Joshua Kimmich gehört eigentlich bereits zum Inventar des FC Bayern. Der 29-Jährige geht nach der EM in seine zehnte Saison beim Rekordmeister – falls alles so bleibt, wie es ist. Denn seit Monaten wird heftig spekuliert: Verlässt der Nationalspieler München? Will ihn der FC Bayern wirklich loswerden?
Alle Zeichen auf Abschied?
In einer aktuell erschienenen ZDF-Dokumentation könnte man den Eindruck gewinnen, eine Trennung sei unausweichlich. Dort spricht Kimmich ausführlich über seine Zeit beim FC Bayern. Besonders bemerkenswert sind jene Aussagen über die Impfdebatte während der Corona-Pandemie.
„Ich habe mich zu lange alleingelassen gefühlt“, sagt er da und nennt es eine „brutale Zeit“. Es wird deutlich, dass in jenen Wochen das Verhältnis zwischen ihm und dem Klub außerordentlich gelitten hat. Damals ging offenkundig etwas kaputt.
Impfdebatte veränderte vieles
Rückblick: Ende 2021 steckt Deutschland noch tief in der Pandemie. Die Corona-Impfung ist das bestimmende Thema. Impfbefürworter, Impfverweigerer, Impfdrängler – die Diskussion ist aufgeheizt. Das Land streitet über den richtigen Umgang mit Covid-19.
Im Mittelpunkt steht plötzlich Kimmich. Der Profi äußert Bedenken und lässt sich lange Zeit nicht impfen. Die Folge: Immer wieder muss er sich als Kontaktperson in Quarantäne begeben, kann weder spielen noch mit der Mannschaft trainieren. Impfgegner instrumentalisieren ihn, machen ihn zu ihrem Helden. Impfbefürworter – von Ungeduld getrieben – machen Kimmich schwere Vorwürfe.
Fakt ist: Kimmich schadete damals den Zielen seines Klubs. Der FC Bayern bemühte sich im Rahmen seiner Möglichkeit um ein schnelles Ende der Pandemie. Karl-Heinz Rummenigge schlug sogar vor, Fußball-Profis besonders schnell die damals nicht sofort verfügbare Impfung zukommen zu lassen. Die Stars des FC Bayern könnten seiner Meinung nach als Vorbilder dienen. Kimmichs Zweifel kratzten damals am Image des Vereins. Zudem fehlte er mehrmals auf dem Platz. Selbst die Bundesregierung äußerte sich zum Fall.
Fakt ist aber auch: Gerade als der mediale Sturm am heftigsten wehte, erfuhr Kimmich keine richtige öffentliche Unterstützung durch den FCB. Auch Vermittlungsversuche durch den damaligen Bayern-Trainer Julian Nagelsmann waren wenig erfolgreich.
Keine konkreten Abschiedsgedanken
Die Vorwürfe des 29-Jährigen Richtung Säbener Straße, die jetzt für Aufregung sorgen, stammen aus dem März 2022, sind also mehr als zwei Jahre alt. Die Aussagen werfen ein neues Licht auf das Verhältnis zwischen Spieler und Klub. Entscheidender für die Zukunft dürfte aber die aktuelle Lage sein.
SPORT1 weiß: Kimmich trägt sich derzeit nicht mit konkreten Abschiedsgedanken. Seine volle Konzentration gilt der EM, währenddessen wird es keinerlei Verhandlungen mit den Bayern geben.
Und: Der Verteidiger weiß um seine komfortable Ausgangslage. Er ist vielseitig einsetzbar, gilt als Führungsspieler und hat gute Aussichten, nach Ende seines Vertrags im Sommer 2025 mit dann erst 30 Jahren einen Top-Klub zu finden. Bei einem ablösefreien Abgang darf er zudem mit einem guten Handgeld rechnen.
Für Bayern ist Trennung denkbar
Beim FC Bayern kann man sich derweil einen Verkauf von Kimmich durchaus vorstellen. Das ist aber nicht das Ergebnis irgendwelcher interner, geheimer Absprachen. Vielmehr ging Sportvorstand Max Eberl bereits bei seiner Vorstellung Ende Februar damit sehr offen um. Damals sprach der 50-Jährige davon, dass man den Kader komplett hinterfragen wolle – also eben auch Kimmich, den er sogar namentlich nannte.
In ihrem Bestreben nach finanzieller Gesundung ist vereinsintern auch das Gehalt des Rechtsverteidigers ein Thema. Kimmich gehört zu den Top-Verdienern im Kader. Sein Vertrag wurde 2021 unter dem Eindruck des Champions-League-Triumphs im Jahr davor zu verbesserten Konditionen verlängert. Damals zeigten sich der damalige Sportvorstand Hasan Salihamidzic und CEO Oliver Kahn stolz über den Deal. Heute ist Kimmich manchen im Klub zu teuer.
Es entsteht der Eindruck, als würden sich beide Seiten Stück für Stück immer mehr unter Druck setzen. Ausgang ungewiss.
Alles noch offen
SPORT1-Informationen zufolge ist alles noch offen, viele Argumente sprechen aber für einen Verbleib bis zumindest 2025. Kimmich bezeichnet München mittlerweile als seine zweite Heimat, seine vier Kinder sind allesamt dort geboren. Stellt er sich gegen einen Verkauf in der aktuellen Transferperiode, wären die Bayern gezwungen, ihn noch ein Jahr lang zu behalten. Vertrag ist Vertrag.
Kimmich scheint – trotz des durch die Impfdebatte angekratzten Verhältnisses zum FC Bayern, gesprächsbereit zu sein.
„Wir sind alle erwachsene Menschen. Zum Teil sind jetzt auch neue Leute in der Verantwortung, und etwaige Missverständnisse kann man ja auch immer im persönlichen Gespräch aus der Welt schaffen“, sagte er unter der Woche der Süddeutschen Zeitung.
Unterstützung bleibt Thema
Trotzdem: Nach SPORT1-Informationen würde sich Kimmich auch vom neuen Führungspersonal um Eberl und Sportdirektor Christoph Freund mehr positive Signale in der Öffentlichkeit wünschen. Bisher vermieden es die Bosse allgemein, die aktuellen Spieler stark zu reden. Lieber ist immer wieder vom Umbruch die Rede. Das dürfte Kimmich, aber auch andere Profis misstrauisch machen.
Ein Seitenhieb von Eberl kam beim Nationalspieler jedenfalls nicht gut an. Im Vorfeld des Champions-League-Spiels der Bayern beim FC Arsenal im April hatte der Sportvorstand über Kimmich gesagt: „Klar könnte man sich auch für den Verein committen, wo man schon lange spielt.“
Kimmich sagt jetzt in der SZ: „Ich glaube, ich muss meine Identifikation mit dem Verein nicht extra symbolisch nach außen tragen. Das erleben die Menschen und Verantwortlichen im Verein jeden Tag – und darauf kommt es an.“
Es könnte also gut sein, dass er die zehn Jahre beim FC Bayern noch vollmacht.