Im vergangenen Herbst sprach Xabi Alonso einmal davon, wie er nach seiner Ankunft in Leverkusen die damals schwächelnde Mannschaft gezielt Umschaltfußball spielen ließ, um zunächst aus der sportlichen Misere zu gelangen. Immerhin war Bayer Leverkusen Vorletzter in der Bundesliga, als Alonso den damals geschassten Gerardo Seoane ersetzte.
Alonsos Erfolgsgeheimnis
Doch Umschaltfußball mit relativ geringeren Ballbesitzzeiten war für den Basken lediglich ein Mittel zum Zweck. Die Saison 2022/23 war nicht die Zeit für Experimente, zumal Alonso nicht den Luxus besaß, seinem Team in aller Ruhe seine taktischen Konzepte zu vermitteln.
Die Sommerpause danach war dafür schon eher geeignet. In Vorbereitung auf die laufende Saison veränderte Alonso bewusst die Spielanlage der Werkself hin zu einem Ballbesitz-lastigen Fußball. Die grundsätzliche Struktur, die wir in den vergangenen Monaten gesehen haben, sowie der Spielrhythmus mit einer kontrollierten Spieleröffnung wurde von Alonso vorgegeben. Er wollte, dass sein Team so viel wie möglich Dominanz am Ball entwickelt und zugleich methodisch Raumgewinne erzielt.
Eine Besonderheit des Leverkusener Spiels ist dabei der Ziehharmonikaeffekt bei eigenem Ballbesitz. Auf Vorwärtspässe folgt in der Regel eine kurze Ablage zurück zu einem der Innenverteidiger oder Sechser. Der Gegner lässt sich häufig hinter den vorderen Passempfänger zurückfallen, rückt dann jedoch nicht postwendend wieder raus, wenn der Ball erneut bei Granit Xhaka und Co. landet.
So marschiert Leverkusen das Feld hinunter, ohne volles Risiko zu gehen. Die Ballsicherung steht im Mittelpunkt des Ganzen.
Individuelle Qualität in den Offensivzonen entscheidend
Im Vergleich zur Vorsaison wurde die Werkself punktuell ergänzt. Xhaka fungiert als Ballmagnet und Impulsgeber von der Sechserposition und nimmt insofern jene Rolle ein, die Xabi Alonso während seiner aktiven Spielerkarriere oftmals innehatte. Hinzu kamen Álex Grimaldo, Jonas Hofmann und Victor Boniface, die allesamt ebenfalls hervorragend in das Ballbesitzsystem passen.
Da Leverkusen sehr stark auf die Ballkontrolle im Zentrum ausgerichtet ist, wirkt ein taktisch intelligenter Flügelläufer wie Grimaldo nicht nur essenziell, um die linke Seite zu beackern, sondern auch für gut abgestimmte einrückende Läufe in Richtung gegnerischer Strafraum.
Alonso hat darüber philosophiert, wie wichtig individuelle Qualität vor allem in den vorderen Spielfeldzonen ist. Der Spielaufbau kann noch so gut am Reißbrett konzipiert und auf dem Spielfeld umgesetzt werden, in den engen Räumen in Tornähe braucht es Intuition, Handlungsschnelligkeit und technische Präzision, über die etwa ein Grimaldo oder erst recht Florian Wirtz verfügen.
Sobald die Offensivakteure etwa von Xhaka, der in dieser Saison eine konstant starke Feldwahrnehmung zur Schau stellt, in Position gebracht werden, können sie sich in den Zwischenlinienräumen beweisen und Durchbrüche erzielen.
Bayer spart sich die Kräfte gut ein
Die Spielanlage mit der hohen Ballsicherheit ermöglicht es der Werkself, unterlegene Gegner und deren enge Defensivformation nach und nach auseinanderzuspielen. Ebenso hat Leverkusen die Möglichkeit, ambitionierte Teams wie zuletzt West Ham United in der Europa League über die Spielzeit hinweg zu entnerven.
Aufgrund des relativ langsamen Spielrhythmus und der vergleichsweise geringen Zahl an Pressingsequenzen verbrennen Alonsos Spieler zudem nicht so schnell ihre Energiereserven. Alles andere als zufällig hat der neue Deutsche Meister in einigen Partien hintenraus noch die entscheidenden Tore erzielt.
Hinzu kam natürlich ein im Laufe der Saison wachsendes Vertrauen in die eigenen Stärken. Der erste Impuls ging jedoch von Alonso aus, der mit seiner Aura und überlegenen Art dem Leverkusener Team ein neues Selbstverständnis einimpfte.