Manche Antworten sind an und für sich witzig gemeint, drücken beim genauen Hinhören jedoch auch eine ungemeine Wertschätzung aus - so wie eine des früheren Gladbachers Marcus Thuram, die er im Juli 2020 tätigte. Als der französische Nationalspieler auf sein erstes Jahr bei der Borussia zurückblickte, wurde er in einem Interview mit dem Fußballmagazin 11 Freunde gefragt, was für ihn typisch deutsch sei. Seine kurze und knappe Entgegnung: volle Stadien, Bier und Tony Jantschke.
Ein Fußballgott sagt Tschüss
Ein freches Lachen ließ Thuram damals ebenso wie die dazugehörige Erklärung folgen. „Er ist hochseriös, diszipliniert und mag es, wenn die Dinge ihre Ordnung haben. Es ist ja kein Zufall, dass er sich bei uns um den Strafenkatalog kümmert. Er ist unser Polizist“, begründete der Vizeweltmeister von 2022 die originelle Reaktion und hob seine persönliche Beziehung zu ihm hervor, die eine ganz besondere gewesen sei: „Man könnte sogar sagen: Tony Jantschke ist für mich wie ein deutscher Papa! Er passt auf.“
Jantschke der ‚One Club Man‘
Nur eine von vielen Anekdoten, welche stellvertretend zeigt: Jantschke ist in Gladbach längst eine absolute Institution. Seit seinem Bundesliga-Debüt 2008 unter Trainer Hans Meyer spielt der heute 34 Jahre alte Verteidiger durchgehend am Niederrhein, ist also ein echter ‚One Club Man‘. Einer aus der äußerst selten gewordenen Sorte an Fußballern, die ihre gesamte Karriere bei einem einzigen Verein verbringen. Stolze 302 Mal lief er inzwischen für die Profis auf - entsprechend genießt er höchste Wertschätzung.
Logischerweise auch unter den Fans. Immer wieder erhält der schon als 16-Jähriger vom FV Dresden-Nord in die Nachwuchsabteilung der Fohlen gewechselte Jantschke beim Verlesen der Aufstellungen den liebevollen Zusatz „Fußballgott“. Einzig und allein seinem unfassbaren Verletzungspech, das ihm vor allem in der jüngeren Historie unzählige Einsätze kostete, ist es verschuldet, dass dem ehemaligen U21-Nationalspieler den Gladbacher Weg in den letzten Jahren nicht noch mehr als ohnehin schon geprägt hat.
Seit Oktober 2021, als Jantschke mit mehreren Brüchen im Gesicht ausfiel und sechs Spiele verpasste, musste er sich von sage und schreibe zehn weiteren Rückschlägen erholen. Alles war dabei: Knieprobleme, Corona und muskuläre Dinge - eben die komplette Bandbreite. Zuletzt fehlte der Abwehrspieler über einen Monat wegen einer Adduktorenverletzung, wurde aber ausgerechnet zu seinem letzten Tanz im Borussia-Park wieder fit. Denn im Sommer hängt Jantschke - wie sein langjähriger Kollege Patrick Herrmann - seine Fußballschuhe an den Nagel.
„Gelebte Vereinstreue und Loyalität“
Bei Instagram schrieb Jantschke, ein unermüdlicher Arbeiter, der sich stets in den Dienst der Mannschaft stellte: „Ich habe immer probiert, authentisch, geradeaus sowie voller Hingabe zu sein und alles, inklusive meines Körpers, auf dem Platz zu lassen. Natürlich macht sich das bemerkbar, und die letzten Jahre waren geprägt von Auf und Abs sowie einigen Operationen und Reha-Zeiten. Ich habe probiert, trotzdem der beste Teamplayer zu sein: sei es durch Anfeuern, vielleicht einfach auch mal durch Zuhören oder auch durch schlechte Witze.“ Dass ihm das gelungen ist, bewies sein finaler Auftritt am Samstag.
Schließlich wurde dieser hochemotional - schon vor dem Anpfiff. Vom Verein bekamen sowohl Jantschke als auch Herrmann die Trikots ihrer ersten Profieinsätze geschenkt. Jantschke debütierte am 29. November 2008 gegen Cottbus (1:3) mit der Nummer 37, Herrmann trug am 16. Januar 2010 gegen Bochum (1:2) die 42 auf dem Rücken. In der Nordkurve wurde dazu eine große Fahne mit Herrmanns aktueller Nummer und seinem Namen geschwenkt. Jantschke erhielt ein Spruchband von den Fans. „Danke Tony für gelebte Vereinstreue und Loyalität“, stand darauf.
Zum letzten Mal Gladbach-Kapitän im Borussia-Park
Und was beide zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: Es sollte später auch ein letztes Mal im Trikot auf den Rasen des Borussia-Parks gehen. Cheftrainer Gerardo Seoane wechselte die VfL-Urgesteine gegen Frankfurt (1:1) tatsächlich ein. Zuerst Jantschke, der in der laufenden Saison zuvor nur zu drei Kurzeinsätzen kam - und demonstrierte damit, wie groß das Vertrauen in ihn nach wie vor ist. Als der Defensiv-Spezialist in der 85. Minute für Nico Elvedi rein durfte, waren es jedenfalls alles andere als bloß ein paar Ehrenminuten.
Immerhin lagen die Kölner im Parallelspiel gegen Union noch zurück, der Klassenverbleib war in diesem Moment folglich nicht gesichert. „Großes Kompliment an den Coach, dass er mir noch ein paar Minuten gegeben hat. Das war nicht selbstverständlich“, sagte Jantschke, dem Jonas Omlin passend zum Anlass auch die Kapitänsbinde überreichte. Zusammen brachte sie anschließend das Remis über die Zeit, zum gab‘s frohe Kunde vom rheinischen Rivalen - sodass die Feierlichkeiten umso ausgelassener starteten.
Nach dem Schlusspfiff, als die Fans stehend applaudierten und Sprechchöre für Jantschke und Herrmann anstimmten, hatten sich alle Mitspieler, Trainer und Betreuer eines der Abschiedsshirts übergestreift. Es folgte eine emotionale Ansage des Capos, für die beiden Protagonisten dann auch noch ein Bad in der Menge, nachdem sie über den Zaun in die Nordkurve geklettert waren. Als die Legenden knapp eine halbe Stunde später erstmals mit ihren Familien in Richtung Kabine gingen, waren sie sichtlich gerührt.
„Ich werde meine Zeit als Profi vermissen“
Selbst der normalerweise eher introvertierte Jantschke konnte nicht mehr verbergen, dass ihm dieser Tag sehr nahe ging. „Nach meiner Verletzung hat es mir sehr viel bedeutet, noch einmal im Borussia-Park auflaufen zu dürfen. Schon während des Spiels war die Stimmung top, danach wurde es umso besonderer“, sagte er gefasst und fügte hinzu: „Das zeigt, dass man viel richtig gemacht hat. Für all das bin ich sehr dankbar und ich werde meine Zeit als Profi vermissen.“
Doch die gute Nachricht für alle Gladbacher Anhänger heißt bekanntlich: Wie Herrmann, der in den Marketing-Bereich wechselt, bleibt auch Jantschke dem Klub erhalten. Der Abwehrmann wird sich künftig als Teil des Trainerteams um die Top-Talente im Profikader und den Nachwuchs kümmern - wobei er seine große Erfahrung und Mentalität direkt mit den nächsten Generationen teilen kann. „Ich freue mich auf die neue Aufgabe“, blickte er bereits nach vorne. Ganz ohne Wehmut klappt dies allerdings nicht.
„Ich denke jetzt erst einmal an die vielen schönen Momente zurück und an die vielen interessanten Menschen, die ich kennenlernen durfte. An den vielen Müll, den wir über die Jahre in der Kabine so geredet haben, an die vielen Charaktere und auch an die vielen durchgeknallten Typen“, meinte Jantschke, der dieses Leben innerhalb der Kabine noch ein letztes Mal aufsaugen darf - am kommenden Wochenende, wenn Gladbach in Stuttgart gastiert. Danach ist endgültig Schluss.