Als Christian Streich Ende Dezember 2011 vom damaligen Präsidenten Fritz Keller gebeten wurde, beim SC Freiburg die Nachfolge des soeben entlassenen Cheftrainers Oliver Sorg anzutreten, zögerte Streich - und sagte zunächst ab.
Ein schwer vorstellbares Szenario
Er hatte Bedenken. „Wenn wir dann keine Spiele gewinnen und die Leute kommen ins Stadion und sagen: ‚Beim Christian spielen die keinen guten Fußball‘, das war mir fast zu viel Verantwortung. Ich hatte da ein bisschen Angst davor“, sagte er fast ein Jahr später bei Sky.
Doch Keller blieb hartnäckig, überzeugte ihn davon, dass das der beste Weg sei. „Dann habe ich gesagt: ‚Gut, dann mach‘ ich es!‘“, erklärte Streich. Gesagt, getan! Damit war der Grundstein für die bemerkenswerte Entwicklung des Sport-Clubs in der jüngeren Geschichte gelegt.
Und vielleicht hilft dieser Blick zurück an den Anfang bei der Einordnung der momentanen Situation.
Leichte Tendenz in Richtung Aufhören?
Eigentlich wollte Sport-Vorstand Jochen Saier keine Überschriften produzieren, wie er Anfang der Woche in der ran Bundesliga Webshow mehrfach betonte. Doch die Schlagzeilen ließen sich nicht vermeiden.
„Beim SC Freiburg steht die Frage nach der Zukunft von Christian Streich im Raum“, titelte die Badische Zeitung am Dienstag. Es gäbe demnach eine „leichte Tendenz in Richtung Aufhören“. Auch für die Bild ist ein Streich-Rückzug so wahrscheinlich wie noch nie in seiner Karriere.
Angesprochen auf seine Zukunft hielt sich der nach einem grippalen Infekt weiterhin angeschlagene Streich bedeckt. „Ich sag‘s Ihnen, ich vergesse es nicht. Sobald es klar ist, informiere ich Sie sofort“, sagte der 58-Jährige einen Tag vor dem Bundesligaspiel gegen den FC Bayern (20.30 Uhr im LIVETICKER).
Saier: „Ein bisschen ein 50:50-Thema“
Es bleibt festzuhalten: Entschieden ist noch nichts. „Irgendwann werden wir die Köpfe zusammenstecken, dann werden wir eine Entscheidung treffen und dann gibt es alle Varianten“, sagte Saier. „Ich will jetzt keine Überschriften produzieren, aber es ist - wie in den letzten Jahren auch - immer so ein bisschen ein 50:50-Thema, weil man es nur ganz oder gar nicht machen kann.“
Und Saier betonte: „Ich habe natürlich auch die Hoffnung, dass es weitergeht.“ Irgendwelche Tendenzen gebe es aber aktuell weder in die eine noch in die andere Richtung, ergänzte Saier. Die Gespräche mit Streich sollen im März geführt werden.
„Die Situation, dass man überlegt und dass man Hin- und Her-Tendenzen hat, gab es ehrlicherweise in den letzten Jahren immer schon“, sagte der 45-Jährige.
Streich hat in den vergangenen Jahren seinen Vertrag in Freiburg immer jeweils nur um eine Saison verlängert, auch weil er sich jedes Jahr aufs Neue hinterfragt, ob noch genügend Energie für den Job vorhanden ist.
Streich grübelt über Zukunft: „Spüre, dass ich älter werde“
„Die Zeit muss man sich auch nehmen“, räumte Saier ein. „Es ist sicherlich keine einfache Entscheidung, um beidseitig für sich eine klare und gute Entscheidung zu treffen. Denn die brauchen wir mit maximaler Überzeugung, weil der Weg in der Bundesliga so kompliziert und kraftraubend ist.“
Dass Streich in dieser Saison mehr denn je über seine Zukunft grübelt, legte schon ein Interview im 11Freunde-Magazin im Oktober nahe.
„Ich spüre, dass ich älter werde. Die Kraft schwindet, es ist nun mal absehbar. Ich ertappe mich immer öfter bei dem Gedanken: Was kommt noch an Energie bei den Spielern an?“, sagte Streich damals. „Und wenn ich feststelle, dass es nicht mehr reicht und es einen Jüngeren braucht, um an die Spieler ranzukommen, höre ich auf.“
Zwar ruderte er später zurück und relativierte seine Aussagen mit Blick auf den Zeitpunkt des Interviews, das kurz nach der heftigen 0:5-Klatsche in Stuttgart stattfand.
Langjähriger Weggefährte verlässt Freiburg
Neben dem eigenen Energiehaushalt ist Streich auch das passende Umfeld wichtig. Und hier deutet sich im Sommer eine Zäsur an, die auch einen Einfluss auf Streichs Zukunftsentscheidung haben könnte.
Mitte Februar gab der SC den Abschied von Co-Trainer Patrick Baier bekannt. Der langjährige Weggefährte und Vertraute von Streich verlässt den Klub nach 25 Jahren zum Saisonende auf eigenen Wunsch.
Auch wenn Streich nach außen hin das prägende Gesicht des Sport-Clubs ist, versteht er sich selbst als absoluter Teamplayer. Gerade die Arbeit mit seinem Trainerteam und den unterschiedlichen Charakteren schätzt Streich besonders, das betonte er auch bei seiner letzten Vertragsverlängerung: „Die Konstellation hier ist besonders und es ist mir eine Freude, gemeinsam mit meinen Trainerkollegen bei diesem Verein weiter arbeiten zu können.“
Aber wie geht es jetzt ab Sommer weiter? Droht dem SC Freiburg tatsächlich ein ganz großer Einschnitt, falls Streich aufhören sollte?
Freiburg wäre auf den Fall der Fälle vorbereitet
„Wenn wir beide wirklich zu der Entscheidung kommen würden, dass es vielleicht der richtige Zeitpunkt ist, etwas zu verändern oder er für sich entscheidet, dass die Energie doch nachgelassen hat oder er den Weg dann nicht mehr so weitergehen möchte, glaube ich schon, dass wir nicht ganz unvorbereitet wären - aber das ist alles im Konjunktiv, da sind wir gerade auf einem unguten Pfad, weil ich darüber eigentlich gar nicht sprechen will“, erklärte Saier.
Der SC Freiburg versteht sich als Trainerverein, Volker Finke führte den Sport-Club 1993 erstmals in die Bundesliga und wurde mit seinen 16 Jahren an der Seitenlinie zum Rekordtrainer bei den Breisgauern. Wenn Streich nun im Sommer gehen sollte, würde er ähnlich große Fußstapfen hinterlassen.
Freiburg ohne Streich scheint nur schwer vorstellbar. Aber der SC fühlt sich für den Tag x gewappnet, auch weil sich die Frage nach Streichs Zukunft nicht zum ersten Mal stellt.
„Wir haben in den letzten Jahren immer schon, aber auch mit seinem Wissen - weil es in Phasen gewisse Unsicherheit gab - Gespräche geführt. Wir haben mit Trainern die Köpfe zusammengesteckt, aber immer in dem Setting, dass wir unbedingt wollen, dass es bei uns weitergeht“, berichtete Saier.
Ex-Profi Schuster erhält Pro Lizenz
Naheliegend wäre eine interne Lösung. Ex-Profi Julian Schuster zählt schon seit 2018 zum Trainerstab und legte Anfang dieser Woche beim DFB erfolgreich die Prüfung für die Pro Lizenz ab.
Thomas Stamm, der im Vorjahr die zweite Mannschaft zur Vizemeisterschaft in der 3. Liga führte, aktuell aber mit dem Nachwuchsteam nach großem Umbruch als Tabellenletzter akut vom Abstieg bedroht ist, sei für Saier auch ein Top-Trainer, „der auch schon acht Jahre bei uns ist und in den verschiedenen Stufen immer eine sehr gute Arbeit gemacht hat“.
Doch für Saier waren das schon wieder zu viele Konjunktive, weswegen er auf die Überlegungen für den Fall der Fälle nicht noch näher eingehen wollte.