Emre Can wirkte nachdenklich. Der Kapitän von Borussia Dortmund hatte am Mittwochabend nach dem 0:0 gegen den AC Mailand die beigefarbene Base-Cap tief ins Gesicht gezogen und wartete auf einer Treppenstufe vor dem Kabinentrakt auf den schwarzen Mini-Van, der ihn sowie die Teamkollegen Julian Ryerson und Julian Brandt aus dem Stadion bringen sollte.
Wie Can mit DFB-Denkzettel umgeht
Der 29-Jährige war nach der Nullnummer gegen die Italiener in sich gekehrt. Ob er ahnte, dass ihn der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht für die beiden Länderspiele gegen Mexiko und die USA nominieren würde?
„Bei Emre ist es so, dass er im Klub gerade keine ganz leichte Zeit hat und ich ihm auch den Druck so ein bisschen nehmen will in der Nationalmannschaft“, begründete der Nachfolger von Hansi Flick am Freitag seine knallharte Entscheidung.
Schwierige Zeit für Can
Can durchlebt derzeit schwierige Wochen. Eigentlich sollte alles besser werden für den Mentalitätsspieler, der 2020 unter großen Vorschusslorbeeren für 25 Millionen Euro von Juventus Turin nach Dortmund gewechselt war. Nach drei durchwachsenen Jahren beim BVB hatte der Mittelfeldspieler endlich mal eine konstant starke Rückrunde hingelegt und wurde im Sommer prompt zum Kapitän ernannt.
Trainer Edin Terzic entschied sich seinerzeit für Can und damit gegen den damaligen Ajax-Star Edson Álvarez (ging nach West Ham), einen Wunschspieler von Sportdirektor Sebastian Kehl. Hinter den Kulissen brodelte es, in der Causa Can waren sich nicht alle Verantwortlichen wirklich einig.
Stattdessen wurde der Vertrag verlängert und Can trat zudem die Nachfolge von Marco Reus als Spielführer an. „Vor sechs Monaten hätte wahrscheinlich niemand gedacht, dass ich heute hier sitze und Kapitän werde“, sagte Can damals glücklich und mit leuchtenden Augen. „Es hat sich in den vergangenen Monaten einiges geändert.“
Stammplatz beim BVB ist weg
Er habe in den schwierigen Phasen viel gehadert, die Schuld bei anderen, unter anderem auch beim Trainer gesucht, gestand der Profi erfrischend ehrlich. Doch damit sollte Schluss sein. Frohen Mutes blickte Can auf die neue Saison mit dem BVB.
Nach vier schwachen Ligaspielen verlor der Routinier, der zwischenzeitlich auch mit Wadenproblemen zu kämpfen hatte, allerdings seinen Stammplatz an Salih Özcan. Hatte Can zuletzt noch unter Flick als Hoffnungsträger und „Aggressive Leader“ in den beiden Länderspielen gegen Japan (1:4) und Frankreich (2:1) in der Startelf gestanden und ordentliche Leistungen gezeigt, wird er am Montag nicht einmal im DFB-Flieger in Richtung USA sitzen. Von seiner Nicht-Nominierung erfuhr Can am Donnerstag.
BVB-Coach Terzic, der am Vortag der Kaderbekanntgabe ausführlich mit Nagelsmann telefoniert hatte, wollte die Entscheidung auf SPORT1-Nachfrage „nicht kommentieren“, gab seinem Kapitän allerdings Rückendeckung. „Emre ist ein extrem wichtiger Spieler für uns und besonders für mich als Trainer“, sagte der 40-Jährige. „Wir sind jeden Tag im Austausch, er ist ein wichtiger Ansprechpartner für mich.“
Can enttäuscht - Nagelsmann lässt Tür offen
Mit der Situation sei der frühere Liverpool-Profi „sehr gut“ umgegangen. „Er weiß natürlich, dass er nicht in absoluter Topform ist. Aber wir wissen, dass er da hinkommen wird“, führte Terzic weiter aus. „Dabei werden wir ihm helfen.“
Nach SPORT1-Informationen war Can natürlich enttäuscht, will den Denkzettel aber zum Anlass nehmen, um künftig noch mehr Gas zu geben. Auch einige Mitspieler vom BVB waren von Nagelsmanns Entscheidung überrascht. Schließlich ist Can in der Mannschaft total beliebt, sein Wort hat seit jeher in der Kabine Gewicht.
Trotz des Denkzettels lässt der Bundestrainer die Tür für Can mit Blick auf die Heim-EM im nächsten Jahr offen. Sollte er im Verein konstant gute Leistungen bringen, wird er wieder ins Team zurückkehren. „Daran habe ich überhaupt keine Zweifel“, sagte Nagelsmann. „Er ist ein herausragender Spieler, der gerade einfach ein bisschen Zeit braucht. Die will ich ihm geben und nicht noch zusätzlich Druck machen.“