„Servus, i bin da Min-jae!“ So stellte sich Kim Min-jae im Sommer beim FC Bayern München vor. „Servus, i ko nimma“, könnte der Abwehrriese aus Südkorea sich inzwischen denken.
Wie lange geht das noch gut?
959 von 990 möglichen Minuten spulte Kim in der laufenden Bundesliga-Saison für den Rekordmeister ab, alle vier Partien in der Champions League absolvierte der ab Mittwoch 27-Jährige über die volle Distanz.
Dem Neuzugang wird eine Menge zugemutet und wirkliche Erholung ist auch in der Länderspielpause nicht in Sicht - wie lange geht das noch gut?
Vorweg sei dazu gesagt: Kim hört auf den Spitznamen „Monster“ - und nicht umsonst. Die Robustheit und Zweikampfstärke des 1,90-Meter-Manns, der mit der SSC Neapel vergangene Saison den Scudetto holen konnte, hat sich auch in der neuen Wahlheimat schnell herumgesprochen.
Kims Situation beim FC Bayern stellt für den Meister-Verteidiger allerdings nochmal eine neue Herausforderung dar: In einem ohnehin nicht zu üppig besetzten Defensivkonstrukt mit nur drei nominellen Innenverteidigern ist der Südkoreaner der einzig konstant fitte - und muss sich daher besonders strecken, wo andere sich nicht strecken können.
Matthijs de Ligt fällt nach wie vor mit einem Teilanriss des Innenbandes in rechten Kniegelenk aus, Dayot Upamecano fehlte zuletzt mit einer Oberschenkelverletzung.
Tuchel: „Intensive Matches - auch für den Kopf“
Und Kim? Der spielt immer. Weil er muss. Die einzige Partie, die Kim verpasste, war die erste DFB-Pokalrunde gegen Preußen Münster. Seitdem ruht auf seinen breiten Schultern besonders viel von der Last, die Coach Thomas Tuchel generell schon als sehr hoch empfindet.
„Es waren zwei sehr intensive Matches diese Woche, auch für den Kopf. Viele Wechsel, ich bin sehr froh und dankbar für die drei Punkte“, sagte der Trainer am Wochenende nach dem 4:2-Sieg gegen Heidenheim am Sky-Mikrofon.
In den besagten zwei Spielen (Heidenheim und Galatasaray) war Kim wie immer gefordert, spielte meist gut, aber am Ende nicht frei von der Müdigkeit im Kopf, die Tuchel als Gefahr ausgemacht hat.
In der Champions League ließ sich der Südkoreaner beim späten 1:2-Anschlusstreffer mit nur einem langen Pass aus dem Mittelkreis übertölpeln, verlor in der Folge das Laufduell gegen Cédric Bakambu und konnte diesen abschließend auch nicht mehr entscheidend am Abschluss hindern.
Gegen Heidenheim dann das nächste Missgeschick. Die Münchner führten 2:0, die Partie schien vollständig im Griff. Doch Kim spielte einen kapitalen Fehlpass im eigenen Spielaufbau in die Füße von Heidenheims Jan-Niklas Beste, der den 1:2-Anschlusstreffer besorgte - und das zwischenzeitliche Comeback einleitete.
Der Fehler erinnerte an einen ähnlich verkorksten Pass, mit dem Kim in der Vorbereitung in Unterhaching gegen Monaco ein Gegentor verursachte.
Freund: „Er ist am Limit“
„Min-jae spielt jedes Spiel 90 Minuten seit Monaten, auch mit der Nationalmannschaft. Er ist einfach bisschen müde, er ist am Limit. Da passieren Unkonzentriertheiten, das ist menschlich“, entschuldigte Sportdirektor Christoph Freund bei Sky seinen Abwehr-Anführer.
Zum Teil hatten die Unkonzentriertheiten aber eben auch schon schlimmere Folgen als gegen Heidenheim und in Unterhaching: Beim Pokal-Aus gegen Saarbrücken spielte Kim vor dem 1:1-Ausgleich einen Pass ohne Not zum arg bedrängten Frans Krätzig, der den Ball vertändelte.
Das Tor leitete den Sensations-K.o. ein - und Tuchel sprach es offen aus: „Die Entscheidung (von Kim; Anm. d. Red.) ist sicher nicht gut, den Frans da anzuspielen unter vollem Druck. Der Frans wird abgeknackt. Min-jae geht danach in den Zweikampf, der ein 50/50-Zweikampf ist. Er kann auch auf den Beinen bleiben und den abdrängen. Das passiert uns immer noch zu oft. Wir gehen in Momenten ins Risiko, in denen es nicht nötig ist.“
Ein Risiko ist allerdings auch das, was Bayern zumutet - aber die Frage ist, was die Alternative ist inmitten einer dünnen Personallage und eines anhaltend eng gestrickten Terminkalenders.
Kim: 80 Stunden zwischen China-Länderspiel und Bundesliga-Rückkehr
Auch in der Länderspielpause wird Kim Strapazen eingesetzt sein: Am Donnerstag wartet mit Südkorea das WM-Qualifikationsspiel gegen Singapur in der Hauptstadt Seoul, am darauffolgenden Dienstag ebenfalls ein Pflichtspiel gegen China im über 2.000 Kilometer entfernten Shenzen - keine 80 Stunden später folgt am Freitagabend in Köln die Bundesliga-Rückkehr.
Addiert man alle Flugkilometer der Reise, kommt man auf Distanzen um die 20.000 Kilometer.
Das Belastungsniveau bleibt hoch - worüber Kim wahrscheinlich weiter nicht klagen wird. Man bedenke, dass er im Vorstellungsvideo des FC Bayern offenbarte, früher Autoreifen einen Berg hochgezogen zu haben, um schneller zu werden. Und dass er sich den Sport ausgesucht hat, weil der Fußball „mit seiner hohen Laufintensität“ besonders zu ihm gepasst hätte.
Und doch wird irgendwann auch ein Monster müde - und der FC Bayern muss im eigenen Interesse klug abwägen, wann die rechte Zeit ist, ihm die nötigen Pausen zu geben.