Ralf Rangnick muss sich nicht vorwerfen lassen, vor komplizierten Aufgaben zurückschrecken.
Rangnick ebnete Magath den Weg
Genau 25 Jahre ist es mittlerweile her, dass der als „Professor“ mal gefeierte, mal geschmähte Fußballlehrer seine ersten Fußstapfen in der Bundesliga hinterlassen hat. Und schwierigere Umstände hätte er sich dafür nicht aussuchen können.
Es war der 4. Mai 1999, der damals 40 Jahre alte Trainer-Jungstar hatte sich kurzfristig überreden lassen, früher als geplant beim damals stark abstiegsbedrohten VfB Stuttgart anzuheuern. Und er hatte genau einen Tag Zeit, um seine neue Mannschaft auf ihren Gegner am 30. Spieltag vorzubereiten.
„24 Stunden ist sicher nicht ganz so einfach. Aber wir haben ja morgen einen leichten Gegner, vielleicht gleicht es das aus“, blickte Rangnick bei seiner Vorstellung sarkastisch voraus. Der Gegner, von dem er redete: der FC Bayern.
Ralf Rangnick eilte der Ruf als „Professor“ voraus
Rangnicks Feuerprobe gegen den Rekordmeister - das sich kurioserweise kurz nach seiner Absage an den Klub in dieser Woche jährt - war damals mit Spannung erwartet worden: Sein Ruf als neues deutsches Trainer-Phänomen war ihm schon vor dem ersten Auftritt auf der Bundesliga-Bühne vorausgeeilt.
Der einstige Amateurspieler und -trainer des VfB hatte in der Saison 1998/99 in der 2. Bundesliga für Furore gesorgt, als er Aufsteiger SSV Ulm 1846 - am Samstag frisch in die 2. Liga zurückgekehrt - sensationell zur Herbstmeisterschaft führte. Bundesweite Prominenz erlangte Rangnick - der in Ulm auch einst Thomas Tuchel trainierte und prägte - spätestens am 19. Dezember 1998, als ihn das ZDF Sportstudio einlud und er Moderator Michael Steinbrecher dort an der Taktiktafel kenntnisreich sein Spielsystem erklärte.
Die Viererkette mit ballorientierter Raumdeckung und aggressivem Pressing hatte Rangnick sich schon 1984 von Trainer-Ikone Walerij Lobanowskyj abgeschaut, als Rangnick junger Spielertrainer in seiner Geburtsstadt Backnang war und Lobanowskyjs Dynamo Kiew bei einer Trainingsreise zu einem Freundschaftsspiel empfing.
In der Libero-Nation Deutschland war Rangnicks Lehrvortrag über die Viererkette 14 Jahre später aber immer noch ein bestauntes Exotikum - das ewige Image als „Fußball-Professor“ war geboren. Und es weckte Begehrlichkeiten.
Wildes VfB-Stuttgart-Jahr: Über drei Ecken von Löw zu Rangnick
Der VfB Stuttgart wurde wieder aufmerksam auf den ehemaligen U19-Coach und Jugendkoordinator, der den Klub 1994 verlassen hatte, nachdem ihm die damals gewünschte Beförderung ins Trainerteam von Chefcoach Jürgen Röber verwehrt geblieben war.
Fünf Jahre später befand sich der Deutsche Meister von 1992 in Turbulenzen: Klubboss Gerhard Mayer-Vorfelder stürzte den VfB in eine Krise, als er im Sommer 1998 eine fatale Fehlentscheidung traf.
Mayer-Vorfelder setzte trotz Platz 4 in der Liga und des Finaleinzugs im Europapokal der Pokalsieger den vielversprechenden Jungcoach Joachim „Jogi“ Löw vor die Tür und ersetzte ihn durch Veteran Winnie Schäfer.
Das unpopuläre Engagement des langjährigen Trainers des Lokalrivalen Karlsruher SC erwies sich als Missverständnis: Der VfB stürzte in Abstiegsnot, feuerte Schäfer - und unter den Nachfolgern Wolfgang Rolff und Rainer Adrion wurde es nicht besser.
Rangnick wurde eigentlich erst für den Saisonbeginn 1999/2000 engagiert (vom Job in Ulm trat er im März nach einer sportlichen Krise infolge der Wechsel-Turbulenzen zurück). Als der VfB fünf Spieltage vor Schluss noch immer nicht über den Berg war, wurde der Wechsel vorgezogen.
Beim Debüt gegen Bayern gelang Rangnick keine Wunderheilung, der von Ottmar Hitzfeld trainierte Rekordmeister siegte durch Tore von Mehmet Scholl und Carsten Jancker (Vorlagen: Lothar Matthäus und Hasan Salihamidzic).
Rangnick empfiehlt sich nicht für Bayern - dafür der Nachfolger
Rangnick führte den VfB trotz des verlorenen Debüts noch zum Klassenerhalt – und in der Saison darauf zu zwei Siegen über Bayern, die fast dazu geführt hätten, dass Bayer Leverkusen anstelle der Münchener Meister geworden wäre.
Ansonsten lief es für Rangnick in Stuttgart eher durchwachsen: Der VfB verharrte im Mittelmaß, belastet auch von Dauerunruhe in der Klubführung. Der immer mehr in die Kritik geratende Mayer-Vorfelder wurde im Herbst 2000 vom Hof gejagt, wenige Monate später zerstritt sich die sportliche Führung mit den Klubikonen Karlheinz Förster und Hansi Müller, beide traten zurück.
Auch Rangnick machte sich angreifbar: Ihm wurde vorgeworfen, mit seinen Vorstellungen zu forsch und kompromisslos bestehende Strukturen umwerfen zu wollen. Für viel Trubel sorgte vor allem seine Suspendierung von Spielmacher Krassimir Balakow im Herbst 2000.
Wenige Monate später stand der VfB wieder auf einem Abstiegsplatz, der neu installierte Sportdirektor Rolf Rüssmann drängte Rangnick zum Rücktritt. Ein Feuerwehrmann der alten Schule war gefragt: Felix Magath - der nicht nur den Klassenerhalt schaffte, sondern sich beim VfB letztlich auch für Bayern empfahl. Rangnick beeinflusste also schon vor 25 Jahren die jüngere Geschichte des FC Bayern - indirekt, aber in nicht unwesentlichem Maße.
Entzaubert? Ein Irrtum
Wer Rangnick nach dem erfolglosen VfB-Engagement und den ebenso turbulenten Stationen Hannover und Schalke als entzauberten Fußball-Revoluzzer abstempelte, sah sich im Irrtum.
Das Erfolgsprojekt 1899 Hoffenheim und der Pokalsieg beim zweiten Schalke-Engagement 2011 polierten das Image wieder auf. Die prägende Arbeit bei Red Bull und der Etablierung von RB Leipzig in der Spitze der Bundesliga folgte.
Das konstante Muster von Rangnicks Karriere als Trainer und Manager blieb, dass er sehr erfolgreich war, wo er viel Gestaltungsmacht bekam und eher weniger, wo er sich in festgefügten Strukturen mit anderen Alphatieren verkämpfte.