Es war eine Trainer-Entscheidung, die schon von Beginn an als Wagnis galt.
Eine Sensation, die zum Fiasko wurde
Jürgen Klinsmann als Coach des FC Bayern, für den er einst auch gestürmt hatte: Das war eine Überraschung, ein Sensations-Deal - vor allem angesichts dessen, wie sehr sich Klubpatron ihn noch wenige Jahre zuvor auf dem Kieker hatte.
Klinsmanns Zeit als Bundestrainer zwischen 2004 und 2006 war von Konflikten mit dem Rekordmeister gepflastert - nicht nur den um die Degradierung von FCB-Ikone Oliver Kahn als Torhüter Nummer 2 hinter Jens Lehmann.
Klinsmann kam dann tatsächlich her, nach München. Die Bayern-Bosse vertrauten dem alten Freundfeind die Mission an, als Nachfolger des erschöpften Ottmar Hitzfeld beim Rekordmeister einen ähnlichen Umbruch zu vollziehen wie zuvor im DFB-Team.
Es endete heute vor 15 Jahren mit einem Fiasko und Klinsmanns Entlassung.
Jürgen Klinsmann und der FC Bayern: Ein Missverständnis
Dass es so enden könnte, hatte sich früh angedeutet. Dem berühmt-berüchtigten Versprechen Klinsmanns, er wolle „jeden Spieler jeden Tag ein bisschen besser machen“, standen schon bald erste Irritationen gegenüber.
Dass Klinsmann mit einem gleich zehnköpfigen Assistenztrainer-Team an seiner Seite aufmarschierte, löste ebenso Diskussionen aus wie der Trainingsauftakt unter den Augen von auf dem Dach aufgestellten Buddha-Statuen (Klinsmann berichtete viele Jahre später, dass sie gar nicht von ihm waren).
Wie zuvor auch beim DFB wurden Klinsmanns teils schrullige Ideen und seine selbstbewussten Ansagen mit einer Mischung aus Amüsement und Grantelei aufgenommen.
Sportliche Erfolge, die den Diskussionen die Luft genommen hätten, stellten sich in München jedoch nicht so ein wie erhofft.
Rangnick ärgerte Bayern mit Hoffenheim
Klinsmanns erste Bilanz nach 100 Tagen fiel ernüchternd aus: Die Bayern legten unter ihm den schlechtesten Saisonstart seit 31 Jahren hin, unter anderem setzte es eine 2:5-Heimklatsche gegen Werder Bremen, zwischenzeitlich hatte es 0:5 gestanden.
Als Team der Hinrunde kristallisierte sich stattdessen der mit jungen Top-Talenten gespickte Aufsteiger 1899 Hoffenheim heraus - trainiert von einem gewissen Ralf Rangnick -, den ein Sensationslauf bis zum inoffiziellen Herbstmeister-Titel trug.
In München dagegen bestimmen Debatten um Klinsmanns Arbeit und seine Personalentscheidungen den Alltag. Im Zentrum steht unter anderem der von ihm wenig beachtete Sommermärchen-Held Lukas Podolski. Er entschließt sich im Winter zur Flucht in die Heimat Köln, nachdem er nur noch Stürmer Nummer 4 hinter Miroslav Klose, Luca Toni und US-Leihgabe Landon Donovan ist - noch eine Personalie, auf die sich viel Unverständnis fokussiert.
Schon im Februar signalisiert Vorstand Karl-Heinz Rummenigge, dass Klinsmanns Zukunft über den Sommer hinaus ungewiss ist. Das Pokal-Aus in Leverkusen Anfang März und durchsickernde Nachrichten eines Taktikstreits zwischen Klinsmann und der Mannschaft schwächen seine Position weiter. Einen Monat später folgt der Beginn des Zerfalls.
Von Magath und Guardiola gedemütigt
Am 4. April verliert Bayern das Topspiel gegen den größten Meisterkonkurrenten VfL Wolfsburg krachend mit 1:5. Demütigende Höhepunkte: das Hackentor von Grafite und die sarkastische Einwechslung von Ersatzkeeper André Lenz durch Wölfe-Coach Felix Magath - später Revanchehieb für seine eigene Ausbootung bei Bayern drei Jahre zuvor.
In der Champions League vergrößert sich das Klinsmann-Desaster durch das 0:4-Debakel gegen den FC Barcelona - trainiert von einem gewissen Pep Guardiola. Lionel Messi und Co. stellen den Endstand in nur einer Halbzeit sicher, die bemitleidenswerte Bayern-Abwehr mit Martin Demichelis, Breno, Massimo Oddo und Christian Lell wird umtänzelt wie Slalomstangen. Torwart-Veteran Jörg Butt, von Klinsmann kurzfristig dem immer wieder glücklosen Kahn-Nachfolger Michael Rensing vorgezogen, ist schuld- aber machtlos.
Am 25. April 2009 vergrößert ein 0:1 gegen Schalke 04 – mit einer Gelb-Roten Karte gegen Franck Ribéry - die Gefahr, nicht nur den Meistertitel, sondern auch die Champions-League-Qualifikation zu verpassen. Rummenigge, Hoeneß und der damalige Finanzchef Karl Hopfner beschließen darauf Klinsmanns Aus. Legende Jupp Heynckes wird zum ersten und nicht zum letzten Mal zu Hilfe gerufen.
Klinsmann sah die Schuld nicht bei sich
Klinsmann zeigt sich „sehr enttäuscht“ von seiner Demission, ist aber immer noch der Überzeugung, wertvolle Arbeit geleistet zu haben („Wir haben den Grundstein gelegt für die Zukunft“).
Die Gewissheit, bei Bayern vor allem an internen Widerständen gescheitert zu sein, führt Wochen später zur nächsten Explosion.
In einem Auftritt bei Stern TV kritisiert Klinsmann, dass ihm die „Alphatiere“ das Leben schwer gemacht hätten: „Ich bin mit meiner Denkweise hier und da an die Grenzen gestoßen, weil ich es oftmals mit Leuten zu tun hatte, die sich nicht weiterentwickeln wollen, die mehr auf Besitzdenken fixiert waren.“
Ein erboster Hoeneß schießt Tage später bei SPORT1 im Doppelpass aus allen Rohren zurück.
Hoeneß-Explosion im Doppelpass
„Wenn du geschwiegen hättest, wärst du Philosoph geblieben. Klinsmann war der Trainer in der Geschichte des FC Bayern mit der größten Machtfülle“, schimpft er: „Seine Wünsche wurden nicht erfüllt, sondern übererfüllt. Davon zu reden, er habe nicht durchsetzen können, was er wollte, ist falsch.“
Und überhaupt: „Sein einziger Vorschlag für eine Neuverpflichtung in der Winterpause war Donovan, von dem Hermann Gerland sagt, bei ihm würde er nicht mehr in der zweiten Mannschaft spielen.“
Einmal in Rage, traf Hoeneß' Zorn auch Stern-TV-Moderator Günther Jauch, der den anfänglichen Hype um Klinsmann mit dem um US-Präsident Barack Obama verglichen hatte: „Wenn der Jürgen Klinsmann Obama ist, dann bin ich Mutter Teresa!“
Als Nachfolger Klinsmanns holt Bayern Louis van Gaal - unter wiederholter Betonung, dass man nach Klinsmann wieder einen „Fußball-Lehrer“ brauche. Der Niederländer läutet dann tatsächlich erfolgreichere Zeiten ein. Wenn auch nicht unbedingt ruhigere.