Thomas Tuchel wollte ihn gar nicht mehr loslassen. „So schön dich zu sehen. Ich bin so froh dich zu sehen. Du wirst das hier sehr gut machen und es hier lieben. Ich verspreche es dir.“
Abschied? Bayerns Plan mit Kim
Als Tuchel und Minjae Kim sich am Tegernsee im vergangenen Sommer das erste Mal begegneten, konnten Außenstehende den Eindruck bekommen, es könnte der Start einer echten Liebesbeziehung sein. Zehn Monate später sieht es allerdings komplett anders aus.
Der eine (Tuchel) sitzt auf gepackten Koffern und verlässt den Rekordmeister, der andere (Kim) gab jüngst Einblick in sein Seelenleben - und sagte dabei Sätze, die durchaus als Nachtreten in Richtung Tuchel gedeutet werden können.
„Als Verteidiger habe ich immer mit Überzeugung gespielt. Doch hier (beim FC Bayern, Anm. d. Red.) waren solche Eigenschaften nicht immer gefragt, was zu inneren Konflikten bei mir führte“, sagte der Südkoreaner jüngst bei t-online und dem koreanischen Portal Footballist.
Kim nach CL-Halbfinale in der Kritik
Die Aussagen, die nach dem letzten Bundesliga-Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg fielen (2:0), dürften auch eine Replik auf die harte Kritik nach dem Hinspiel des Champions-League-Halbfinales gegen Real Madrid (2:2) gewesen sein.
Dort hatte Kim, der gerne proaktiv verteidigt, zunächst Real-Stürmer Vinícius Junior aus den Augen verloren, als er zu weit aus der Kette gerückt war. Somit machte er eine unnötige Lücke auf, die der Brasilianer konsequent ausnutzte und einen Pass von Toni Kroos zur Führung der Madrilenen verwertete.
Später im Spiel ging der Bayern-Verteidiger, der den verletzten Matthijs de Ligt vertrat, dann noch zu ungestüm im eigenen Strafraum gegen Rodrygo zu Werke und verursachte den Strafstoß, der zum zweiten Münchner Gegentreffer führte. Im Anschluss hagelte es deutliche Kritik von Tuchel, der bei beiden Gegentreffern seinen Verteidiger als „zu gierig“ bewertete.
Tuchel relativiert Kritik an Kim
Wenige Tage später relativierte der 50-Jährige seine Kritik: „Die Fehler passieren in einem guten Antrieb, darum fällt die Kritik auch milde aus. Die gibt es inhaltlich natürlich, aber es ist einfach, ihn zu unterstützen, weil man ihn eigentlich nur ein bisschen zügeln muss, ein bisschen zurückhalten“, sagte Tuchel vor dem Stuttgart-Spiel.
Doch die Worte hatten beim Innenverteidiger Eindruck hinterlassen. Gegen Wolfsburg startete Kim erneut und spielte gehemmt, wie er verriet. „Es gab viele Momente während des Spiels, in denen ich gezögert habe. Weil ich nicht mit voller Überzeugung spielen konnte. Ich habe mich sehr bemüht, das zu zeigen, was der Trainer wollte.“
Kims Worte verraten auch: Der Abwehrspieler hatte kein einfaches erstes Jahr beim deutschen Rekordmeister. Im vergangenen Jahr kam er auf ausdrücklichen Wunsch von Tuchel aus Neapel nach München. Mit 42 Millionen Euro Ablöse ist der Südkoreaner, der im vergangenen Jahr zum besten Defensivspieler der Serie A gewählt wurde, immerhin vierteuerster Abwehrspieler der Vereinsgeschichte und die sechstteuerste Verpflichtung insgesamt.
Ein Jahr später kann man diesen Deal zumindest hinterfragen: Warum holen die Bayern einen Spieler für eine solch hohe Ablöse, wenn er offenbar mit seiner Spielidee nicht in das System des Trainers passt?
Kim und Bayern - wie geht es weiter?
Klar ist: Aktuell deutet wenig darauf hin, dass sich die Wege von Bayern und Kim nach nur einem Jahr schon wieder trennen. Nach SPORT1-Informationen genießt die 1,90 Meter große Abwehrkante, die in ihrer Heimat den Spitznamen „Monster“ trägt, bei den Bossen noch viel Kredit.
Zudem wird ihm intern eine Schonfrist zugestanden. Denn die Umstände, mit denen Kim in seiner ersten Saison in München zu kämpfen hatte, waren alles, nur eines nicht: ideal.
Das fing bereits im vergangenen Sommer an. Noch vor seinem Wechsel nach München musste Kim einen mehrwöchigen Militärdienst in seiner Heimat absolvieren. Erholung? Kaum bis gar nicht möglich. Verspätet stieß er dann zur Vorbereitung des Rekordmeisters am Tegernsee und war dann auch Teil der anschließenden Asien-Reise. Dort hinterließ er dennoch einen ordentlichen Eindruck und spielte sich direkt in die Stammelf.
Kaum Erholung für Kim
In dieser blieb er zunächst. Und er spielte in der Hinrunde fast jede Partie - trotz durchwachsener Leistungen. Doch die Verletztensituation - Konkurrent de Ligt fiel mit einer Knieverletzung wochenlang aus - und die angespannte Personallage in der Defensive (nur drei gestandene Innenverteidiger im Kader) ließen Tuchel keine andere Möglichkeit, als den teilweise überspielt wirkenden Südkoreaner weiter aufzubieten.
Im Winter ging es für Kim dann zum Asien-Cup. Dort kam er mit seiner Nationalmannschaft unter Trainer Jürgen Klinsmann bis ins Halbfinale, das er allerdings gelbgesperrt verpasste.
Nur vier Tage nach der Halbfinal-Enttäuschung stand Kim bereits wieder in der Bundesliga auf dem Platz. Tuchel beorderte den Rückkehrer im Topspiel gegen Bayer Leverkusen direkt in die Startelf. Eine Maßnahme, die krachend scheiterte.
Pleite in Leverkusen ein Knackpunkt für Kim
Tuchels taktische Idee von einer Dreierkette floppte gegen die Alonso-Elf völlig, bei der Werkself gab es eine herbe 0:3-Klatsche - der Anfang vom Ende der Meisterträume. Gleichzeitig war es auch für Kim eine Art Zäsur, denn in den kommenden Wochen verlor er seinen Stammplatz.
Tuchel setzte nun auf de Ligt und Winterneuzugang Eric Dier als Duo Nummer eins in der Abwehrzentrale. Ein Grund neben der sportlichen Leistung: Tuchel gefiel die Kommunikation der beiden Innenverteidiger. Dier spiele klar und spreche viel. Zudem habe er einen guten Draht zu de Ligt, betonte Tuchel Anfang März. Kim fiel bis dahin nicht unbedingt als Lautsprecher auf dem Platz auf.
Mit dem Abgang von Tuchel bekommt auch Kim eine neue Chance, sich wieder ins Rampenlicht zu spielen, auch wenn er zunächst Herausforderer sein dürfte. Vielleicht legt der neue Coach dann ja auch wieder mehr Wert auf die Qualitäten des „Monsters“.