Es läuft die 87. Minute als Kopenhagens Mohamed Elyounoussi nach einem Eckball am Fünfmeterraum zum Kopfball kommt. Bayern-Keeper Manuel Neuer taucht ab und fischt den Ball aus der rechten unteren Ecke. Doch Elyounoussi bekommt aus kürzester Distanz die Chance zum Nachschuss: Wieder ist Neuer zur Stelle, hält den Ball mit einem unglaublichen Reflex mit der linken Hand.
Der ewige Neuer
Mit seiner doppelten Glanztat rettete Bayerns Nummer eins am Mittwoch nicht nur das 0:0 in der Champions League gegen die Dänen. Die Szene war auch symptomatisch dafür, was der 37-Jährige beim Rekordmeister abliefert, seitdem er vor einigen Wochen von seinem schweren Unterschenkelbruch und der langwierigen Reha zurückgekehrt ist.
Und es war ein Fingerzeig, dass der Oldie noch immer zur absoluten Weltspitze gehört - und die Bayern alles richtig gemacht haben.
FC Bayern: Wie lange kann Neuer weitermachen?
Tags zuvor hatte der Rekordmeister, für Fans und Experten völlig überraschend, die Vertragsverlängerung mit dem Weltmeister-Torwart von 2014 verkündet: Neuer spielt weiter! Und zwar mindestens bis 2025.
Die Nachricht überraschte deshalb, weil der gebürtige Gelsenkirchener mit 37 Jahren eben nicht mehr zu den Jüngsten gehört und seine Verletzung noch nicht so lange zurückliegt. Doch Neuer hat die Argumente auf seiner Seite: Auf dem Platz besticht er wie zu seinen besten Zeiten. Dass er fast ein ganzes Jahr kein Spiel gemacht hatte, ist nicht zu sehen.
Und das befeuert eine Frage: Wie lange kann Neuer noch weitermachen?
Hatte es bis vor Kurzem noch die Unsicherheit gegeben, wie der fünfmalige Welttorhüter aus einer derart schweren Verletzung zurückkommen würde, wird schon jetzt darüber diskutiert, wann Neuer seinen Nationalmannschaftskollegen Marc-André ter Stegen als Stammtorwart der DFB-Elf wieder ersetzen müsse.
Ballack: „Der beste Torhüter, den wir haben“
Zahlreiche prominente Fürsprecher sehen ihn bei der Heim-EM 2024 im deutschen Tor. So zeigte sich nicht nur Ex-Nationalmannschafts-Kapitän Michael Ballack beeindruckt von den jüngsten Leistungen des Bayern-Keepers (Er sei „der beste Torhüter, den wir haben“ und „ein Weltklassespieler“). Auch Neuers DFB-Vorgänger Jens Lehmann würde „zu ihm tendieren“, wie er in der Show „Triple - der Schüttflix Fußballtalk“ bei Sky preisgab.
Doch Neuer denkt nicht nur bis zur EM. Nach seinem starken Auftritt gegen Kopenhagen sagte er vor Reportern: „Ich möchte so lange spielen, wie es mir auch Spaß macht. Ich bin wieder richtig happy, dass ich dabei sein darf, dass ich von der langen Verletzung zurückkomme und die Mannschaft mich auch braucht. Ich merke, dass sie sich freuen, dass ich da bin“, so der 37-Jährige.
Dementsprechend sei es für ihn keine lange Überlegung gewesen, bei den Bayern zu verlängern. Auch ein ganz besonderes Ziel hat Neuer mit dem Rekordmeister bereits vor Augen: das Champions-League-Finale 2025, das - passend zu Neuers neuem Vertragsende - in München stattfindet.
Neuer will ins „Finale dahoam“ 2025
„Wir haben ja auch ein schönes Spiel in München nochmal, wo wir in der Vergangenheit mal schlechte Erfahrungen gemacht haben und in dieses Finale wollen wir natürlich alle“, gab er zu - und spielte damit auf das verlorene „Finale dahoam“ 2012 an.
Bayern-Legende Sepp Maier zeigte sich im Gespräch mit SPORT1 hocherfreut darüber, dass Neuer mindestens bis zu diesem Zeitpunkt beim Rekordmeister bleiben will. „Das war eine großartige Nachricht. Man kann dem FC Bayern nur gratulieren“, sagte der Ex-Torwart (1962 bis 1979) und -Torwarttrainer der Bayern (1994 bis 2008).
Er ist sich sicher: „Es wird sein letzter Vertrag sein. Davon bin ich überzeugt. Danach wird er einen Posten beim FC Bayern übernehmen.“
Doch ganz so sicher scheint das nicht. Bayern-Coach Thomas Tuchel gab am Freitag eine eindeutige Antwort darauf, wie lange Neuer noch spielen könne: „Es gibt kein Limit für Manu, solange er sich so gut fühlt und so hält, wie er es gerade tut“, sagte er auf der Bayern-Pressekonferenz vor dem Spieltag. „Er ist in einer Top-Verfassung. Da machen wir dem ganzen kein Limit oben drauf. Dann kann er so lange im Tor stehen, wie er es möchte.“
Der 50-Jährige schwärmte weiter von seinem Schlussmann: „Er ist im Moment sehr beeindruckend, von der ersten Minute an, in der er wieder im Training war. Der Mix zwischen seiner Lockerheit und Professionalität ist im perfekten Einklang. Er ist auf einem hohen Niveau und wird wahrscheinlich mit jedem Spiel noch ein bisschen besser.“
Neuer? „Er spielt in einer eigenen Liga“
Auch die Zahlen zeigen, welches Niveau Neuer aktuell erreicht: Laut dem Statistikportal Ligainsider ist er in der Bundesliga aktuell der Torhüter mit der zweitbesten Quote an abgewehrten Torschüssen. So vereitelt Neuer 75 Prozent der gegnerischen Chancen. Nur Bayer-Keeper Lukas Hradecky (77,6 Prozent) ist aktuell noch einen Hauch vor ihm. In sieben Spielen seit seiner Rückkehr behielt Neuer viermal die Weiße Weste.
Und nicht nur auf der Linie zeigt er, dass er wieder wie zu besten Zeiten performt, wie etwa das Spiel der Bayern gegen Köln zeigte (Endstand: 1:0 für die Bayern). Dort servierte Neuer nicht nur einen No-Look-Abwurf, sondern spielte auch in alter Manier wie ein Verteidiger mit, tanzte nach einem Rückpass im Fünfmeterraum einen Gegenspieler aus und löste die Situation spielerisch.
Bereits vor seiner Rückkehr ins Team zeigte sich Bayern-Trainer Tuchel beeindruckt davon, was er von Neuer gesehen hatte. „Im Training sehe ich ein ganz neues Niveau im Torwartspiel. Er spielt in einer eigenen Liga. Er zeigt ein ganz eigenes Level im Torwartspiel“, sagte er da.
Wie lange Neuer sein aktuelles Niveau aufrechterhalten kann, kann heute niemand beantworten. Da er bekanntlich so lange spielen will, „wie es mir auch Spaß macht“, scheint vieles möglich.
Eifert Neuer seinem Idol Edwin van der Sar nach?
Doch vielleicht macht er es einem seiner großen Idole nach.
Bei einem Fanclubbesuch im Jahr 2016 hatte der Bayern-Torwart einmal seine Vorbilder genannt. Der erste Name, den er aussprach, war Edwin van der Sar. Die niederländische Torwart-Legende stand in ihrem letzten Profispiel mit Manchester United im Champions-League-Finale gegen den FC Barcelona - und unterlag dort mit 1:3.
Mit 40 Jahren und sieben Monaten war van der Sar zur damaligen Zeit der älteste Spieler, der je in einem Finale der Königsklasse gestanden hatte.
Neuer wäre beim neuerlichen „Finale dahoam“ der Champions League 2025 sogar „erst“ 39 Jahre und rund zwei Monate alt. Der Bayern-Keeper dürfte sich dann einen anderen Ausgang als van der Sar vor ihm wünschen. Doch dass auch Neuer spielt, bis er über 40 ist, das scheint heute alles andere als verwegen.