Am Ende ging alles schneller als gedacht. Im vergangenen Dezember hatte der FC Bayern mit der Verpflichtung von Bryan Zaragoza für einen Überraschungs-Coup gesorgt. Im kommenden Sommer sollte der Flügelflitzer vom FC Grenada zum Rekordmeister wechseln. Doch es kam anders.
FCB-Neuzugang? „Hör auf zu rennen!“
Am letzten Tag der Winter-Transferperiode einigten sich die Vereine und der Spieler auf einen frühzeitigen Wechsel. Nötig wurde dies durch die angespannte Personallage der Münchner. Dass die Einigung glückte, freute vor allem Bayern-Sportdirektor Christoph Freund.
„Im Fußball muss man immer flexibel sein, und so haben wir aufgrund der aktuellen Situation noch einmal reagiert. Zu so einer Einigung gehören drei Parteien, und wir sind froh, dass Bryan Zaragoza früher als eigentlich vereinbart zu uns stößt. Bryan sieht seine Zukunft beim FC Bayern – diese Zukunft beginnt eben schon jetzt. Wir freuen uns sehr, dass er uns bereits in der Rückrunde verstärken wird“, wird Freund in einer Mitteilung zitiert.
Wechsel bereits im Winter
Der Offensivspieler, der vertraglich bis 2029 an die Münchner gebunden ist, war die erste Verpflichtung des neuen Sportdirektors. Ein Spieler, mit dem so wohl nicht allzu viele gerechnet hatten.
„Er ist ein antrittsstarker, sehr schneller und extrem wendiger Flügelspieler, der auf beiden Seiten einsetzbar ist. Er ist unberechenbar, torgefährlich und sehr gut in Eins-gegen-Eins-Situationen“, erklärte Freund bei der ersten Verkündung des Transfers und verriet: „Bryan ist einer der Senkrechtstarter in Spanien und schon länger auf unserem Schirm.“
Zaragoza ist ein echter Freund-Transfer: Der 46-Jährige hatte schon in Salzburg oft Spieler mit hohem Entwicklungspotenzial geholt, die noch vergleichsweise günstig waren und trotzdem direkt auf hohem Niveau liefern konnten. Doch wer ist dieser in Deutschland noch vergleichsweise unbekannte Spieler vom aktuell 19. der spanischen La Liga? SPORT1 stellt Bayerns neuen Flügelflitzer vor.
Zaragoza kämpft sich aus der 4. Liga nach oben
Vor gut einem halben Jahr war Zaragoza wohl nur absoluten Fachleuten des spanischen Fußballs ein Begriff, denn der 22-Jährige ist in Zeiten von hoch-gehypten Supertalenten ein echter Spätstarter.
2020/21 wechselte er beim FC Granada aus der Jugend in den Herrenbereich, damals aber nicht etwa in die erste Mannschaft, sondern erstmal zu Granada B. Für eine spanische U-Nationalmannschaft hatte Zaragoza in den Jahren zuvor nie gespielt, auch in einem Nachwuchs-Leistungszentrum war er nie.
Nach einigen Monaten wurde er dann zum Club Polideportivo El Ejido in die 3. spanische Liga verliehen, wo er sich aber nicht wirklich durchsetzen konnte und in elf Ligaeinsätzen nur auf ein Tor kam.
Zurück in Granada ging er in der Saison 2021/22 für Granada B in der 4. spanischen Liga auf Torejagd. Hier verdiente er sich in 33 Einsätzen mit sieben Toren einen Platz in der ersten Mannschaft für die Saison 2022/23.
Auch in der ersten Mannschaft erkämpfte er sich einen Stammplatz und war maßgeblich am Aufstieg Granadas in La Liga beteiligt.
„Geschoss“ Zaragoza schlägt voll ein
Dort angekommen ging Zaragozas Höhenflug ungebremst weiter. Der nur 1,64 Meter große Flügelspieler verzauberte mit seinen schnellen Dribblings gleich die spanische Eliteklasse. Auch in Spaniens Oberhaus war er von seinen Gegenspielern häufig nicht zu halten – sechs Tore und zwei Vorlagen in 21 Einsätzen unterstreichen sein starkes Debüt-Halbjahr.
Die spanischen Zeitung Marca betitelte ihn nach einer Galavorstellung gegen den FC Barcelona, als er beim 2:2 beide Granada-Tore erzielte, gar als „Geschoss“ - und dieses Geschoss hatte spätestens mit dem Auftritt gegen Barca auch endgültig auf der großen Fußballbühne eingeschlagen.
Bereits nach 17 Sekunden hatte er den Aufsteiger im Heimspiel gegen die Katalanen in Führung gebracht, nach einer knappen halben Stunde erhöhte er dann nach einem traumhaften Sololauf auf 2:0.
Zaragoza entwischte Barca-Verteidiger Jules Koundé nach einem Steilpass. Zwar hätte der Flügelstürmer bereits zu diesem Zeitpunkt abziehen können, dies tat er jedoch nicht. Stattdessen schob er seinem Gegenspieler den Ball noch einmal zwischen den Beinen durch, täuschte in der Folge einen Schuss an, schlug noch einen weiteren Haken und schloss erst dann via Außenrist erfolgreich ins kurze Eck ab.
Dieses Tor zeigt deutlich, worauf sich auch der FC Bayern in Zukunft freuen darf: einen echten Eins-gegen-Eins-Experten, der in Spanien sogar aktuell als bester Dribbler überhaupt gilt. „Ich spiele, um zu dribbeln“, verriet Zaragoza in einem DAZN-Interview: „Ich spiele nicht, um dem Ball hinterherzulaufen.“
Gegenspieler fordert: „Hör auf, zu rennen!“
Und mit diesen temporeichen Dribbling-Aktionen ließ er einige Gegner in La Liga ins Leere laufen. Er selbst zwingt seine Gegenspieler, etwas zu tun, worauf er selbst keine Lust hat – dem Ball hinterherzulaufen. Und ihm selbst gleich mit.
Geht Zaragoza ins Dribbling, müssen seine Gegenspieler hellwach sein! Denn der mit 1,64-Meter Körpergröße naturgemäß sehr wendige Spanier sorgt mit Ball für absolute Alarmbereitschaft in der Defensive. Oft ist er nur mit einem Foul zu stoppen.
Der 22-Jährige nervt seine Kontrahenten dabei teilweise so sehr, dass sogar Gegenspieler mit Bitten auf ihn zukommen. Bei Zaragozas Gala gegen Barca soll sich ausgerechnet Barca-Verteidiger Ronald Araujo, der auch mit Bayern in Verbindung gebracht wurde, gebeten haben, einen Gang rauszunehmen.
„Während des Spiels sagte er mir: ‚Hör auf, zu rennen!‘“, erzählte Zaragoza nach der Partie. Diesen Gefallen tut er den Verteidigern aber in der Regel nicht – Ruhe haben seine Gegenspieler eher selten.
Zusätzlich zu seinen starken Dribblings zeichnet sich der Flügelspieler durch seine Vielseitigkeit aus. In seiner Karriere kam er schon auf sieben Positionen zum Einsatz und ist in der Offensive flexibel einsetzbar. Besonders stark agiert er aber auf Linksaußen, wo er nach einem Dribbling nach innen ziehen und mit seinem starken rechten Fuß wuchtig abschließen kann.
„Straßenfußballer“ schafft Sprung in Nationalmannschaft
Seine guten Leistungen haben in diesem Jahr nicht nur den FC Bayern, sondern auch den spanischen Nationaltrainer Luis de la Fuente auf den Plan gerufen. Dieser nominierte den Youngster für die Länderspiele gegen Schottland und Norwegen im Oktober. Beim 2:0-Heimerfolg gegen die „Bravehearts“ kam Zaragoza dann sogar direkt zum Debüt bei der Furia Roja, als er zur zweiten Hälfte eingewechselt wurde.
Mit diesem Einsatz wurde ihm nun also eine Ehre zuteil, die er im Jugendalter nie erreichte: Er bestritt ein Länderspiel für sein Heimatland und krönte seinen kometenhaften Aufstieg so endgültig. Auch eine Teilnahme mit Spanien im kommenden Sommer bei der Europameisterschaft in Deutschland scheint für den Shootingstar möglich zu sein.
„Alles, was ich aktuell erlebe, ist wie ein Traum, es ist unbezahlbar“, erklärte Zaragoza nach der Normierung im Gespräch mit dem spanischen Sportportal Plaza Deportiva.
An den emotionalen Moment, als er von der Nominierung erfuhr, erinnert er sich gerne zurück: „Ich wurde nach dem Spiel gegen Barcelona von unserem Sportdirektor in ein Büro gebracht und meine ganze Familie weinte dort. Sie gaben mir das Telefon und es war ein Delegierter der Nationalmannschaft, der mir mitteilte, dass ich nominiert bin. Es war ein einzigartiger und besonderer Moment, an den ich mich mein ganzes Leben lang erinnern werde.“
Unbekümmerte Art als Faustpfand beim FC Bayern?
Richtig aufgeregt war er trotz dieses Meilensteins dabei aber nicht. „Ich fühle mich wie ein Straßenfußballer. Ich habe mein ganzes Leben lang in der Nachbarschaft gespielt. Es hat mir viel Persönlichkeit und Selbstvertrauen gegeben“, kommentierte er seinen Erfolg.
Diese unbekümmerte Art könnte ihm beim neuen Klub sehr zugutekommen. Denn im Haifischbecken Bayern München wird die Konkurrenzsituation und die Herausforderung natürlich noch einmal deutlich größer als beim FC Granada.
Um sich beim deutschen Rekordmeister durchzusetzen, muss sich Zaragoza definitiv noch einmal steigern und an seiner Konstanz arbeiten. Trotzdem könnte der 22-Jährige sehr gut zum FC Bayern und dessen Spielweise passen, gerade weil er im Vergleich zu den Spielen mit dem FC Granada (weniger Ballbesitz im Schnitt) deutlich mehr Aktionen mit dem Ball bekommen wird und so seine Stärken noch besser ausspielen kann.
Ein neuer Ribéry?
Gemeint sind dabei vor allem seine Fähigkeiten im Dribbling, seine Power im Eins-gegen-Eins. Attribute, die es seit dem Abgang von Franck Ribéry nach der Saison 2018/19 in dieser Art nicht mehr gab. Mit Zaragoza scheint sich dies zu ändern. Flink, wendig, tiefer Körperschwerpunkt - mit seinen Qualitäten kann er auf engstem Raum Situationen lösen.
Betrachtet man das Spiel des jungen Spaniers können zudem durchaus parallelen zur französischen Vereinslegende Ribéry festgestellt werden. Sowohl von der Körpergröße (1,64 Meter), als auch von seinen Bewegungen im Dribbling kommt er dem Franzosen sehr nah.
Schon jetzt ist der Aufstieg des einstigen Viertliga-Spielers zum FC Bayern bemerkenswert - und Zaragozas Karriere macht Hoffnung, dass er den Biss und das Talent hat, sich auch in München durchzusetzen.