Es ist das erste Mal, dass beide zusammen vor der Kamera ein Interview geben. Trainerlegende Christoph Daum und sein Sohn Marcel haben sich mit SPORT1 beim 70-Jährigen zu Hause verabredet, um über die Traumsaison von Bayer Leverkusen zu sprechen.
„Einziger Nachteil, dass er Daum heißt“
Daum Senior war von 1996 bis 2000 Trainer der Werkself, sein 37 Jahre alter Sohn ist seit 2018 im Verein und aktuell Co-Trainer für Analyse. In dieser Funktion arbeitet er eng mit Trainer Xabi Alonso zusammen. Die Meisterschale hat Leverkusen bereits geholt, mit der Europa League und dem DFB-Pokal sollen zwei weitere Titel hinzukommen. Ein Gespräch zwischen Vater und Sohn, das unter die Haut geht.
SPORT1: Christoph Daum, die wichtigste Frage zu Beginn: Wie geht es Ihnen?
Christoph Daum: Mir geht es wie vielen Krebs-Patienten. Ich habe Chemotherapie, Bestrahlungstherapie und muss meine Medikamente nehmen. Mal bin ich besser drauf, mal muss ich mehr kämpfen, um die Nebenwirkungen zu ertragen. Aber der Krebs hat von seinem Schrecken verloren. Und es ist wichtig, dass wir als Betroffene mitmachen. Leute, es lohnt sich zu leben und dafür lohnt es sich auch zu kämpfen.
SPORT1: Kann der Krebs in absehbarer Zeit ganz besiegt werden?
Christoph Daum: Nein, das ist auch nicht unser Ziel. Unser Ziel ist es, aus einem akuten Zustand einen chronischen zu machen. Das ist wie bei Diabetes. Ich will lernen, mit dem Krebs zu leben.
SPORT1: Marcel, am vergangenen Samstag war Ihr Vater in der BayArena beim letzten Saisonspiel, abends bei der Meisterfeier und am nächsten Tag beim Doppelpass im Fernsehen. Man hat das Gefühl, er schont sich zu wenig. Wie sehen Sie es?
Marcel Daum: Seinen Eltern irgendwelche Ratschläge zu geben, das ist jetzt falsch. Ich sage lieber „Tu das, was dir guttut“. Soweit ich das verfolge, macht er das auch. Wichtig ist, dass man sich nicht vergisst. Wenn man in schwierigen Phasen positive Dinge für sich herausziehen kann, dann ist es wahrscheinlich einfacher.
Trainer-Legende Daum: „Ich habe mich oft zu sehr um den Beruf gekümmert“
SPORT1: Wie war das Verhältnis zwischen Ihnen beiden? Früher und heute.
Christoph Daum: Ich habe mich oft zu sehr um den Beruf gekümmert und zu wenig um die Kinder. Aber ich habe dann auch von ihnen gehört „Wenn wir dich gebraucht haben, warst du da.“ Das hat natürlich gutgetan. Und in der Zeit, in der ich für die Kinder da war, habe ich alles liegen lassen. Dann haben wir zusammen gespielt und Blödsinn gemacht. Ich bin in diesen Momenten auch wieder zum Kind geworden. Wir haben wunderschöne Zeiten zusammen verbracht.
Marcel Daum: Der Fußball hat uns sehr viel ermöglicht. Wir konnten die Türkei kennenlernen, waren in ganz Europa unterwegs und konnten viele Kulturen und Sprachen kennenlernen. Diese Dinge kann ich jetzt an meine Kinder weitergeben.
SPORT1: Was schätzen Sie am meisten an Ihrem Vater?
Marcel Daum: Disziplin. Christoph hat mir gezeigt, was es heißt jeden Tag zu 100 Prozent seinem Job nachzugehen und nicht nachzulassen. In den Schränken bei meinem Vater im Büro stehen so viele Ordner drin, da wird schnell klar, wie akkurat er arbeitet. Ich konnte viel von meinem Vater lernen.
SPORT1: Wie sehr hätten Sie sich gewünscht, mal unter ihrem Vater zu kicken?
Christoph Daum: Wir haben doch im Wohnzimmer zusammen gekickt. (lacht)
Marcel Daum: Wenn du Spieler unter Christoph warst, wusstest du ganz genau, was von dir gefordert wurde. Viele Spieler haben sich auch im Nachhinein sehr positiv über ihn geäußert. Gerade, was Widerstandsfähigkeit betrifft, da sollten die Spieler etwas gelernt haben.
SPORT1: Hatte Ihr Vater einst zu Hause besondere Motivations-Methoden? Sie mussten sicher nicht über Glasscherben gehen.
Marcel Daum: Das nicht. (lacht laut)
Christoph Daum: Ich habe Sachen gemacht, die etwas in den Motivations-Aufbau reinspielen wie zum Beispiel Türmchen bauen. Meine Kinder wollten den Papa dann immer übertrumpfen und so haben wir viele kleine Übungen gemacht, bei denen die Kids ihre Motivation stärken konnten. Ich wollte die Kinder immer dabei unterstützen eine eigenverantwortliche Persönlichkeit zu werden. Ich habe Riesen-Glück, dass sie das geschafft haben.
Koks-Affäre? „Man liest lieber schöne Dinge über Papa“
SPORT1: Wie schwer war für Sie damals die Zeit, als Ihr Vater wegen der Koks-Geschichte kein Bundestrainer wurde? Sie waren erst 13 Jahre alt.
Marcel Daum: Als Kind liest man natürlich lieber schöne Dinge über den Papa in der Zeitung. Es war keine schöne Zeit. Aber Menschen machen Fehler. Wichtig ist, dass man daraus lernt. Damit ist auch alles gesagt.
Christoph Daum: In dieser Zeit hat mich Marcel unglaublich unterstützt. Er reiste damals in den Weihnachtsferien auch nach Florida nach und sagte zu mir: „Papa, Du packst das, Du holst dir das Vertrauen und die Erfolge sowieso wieder zurück. Du bist einer der Besten!“ Das sagte mein kleiner Junge zu mir. Da kommen mir jetzt noch fast die Tränen. Ich weiß gar nicht, ob ich Marcel gezeigt habe, wie wichtig er in dieser Zeit für mich war. Normalerweise sollen die Eltern für ihr Kind da sein, da war Marcel für mich da. Er hat rückhaltlos zu mir gestanden.
Marcel Daum: Sich gegenseitig unterstützen, auch in solch schweren Momenten - dafür steht Familie.
SPORT1: Hätten Sie gedacht, dass Ihr Sohn mal diesen Weg gehen wird und jetzt mit Leverkusen Deutscher Meister ist?
Christoph Daum: Ich habe Marcel alles zugetraut. Er hat eine super Familie, mit Filiz eine tolle Frau und er hat mir zwei wunderbare Enkelkinder geschenkt. Er wohnt um die Ecke und wir verbringen viel Zeit miteinander, wenn es möglich ist. Bei uns steht die Familie im Mittelpunkt. Man weiß nie, wie sich Kinder entwickeln und Kinder von bekannten Vätern haben es oft nicht leicht. Aber Marcel ist immer bodenständig geblieben. Ich bin glücklich, zufrieden und dankbar, dass Marcel mein Sohn ist. Da kriege ich feuchte Augen. Marcel ist für mich ein Glücksfall.
SPORT1: Wie stolz sind Sie auf Ihren Sohn?
Christoph Daum: Sehr stolz. Ich freue mich, dass Marcel sich dort eine unglaubliche Wertschätzung erarbeitet hat und eine große Anerkennung bekommt, nicht nur im Klub, sondern in der Liga. Mich rufen oft Leute an und fragen mich, ob Marcel nicht den Verein wechseln möchte. Aber das ist gerade der optimale Klub für Marcel. Warum soll er wechseln? Er macht einen super Job, bei der DFL ist er anerkannt, an der Sporthochschule Köln und in den Medien auch. Marcel hat sich einen Stellenwert erarbeitet, das ist sensationell. Der einzige Nachteil ist, dass er Daum heißt. Viele sagen immer, hier kommt der Sohn von Christoph Daum. Aber er ist eine eigenständige Persönlichkeit.
„Das Wichtigste ist, dass dieses elende Vizekusen beendet ist“
SPORT1: Ist der Vater auf den Meistertitel seines Sohnes neidisch? Ihnen ist das ja mit Leverkusen verwehrt geblieben.
Christoph Daum: Nein, warum sollte ich neidisch sein? Ich habe mich unheimlich gefreut, als es dann im entscheidenden Spiel gegen Bremen klar war, dass sie Meister sind. Ich war an dem Tag nicht im Stadion und da sagte meine Frau zu mir „Du warst zum ersten Mal wieder richtig nervös, als du dir ein Fußballspiel angeschaut hast.“ Das bin ich normalerweise nicht, weil ich mir Spiele eher analytisch ansehe. Doch an dem Tag habe ich richtig mitgezittert. Ich freue mich unheimlich für Marcel und Bayer Leverkusen. Das Wichtigste ist, dass dieses elende Vizekusen jetzt beendet ist. Ich konnte es nicht mehr hören.
SPORT1: Sie tragen auch eine Jacke von Bayer Leverkusen. War das Ihre schönste und intensivste Zeit?
Christoph Daum: Ja, ich habe es dort geschafft, um einen Fußballverein eines Chemiekonzerns eine Sympathie-Klammer zu schlagen. Mein Ziel in Leverkusen war es nicht, Titel zu holen, sondern erst einen richtigen Fußballverein zu kreieren. Das ist uns gut gelungen. Wir haben vor 24 Jahren etwas begonnen, was jetzt mit der Meisterschaft endet. Die Qualität der Mannschaft ist heute so hoch, dass es möglich ist, das Finale zu gewinnen. Der Verein hat Personal, das dieses Erfolgsgen in sich trägt und das auf jeden übertragen werden kann.
SPORT1: Marcel, denken Sie manchmal „Bitte kneift mich“?
Marcel Daum: Ja. Es ist fast nicht zu beschreiben. 51 Pflichtspiele ungeschlagen, das hat es in der Form noch nicht gegeben. Das sind unbeschreibliche Emotionen. Es gibt wichtigere Dinge als Fußball, aber wir haben bisher das absolute Maximum rausgeholt und die Leute in Leverkusen und ganz Europa begeistert. Das Feedback ist extrem positiv. Wir haben es immer noch nicht realisiert, was wir bisher erreicht haben.
Darum ist Xabi Alonso so besonders
SPORT1: Ein Glücksfall ist Xabi Alonso für den Klub. Was haben Sie gedacht, als er verkündete, dass er weiter in Leverkusen bleibt?
Marcel Daum: Ich wusste es natürlich etwas früher. Xabi kam in die Kabine, machte die Tür hinter sich zu und informierte uns. Er sagte uns, dass er sich sehr wohl fühlt und er sehr gerne weiter mit uns zusammenarbeiten will. Die Entwicklung spricht für sich. Xabi tut uns extrem gut. Er hat so viel Erfahrung und es ist so schön, dass er weiter bei uns ist.
SPORT1: Was macht Alonso so besonders?
Christoph Daum: Er lebt jeden Tag vor, heute das beste Training, das beste Spiel zu machen. Ich bekomme das auch bei Marcel mit, der manchmal gar nicht ansprechbar ist, weil er voll im Tunnel ist und mit dem Kopf schon beim nächsten Spiel ist. Da wundere ich mich oft, wenn er sagt, dass man den Moment genießen muss. Ich frage mich, wo der da einen Moment zum Genießen hat? Der ist ja voll im Hamsterrad drin und ich wünsche mir, dass die nächsten Tage mit den nächsten zwei Spielen auch zu einem erfolgreichen Abschluss führen, den Leverkusen, den Xabi Alonso, den Marcel verdient haben.
SPORT1: Alonso kletterte zuletzt zweimal hoch zu den Fans und feierte ausgelassen mit ihnen. Viele hätten die neue Fan-Wucht in Leverkusen nicht erwartet.
Christoph Daum: Das stimmt. Die Fankultur in Leverkusen ist mit der Infrastruktur auch gewachsen. Als ich damals da war, hatten wir 14000 Zuschauer, dann wurde das Stadion erweitert auf 21000, später auf über 30000. Jetzt hast du eine ganz andere Wucht im Stadion. Damals wurden Choreografien entwickelt. Der Fanblock wurde mehr und mehr zum 12. Mann. Heute gibt es 20 gleichwertige Spieler, zu meiner Zeit gab es zwölf. Es hat sich wirklich viel getan. Bayer Leverkusen wächst und wächst und wächst.
SPORT1: Wie sehen Sie es?
Marcel Daum: Ich kann das nur bestätigen. Wenn wir mit dem Mannschaftsbus ins Stadion fahren, dann ist da die Hölle los wie vor dem Spiel gegen Rom in der vorvergangenen Saison oder zuletzt vor der Partie gegen Bremen. Wir wurden förmlich ins Stadion getragen. Ich saß früher mit der Fahne auf der Tribüne und es war damals für mich schon besonders. Wenn man aber sieht, wie sich jetzt alles entwickelt hat, dann kann ich nur sagen: „Es macht einfach nur Spaß.“ Leverkusen hat viel gelitten in der Vergangenheit. Wir genießen jetzt einfach den Moment.
Christoph Daum: Aber durch die Rückschläge hat Leverkusen einen immer größeren Zusammenhalt gezeigt. Auch in der Öffentlichkeit wurde man immer mehr wahrgenommen. Früher gab es immer die Kritik, dass der Konzern dahinter stehen würde, es gab oft auf die Fresse. Doch durch bittere Niederlagen wurde man immer mehr zu einem ganz normalen Fußballverein.
Wirtz zum FC Bayern? „Wird schwer, ihn halten zu können“
SPORT1: Was ist das Besondere an Florian Wirtz? Er steht beim FC Bayern auf dem Zettel.
Marcel Daum: Flo kommt aus einem guten Elternhaus und wurde sehr diszipliniert erzogen. Er hat für sein Alter den maximalen Ehrgeiz. Er will nie verlieren, selbst im Bus mit den Jungs nicht, wenn sie zocken. Diese Einstellung hebt ihn deutlich ab von anderen Talenten. Ich denke, Flo ist sehr froh, bei uns zu spielen, er tut uns auch sehr gut und macht uns besser.
Christoph Daum: Es gibt in der Bundesliga nur einen Verein, der seine Spieler nicht zwingend abgeben muss, das ist der FC Bayern. Die Ausnahme war David Alaba. Alle 17 anderen Klubs sind abgebende Vereine. Wenn die Entwicklung bei Wirtz so weitergeht, dann wird es schwer werden ihn halten zu können. Bayer Leverkusen kann stolz sein, diesen Spieler so ausgebildet zu haben.
SPORT1: Holt Bayer Leverkusen das Triple?
Marcel Daum: Xabi sagt immer „tranquilo“ (deutsch: ruhig) und ich glaube, so halten wir das auch. Wir bereiten uns extrem gut auf beide Spiele vor und werden dann am Ende sehen, was dabei herauskommt. Hoffentlich das Maximum, aber der Sport ist kein Wunschkonzert. Am Ende müssen wir hart arbeiten und das tun wir. So lange bleiben wir „tranquilo“.