während der Asien-Reise: „Ich bin ein Sechser!“ Trotzdem landete er im Laufe der Saison wieder auf der rechten Außenverteidiger-Position, fand sich dort aber zurecht und zeigte im Saisonendspurt und bei der EM gute Leistungen.
Kompany profitiert von Tuchels Hartnäckigkeit
Zwölf Monate später ist klar, dass Vincent Kompany von all den „Grausamkeiten“, die Tuchel frühzeitig ansprach und teilweise auch durchzog, profitiert. Sollte er Kimmich als Verteidiger einsetzen, gäbe es wohl keine große öffentliche Diskussion. Würde er Goretzka zum Verkauf freigeben, wäre vermutlich kein Aufruhr zu befürchten.
Zudem bekam der Neu-Trainer jenen Wunsch erfüllt, den er, Kompany, nie äußerte, aber Tuchel glücklich gemacht hätte: Joao Palhinha als „Holding Six“.
Tuchel dürfte sich im Nachhinein bestätigt fühlen – oder sogar ärgern, dass es ihm nicht vergönnt war, seinen Wunschspieler zu bekommen. Palhinhas Transfer scheiterte im Sommer 2023 bekanntlich denkbar knapp in letzter Sekunde.
War Tuchel zu ehrlich?
Tuchels Ehrlichkeit ehrte ihn seine gesamte Zeit beim FC Bayern über. Er sprach offen aus, was er dachte – auch wenn SPORT1-Informationen zufolge so mancher Klub-Boss darüber nicht immer glücklich war. Doch wenn ein Trainer, der bei den unterschiedlichsten Top-Klubs erfolgreich war, mit dem FC Chelsea Champions-League-Sieger und 2021 sogar zum „FIFA-Welttrainer“ gewählt wurde, nicht seine Meinung sagen kann, wer dann?
Kompany hat es da leichter. Er steht noch am Anfang seiner Trainerkarriere. Ihm wird die Gnade zuteil, beim FC Bayern etwas Neues aufbauen zu können und zu dürfen. Dass er sich nicht übermäßig breitbeinig präsentiert, sondern als fleißiger und demütiger Arbeiter auftritt, kommt gut an.
Die Bosse feiern Kompany
Klub-Patron Uli Hoeneß berichtete am Sonntag von einem gemeinsamen Abendessen mit Kompany und schwärmte von der Mentalität des Belgiers: „Seine Kernbotschaft war: Im Mittelpunkt muss die Arbeit stehen.“ Das habe ihm gefallen, so der Ehrenpräsident.
Und auch Präsident Herbert Hainer lobte den Neuen: „Ich höre nur Gutes von ihm. Ein junger Trainer bringt frischen Wind mit, das tut uns gut“, sagte er im klubeigenen Podcast.
Auch in diesem Punkt profitiert Kompany von Tuchel. Er hat die Unterstützung der Mächtigen im Verein – was Tuchel am Ende seiner Amtszeit nicht mehr vergönnt war. Hoeneß – so sagte er selbst – sieht dessen Amtszeit weiterhin „sehr kritisch“.
Dem neuen Trainer scheint er dagegen mehr Kredit einzuräumen. Zwar glaubt Hoeneß, dass man wieder an erfolgreiche Zeiten anschließen könne, die pure Dominanz beziehungsweise „One-Man-Show“ des FC Bayern sieht er aber nicht mehr wiederkommen.