Es sieht sehr danach aus, als fliege Union Berlin die aktuelle Saison so richtig um die Ohren. Nach fünf Jahren des rasanten Aufstiegs. Das Gute aber, gerade für die Analyse des Dilemmas, die Gründe sind nicht rätselhaft, sondern relativ eindeutig.
Union stolpert über Größenwahn
Die Berliner sind 15. in der Bundesliga, sechs Niederlagen aus acht Spielen, und in der Champions League jetzt vor dem Heimspiel gegen Neapel (Dienstag, 20.45 Uhr) sogar noch ohne Punkt. Letzter in der Gruppe C.
Der 1. FC Union, und für diese Erkenntnis braucht man kein besonderer Experte sein, hat in den vergangenen Monaten zu viele Fehler gemacht.
Ist Union der Erfolg zu Kopf gestiegen?
Es gibt einige in der Branche, die meinen, der Erfolg sei den Verantwortlichen der „Eisernen“ ähnlich schnell zu Kopf gestiegen wie sie vom Mittelklasse-Zweitligisten zum Champions-League-Teilnehmer geworden sind. Nur noch dicke Hose. Wichtig an dieser Stelle: Das Gerede der Konkurrenz ist, gerade in der Besserwisser-Bubble Bundesliga, immer mit Vorsicht zu genießen. Ziemlich sicher wären viele andere sehr gern den Union-Weg der letzten Jahren gegangen.
Richtig ist aber auch, und da liegt unbestritten ein Teil des Berliner Problems: Wer es überraschend in die Champions League schafft, ist noch lange kein Champions-League-Klub. Die Vergangenheit, und da ist dann eben auch Erfahrung ein wichtiger Faktor, hat zu oft gezeigt, dass der Weg wieder raus dem elitären Kreis der europäischen Topklubs deutlich schneller und einfacher zurückzulegen ist als der Aufstieg zuvor.
Statt das viele Geld, das die Teilnahme an der Königsklasse in die Vereinskasse spült - erst recht als Neuling -, direkt in teure und vermeintlich bewährte Topspieler zu stecken, ist das Investment in Strukturen, Umfeld und Unterbau in der Regel die deutlich nachhaltigere Entscheidung. Die Gruppenphase der Champions League läuft keine drei Monate, die teuren Verträge mit neuen Stars meist drei, vier oder fünf Jahre.
Berlin vor großen Herausforderungen
So viele One-Hit-Wonder-Klubs haben das schon erlebt: Wenn oben plötzlich Transfers von Nationalspielern und Reisen nach Madrid auf der Tagesordnung stehen, bleibt weiter unten vieles auf der Strecke. Und die Probleme in den Bereichen derer, die schon seit Jahren alles geben für ihren Verein und auch ihre Ansichten zu Themen wie Wachstum und Kommunikation haben, wachsen so schnell wie die Anzahl der neunmalklugen Experten, die im TV und über Social Media im Grunde dauerhaft jede Entscheidung kommentieren. Wer das nicht händeln kann, und es ist eine echte Herausforderung, der hat schnell mehr Sorgen und Probleme als Punkte.
Union, das könnte man sagen, hat sich am Größenwahn verschluckt. Sie haben Personal eingekauft, das gehaltstechnisch in anderen Welten lebt. Im besten Fußballalter, aber ohne großen Wiederverkaufswert. Vollprofis, die um Titel spielten, nicht gegen den Abstieg. Das kann noch gefährlich werden.
Für viele, die dazukamen, ist Union ein Arbeitgeber, aber keine Herzensangelegenheit. Der Grat, auf dem die Köpenicker unterwegs sind, ist verdammt schmal.
Samstag in der Bundesliga, vier Tage nach dem Champions-League-Abend im Olympiastadion, geht‘s gegen Bremen um sehr viel. Ein Sieg ist Pflicht für Union, sonst wird es nicht nur wegen des Novemberwetters extrem ungemütlich in Berlin. In einer Saison, von der sie sich eigentlich nur Gutes versprochen hatten.