Liebe Fußball-Freunde,
Bayern? „Da kann was nicht stimmen“
diese 0:3-Pleite des FC Bayern im Bundesliga-Topspiel bei Bayer Leverkusen bewegt mich. Ich habe sehr selten von den Bayern gesehen, dass sie derart hinterherlaufen bei den Gegentoren und nicht rankommen, während du bei Leverkusen die Leichtigkeit und Spielfreude siehst.
Normalerweise regelst du das auch mit einem Foul, wenn du verarscht wirst. Aber das machen die Bayern ja auch nicht.
Ich frage Manuel Neuer demnächst auch mal, warum er vor dem letzten Gegentor mit nach vorn gegangen ist. Normalerweise macht der Torwart so etwas, wenn man ein Tor hinten liegt, aber es stand ja 0:2. Dann kriegst du gegen Leverkusen das dritte auch noch … aber das war nicht das Entscheidende in dem Spiel.
Effenberg: „Das war für mich unverständlich“
Zur überraschenden Veränderung der Bayern-Defensive durch Trainer Thomas Tuchel auf eine Dreierkette muss ich sagen: Ich habe den Gedanken schon verstanden. Aber das nun gegen Leverkusen zu stellen, wo die Dreierkette in dieser Saison so ja noch gar nicht gespielt wurde? Das war für mich unverständlich.
Auch dass die eigentlichen Innenverteidiger Upamecano und Kim auf die Außenbahnen geschoben werden, das ist doch kein Bereich für einen Innenverteidiger. Die Sache mit Sacha Boey habe ich ebensowenig verstanden, der ein klassischer Rechtsverteidiger ist - er hat das bei Gala auch immer gespielt und wird nun auf die linke Schiene gestellt.
Da kann man doch aber nicht hingehen und sagen: Das muss er aber können! Bayern München hat in den vergangenen Jahren doch immer ein klares 4-2-3-1 gespielt.
Normalerweise gibt der FC Bayern das System vor, danach hat sich der Gegner zu richten. Ich kenne das nicht anders. Aber wenn du jetzt taktisch und personell so durchwürfelst, dann kannst die diese Verunsicherung spüren.
Xabi Alonso alles richtig gemacht
Leverkusen hat dagegen auf die kleinen, schnellen Spieler gesetzt gegen die großen Akteure bei Bayern - da hat Xabi Alonso alles richtig gemacht.
Auch seinetwegen ist es so: Wenn Leverkusen so weiterspielt, dann werden sie auf jeden Fall deutscher Meister. Das war wirklich beeindruckend, vor allem nach der DFB-Pokal-Belastung am Dienstag (3:2 gegen den VfB Stuttgart, Anm. d. Red.) nun so eine Performance hinzulegen.
Es war auch gegen die Bayern sehr, sehr gut. Aber: Es sind noch 39 Punkte im Topf, das Niveau müssen sie halten. Aber wenn sie es halten, haben sie es auch verdient - dass muss man dann auch respektieren und akzeptieren.
Was die vermeintliche Dünnhäutigkeit von Bayern-Coach Thomas Tuchel angeht: Es wäre auch nicht verkehrt, mal einen Fehler einzugestehen.
Bayern lassen in so einem entscheiden Spiel alles vermissen
Hinterher haben sie zwar auf eine Viererkette umgestellt. Aber: Die Bayern lassen in so einem entscheiden Spiel alles vermissen. Dabei bist du doch voller Adrenalin und willst aggressiv spielen, aber du siehst im Spiel gar nichts davon.
Dann versteht man auch das Interview von Thomas Müller nach Abpfiff, in dem er total unzufrieden war. Sie trainieren gut, bringen es aber nicht auf den Platz: Da kann ja irgendwas nicht stimmen.
Wenn Müller sagt, es fehle die Leichtigkeit, dann habe ich das Gefühl, dass sie in Schablonen hineingesetzt werden, die sie dann zu ausfüllen haben. Da fehlt Freiheit und Kreativität.
Ich verstehe auch überhaupt nicht, dass Thomas Müller in so einem Spiel nicht gleich spielt. Klar kann man fragen: Naht das Karierende, fehlt ihm die Power?
Auch Kimmich ist zentrale Figur
Aber in so einem Spiel ist er so wichtig, um die Jungs zu coachen. Auch Joshua Kimmich ist zentrale Figur. Die musst du in so einem Spiel doch bringen. Das hat Tuchel nicht gemacht – und das das sind die Hauptgründe, warum die Bayern dieses Spiel verloren haben.
Es geht doch nicht darum, in den entscheidenden Situationen rumzudiskutieren, sondern du musst doch sofort dahingehen wie beim ersten Gegentor. Egal ob das nun eine Aufgabe von jemand anderem ist.
Den Bayern aber fehlen die Führungspersönlichkeiten, die genau das sagen. Und wenn du diese Persönlichkeiten nicht hast, dann hören die Jungs auch nicht hin.
Hätte ein Kimmich von Anfang an gespielt, dann hätte der die Situation gelöst, da bin ich mir sicher. Wäre ich noch Spieler, dann hätte ich so einen dicken Hals: Ich hätte mir die Jungs so gepackt und ihnen ins Gewissen geredet.
„Du hast auch keinen Uli Hoeneß mehr in der Führung“
Ich würde auch als Spieler Kampfansagen rüberschicken und ganz anders reden. Aber du hast diese Spieler eben nicht mehr, du hast auch keinen Uli Hoeneß mehr in der Führung. Das fehlt: Ich bezweifele, dass sie das zurückkriegen.
Ich sehe keine Spieler, zu denen die Bayern aufschauen können – oder die sind nicht Form.
Früher haben Spieler wie Oliver Kahn, Klaus Augenthaler oder auch ich die Spieler mal zusammengerufen, um Tacheles zu reden. Manchmal muss das auch von der Mannschaft heraus kommen. Das erwarte ich nun.
Das kannst du ja jetzt nicht so wegwischen. Und wenn ich Tacheles sage, meine ich auch über die schlechten 80 Minuten, nicht die paar guten Minuten.
Trotzdem: Eigentlich ist so eine Situation bei Bayern auch mal gut: Jetzt nämlich mal richtig Klartext zu sprechen und darauf zu reagieren. Dann könnte ich mir vorstellen, dass sie noch mal ein anderes Gesicht zeigen.
Bis bald,
Euer Stefan Effenberg
Stefan Effenberg hat 2001 mit dem FC Bayern die Champions League gewonnen. Mit den Bayern und Borussia Mönchengladbach wurde er zudem mehrmals Deutscher Meister und Pokalsieger. Seit Sommer 2018 gehört der 55-Jährige zum festen Experten-Team des STAHLWERK Doppelpass auf SPORT1.