Von Schöngeist konnte am Mittwochabend beim Bundesliga-Nachholspiel des FC Bayern gegen Union Berlin (1:0) kaum die Rede sein, eher erhitzten diverse Nickeligkeiten samt Trainer-Eklat, infolgedessen Nenad Bjelica des Innenraums verwiesen wurde, die Gemüter.
Droht Davies langfristig die Bank?
Und doch, auf der linken Abwehrseite der Bayern stellte sich die „Gretchenfrage“, wie sie Thomas Tuchel bereits vor der Partie beschäftigt hatte: Alphonso Davies weiterhin, dem Leistungsprinzip zum Trotz, eine Chance geben – oder doch Raphael Guerreiro auf seiner angestammten Position aufbieten, um dem Kanadier eine Verschnaufpause einzuräumen?
Der Spielverlauf leitete die Antwort selbst herbei! Den Portugiesen auf links hinten zu stellen, ihm erst zum dritten Mal im Trikot des deutschen Rekordmeisters über volle 90 Minuten das Vertrauen zu schenken und zum Matchwinner durch den einzigen Treffer des Tages werden zu lassen – es sollte der nächste Schachzug Tuchels im Umgang mit seinem „Lieblingsspieler“ sein, wie er einst schwärmte.
Tuchel schwärmt von Guerreiro: „Freue mich für ihn“
Lediglich 40 Sekunden nach Wiederanpfiff fiel Guerreiro der Ball nach einem Pfostentreffer von Harry Kane vor die Füße. Der 30-Jährige ließ seine technischen Fähigkeiten aufblitzen, zirkelte den Ball mit dem starken linken Außenrist ins rechte obere Toreck.
„Er hat das gut gemacht heute, sich mit einem Tor belohnt, das freut mich sehr für ihn“, lobte Tuchel seinen Schützling im Nachgang.
Auch Leon Goretzka freute sich für seinen Teamkollegen, für den er auf die frei gewordene Sechser- bzw. Achterposition in die Mannschaft rotierte: „Rapha hat links gespielt und das sehr gut gemacht. Er ist ein anderer Spielertyp als Phonzie (Davies; Anm. d. Red.), aber er hat das gut gemacht!“
Könnte also gerade Goretzka der Profiteur des Zweikampfes zwischen Guerreiro und Davies werden?
Ob Tuchel Matchwinner Guerreiro am Samstag aus der Mannschaft gegen Augsburg (ab 15.30 Uhr, LIVE im SPORT1-Ticker) rotiert, darf bezweifelt werden. Zumal Goretzka selbst und auch Joshua Kimmich auf der Doppel-Sechs ihre Aufgaben gegen die Köpenicker solide abarbeiteten.
„Phonzie hinkt seiner Topform hinterher“
So bleibt Guerreiro wohl nur die Linksverteidiger-Position – und Davies der Platz auf der Bank?
„Phonzie hinkt seiner Topform hinterher. Wir haben einen internen Konkurrenzkampf und tun, was das Beste für die Mannschaft ist“, argumentierte Tuchel in Retrospektive schon vor der Partie pro Guerreiro.
Im Hinterkopf dürften die Bayern-Bosse allerdings die Vertragssituation des kanadischen Nationaltrainers haben, der heftig von Real Madrid angebaggert wird. Davies‘ Kontrakt läuft noch bis 2025, sodass die Münchner möglichst bald mit ihm verlängern wollen, um ihn nicht im Sommer verkaufen zu müssen.
Davies längerfristig auf die Bank zu setzen, dürfte kein Vertrauensbeweis für den schnellen Außenverteidiger sein - und dennoch hat Guerreiro momentan die Nase vorn.
Guerreiro dreht im Bayern-Trikot auf
Und das nicht ohne Grund. Der Spielertyp Feinfußballer, der von seiner technischen Finesse lebt, von der engen Ballführung, geistreichen Einfällen im Offensivspiel und auch der Erfahrung, dreht langsam auf.
Während Davies in der laufenden Bundesliga-Saison noch keinen Treffer trotz seines gehörigen Offensivdranges erzielte, zudem seine drei Assists bereits an den ersten beiden Spieltagen einsammelte, überzeugte Guerreiro jüngst gar auf der Doppel-Sechs.
Aufgrund der starken Trainingsleistungen durfte der Protugiese weiter von Beginn an ran. Ob neben Joshua Kimmich oder als führende Kraft neben dem jungen Aleksandar Pavlovic.
Bleibt Davies auch langfristig nur die Bank?
Doch Tuchel stellte am späten Mittwochabend auch klar: „Er ist aus meiner Sicht kein Doppel-Sechser. Grundsätzlich haben wir ihn als Linksverteidiger verpflichtet. Da sollte er auch in die Konkurrenz mit Phonzie gehen, wenn alle gesund sind.“ Doch gerade da könnte die Hoffnung für Davies aufkeimen.
Weil sich Noussair Mazraoui und Min-Jae Kim mit den jeweiligen Nationalmannschaften auf Reisen befinden, mit Dayot Upamecano und Konrad Laimer zwei längerfristige Ausfälle die Personaldecke in der Defensive ausdünnen, wird Tuchel gegen Augsburg wohl auf beide Linksfüße zurückgreifen (müssen).
Sollte aber in Zukunft ein Teil des Bayern-Lazaretts wieder auf den Platz zurückkehren können: Alphonso Davies wird sich fürchten müssen vor einem Portugiesen, der nun endlich in München angekommen ist.