Im Saisonendspurt ein letztes Mal alles geben, dann ist für Patrick Herrmann nach über 400 Einsätzen bei Borussia Mönchengladbach endgültig Schluss. Nur die Vereinslegenden Berti Vogts, Uwe Kamps, Herbert Wimmer und Wolfgang Kleff liefen noch häufiger für die Fohlen auf.
„Dieses Jahr tat es unfassbar weh“
Doch im Sommer hängt der 33-Jährige seine Fußballschuhe an den Nagel und beendet seine beeindruckende Laufbahn. SPORT1 hat mit ihm gesprochen.
SPORT1: Patrick Herrmann, Sie haben sich dazu entschlossen, am Saisonende Ihre aktive Karriere zu beenden. Für Sie gibt es noch drei mögliche Spiele und überschaubar viele Trainingseinheiten. Mit welchem Gefühl kommen Sie in diesen Tagen in die Kabine?
Herrmann: Da ist schon viel Wehmut dabei. Es sind nur noch drei Wochen, darüber habe ich wieder mit Florian Neuhaus gequatscht. In so einer langen Karriere - ich bin seit 16 Jahren hier - sind drei Wochen fast gar nichts. Daran denke ich gerade jeden Tag, das muss ich zugeben. Wenn man mitten in der Karriere ist, hat man es gar nicht im Sinn, dass es eines Tages einfach vorbei ist. Jetzt ist das allgegenwärtig.
SPORT1: War das Leben als Fußballprofi eine glückliche Zeit?
Herrmann: Absolut! Es war die bisher schönste Zeit meines Lebens. Ich durfte mein Hobby zum Beruf machen, konnte im Borussia-Park vor so vielen Leuten spielen, Tore schießen, geile Spiele absolvieren und schöne Momente erleben.
SPORT1: Sie stehen in der Gladbacher Liste der Bundesliga-Rekordspieler auf Platz fünf, damit vor Legenden wie Jupp Heynckes oder Günter Netzer. Wie stolz macht das?
Herrmann: Extrem stolz. Wenn man älter wird, dann wird einem das noch viel mehr bewusst als es heute der Fall ist. Ich stelle mir immer vor, wie ich mit 60 Jahren in meinem Kaminsessel sitzen werde und bei einem leckeren Rotwein darüber nachdenke, wie meine Karriere denn war. Dann kann ich das bestimmt besser Revue passieren lassen, was das für eine enorme Anzahl an Spiele ist, die ich hier für die Borussia absolviert habe.
SPORT1: Sie haben nie einen großen Titel geholt. Stört Sie das manchmal?
Herrmann: Ein bisschen schon. Gerade dieses Jahr tat es unfassbar weh, dass wir gegen Saarbrücken aus dem DFB-Pokal ausgeschieden sind, weil es für mich die letzte Chance war, etwas mit dem Verein zu holen. Trotzdem bin ich extrem stolz auf die Jahre, die ich hier gespielt habe. Wir haben zwar nichts in die Höhe gesteckt, aber doch einiges erreicht.
Patrick Herrmann spricht über seine Trainer
SPORT1: Lucien Favre, Dieter Hecking, Marco Rose, Adi Hütter, Daniel Farke oder ein ganz anderer - welcher Trainer war in Ihren Jahren als Profi der wichtigste?
Herrmann: Man nimmt ja von jedem Trainer etwas mit. Von dem einen ein bisschen mehr Positives, von dem einen oder anderen vielleicht auch mal etwas Negatives. Der Förderer meiner Karriere war aber Lucien Favre. Ich habe unfassbar viel von ihm gelernt. Er hat damals auf die jungen Spieler wie mich gesetzt und uns sehr weiterentwickelt. Durch ihn bin ich zum Bundesliga-Spieler gereift und sogar Nationalspieler geworden.
SPORT1: Sie behaupteten einst, dass die Analysen unter Ex-Trainer Daniel Farke häufig „ein bisschen länger“ gingen und plauderten dabei einen Fauxpas eines Teamkollegen aus: „Wir hatten es schon auch mal in den letzten Jahren, dass einer (bei der Video-Analyse, Anm. d. Red.) eingeschlafen ist.“ Können Sie jetzt sagen, wer das war?
Herrmann: Wir hatten es schon öfter mal, dass jemand kurz weggenickt ist. Die Video-Analysen waren gut, so manches Mal aber doch einen Tick zu lange. Bei der einen Situation war ich gar nicht dabei, das ist im Trainingslager passiert. Die Nationalspieler sind damals nachgekommen und schauten sich die Analysen, die alle anderen vorher schon einmal gesehen hatten, nochmal an. Über die Vorbereitung sammelte sich da einiges an, dementsprechend lange ging das. Ich kann nur sagen: Der betroffene Spieler ist heute noch aktiv, allerdings nicht mehr für die Borussia (lacht).
SPORT1: Wissen Sie eigentlich, gegen welchen Verein Sie am häufigsten gespielt haben?
Herrmann: Es muss ja ein Verein sein, der die ganze Zeit in der Bundesliga gespielt hat. Dortmund oder Bayern vielleicht?
SPORT1: Richtig, gegen den FC Bayern München. Mit zehn Siegen und sieben Remis in 26 Spielen ist Ihre Ausbeute auch erstaunlich gut. Sind Sie ein Bayern-Spezialist?
Herrmann: Ich habe neulich erst gelesen, dass ich unter allen Profis, die noch spielen, derjenige bin, der die meisten Siege gegen die Bayern geholt hat. Von Zufall ist da sicherlich nicht mehr zu sprechen (lacht).
„Wir hatten ein blindes Verhältnis auf dem Platz“
SPORT1: Wie erklären Sie es sich denn, dass Gladbach oft als der große Angstgegner der Bayern bezeichnet wird?
Herrmann: Es war bis jetzt immer dieses Zusammenspiel zwischen den Fans und unserer Mannschaft, die absolut motiviert war. Für uns Spieler ist cool, sich mit den Besten zu messen - und das war in den letzten Jahren eben oft der FC Bayern. Sie hatten das beste Team, vielleicht hat uns das diesen gewissen Extraschub gegeben. Als Erstes kommt mir da der Auftakt zur Rückrunde 2012 in den Sinn. Ein Free-TV-Spiel, auf das ganz Deutschland schaute, weil wir auch gut dastanden. Es war ein echtes Spitzenspiel. Dann haben wir zuhause mit 3:1 gewonnen und ich schoss noch zwei Tore, das war verrückt.
SPORT1: Eine tolle Zeit hatten Sie auch mit Marco Reus, der Borussia Dortmund im Sommer verlässt. Was würden Sie ihm nun raten?
Herrmann: Einen Rat geben, ist schwierig. Jeder muss selbst entscheiden, was für einen richtig ist. Wenn man alle zwei Jahre den Verein wechselt, ist das auch völlig in Ordnung. Jeder geht seinen eigenen Weg. Ich kann nur sagen, dass es unfassbar viel Spaß gemacht hat, mit Marco zusammenzuspielen. Wir hatten ein blindes Verständnis auf dem Platz. Für mich persönlich war es die schönste Zeit, die ich hier erlebt habe.
SPORT1: Sie haben immerhin zwei Länderspiele für das DFB-Team bestritten. Im Sommer steht die Heim-EM an – was trauen Sie der deutschen Mannschaft zu?
Herrmann: Viel! Ich hatte mir im Winter sogar schon Karten für zwei Spiele geholt. Online hatte ich mich eingeschrieben, tatsächlich welche bekommen und auch richtig Lust, die zu gucken. Abgesehen davon, dass die letzten beiden Testspiele wirklich gut waren, traue ich dem im DFB-Team nämlich eine ganze Menge zu. Wir haben eine sehr gute Mannschaft, die wir nur zusammenbringen müssen. So eine Heim-EM macht ja auch was mit einem, egal ob bei den Fans oder den Spielern – da wird noch so viel Euphorie aufkommen!
SPORT1: Gab es zu der Zeit, als Sie im Nationalteam waren, auch diese Ausnahmefußballer wie Jamal Musiala oder Florian Wirtz?
Herrmann: Ja, Mario Götze und Marco Reus, als er in seiner Hochform war! Die beiden waren absolute Ausnahmekönner. Ansonsten hatte ich oft auch sehr starke Gegenspieler. Mir fällt da spontan Philipp Lahm ein, der unter all denen sicherlich nochmal heraussticht.
Hermann möchte mit drei Legenden in die Nordkurve
SPORT1: Bei der EM sind Sie also im Stadion. Von wo aus werden Sie Gladbachs Spiele denn in Zukunft verfolgen - aus der Fan-Kurve?
Herrmann: Bestimmt nicht jedes Spiel, aber es steht natürlich auf meiner Bucket-List drauf, mal in der Nordkurve zu sein. Ich möchte auch mal ein Auswärtsspiel als echter Fan mitmachen - darauf habe ich richtig Bock!
SPORT1: Zusammen mit Ihren Freunden Christoph Kramer und Tony Jantschke, der seine Karriere ebenfalls beendet, das wäre doch eine schöne Konstellation…
Herrmann: Definitiv! Mit Tony würde es ja nächste Saison theoretisch schon gehen, auf Chris muss ich noch ein bisschen warten. Aber das wird auf jeden Fall so kommen, dass wir da mal eine coole Reise zusammen machen, wenn wir alle aufgehört haben. Auch noch mit Lars Stindl.
SPORT1: Sie sollen ab Sommer in der Sponsoring-Abteilung der Borussia arbeiten - schon gut vorbereitet?
Herrmann: Das ist etwas schwierig, wenn man 16 Jahre lang nur Fußball gespielt hat. Ganz ehrlich, das strukturelle Arbeiten oder allein schon ein normales Arbeitsleben kenne ich ja gar nicht. Das wird herausfordernd, aber ich habe da richtig Lust drauf. Ich will lernen, zuschauen, helfen - und bin gespannt, was auf mich zukommt.
SPORT1: War es für Sie immer klar, dass Sie dem Fußball erhalten bleiben wollen oder gab es für die Karriere nach der Karriere auch andere Gedanken? In einem früheren Interview haben Sie zum Beispiel verraten, dass Sie ein guter Handwerker sind.
Herrmann: Das stimmt, aber beruflich wäre das nichts für mich. Zu Hause werde ich weiter alles reparieren. Ansonsten war es für mich immer klar, dass ich auch nach meiner aktiven Karriere was bei der Borussia machen möchte.