Es ist noch gar nicht so lange her, da stand Jerome Boateng für den FC Bayern wieder auf dem Platz.
Boatengs brisante Bayern-Rückkehr
Beim Legendenspiel gegen Borussia Dortmund Ende Juli trug der inzwischen 35-Jährige das rote Trikot. Von den Fans wurde er teilweise mit lautstarken Pfiffen empfangen.
Der mitunter heftige Unmut der Münchner Anhänger gegen den Innenverteidiger hat primär keinen sportlichen Grund. Gegen den zuletzt vereinslosen Weltmeister von 2014 läuft nach wie vor ein Gerichtsprozess. Zum mittlerweile dritten Mal wird der Fall verhandelt. Es geht um den Vorwurf, dass Boateng seine damalige Partnerin während eines Karibikurlaubs vor mehr als drei Jahren verletzt und beleidigt haben soll. Bis zu einem endgültigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung.
Jérôme Boateng: Fans mit moralischen und sportlichen Bedenken
Doch die aktuelle Nachricht, dass Boateng am Sonntag bei den Bayern mittrainiert hat und nach drei Jahren wahrscheinlich tatsächlich nochmal einen Vertrag beim deutschen Rekordmeister unterschreiben wird, spaltet die Fanlager. In den sozialen Netzwerken äußerten Anhänger scharfe Kritik.
„Peinlich“, für so einen Verein so einen „Skandal“ durchzuziehen, schrieb etwa ein Nutzer bei Instagram. „Eine Schande“, befand ein anderer und fügte hinzu: „So jemandem nochmal einen sportlichen Rahmen zu bieten, ist einfach nur abscheulich und ein weiteres Armutszeugnis für diesen mittlerweile, heruntergekommenen Verein.“
Eine moralische Position in dieser Frage bezieht nicht jeder Fan - aber auch rein sportlich gesehen gibt es Bedenken.
„Nichts gegen Boateng, er war ein mega guter Verteidiger, aber seine Zeit ist leider vorbei“, glaubt ein Fan mit dem Netznamen „maurice.reif“. Ein anderer hält dieses Urteil für eine Fehleinschätzung - und Boateng keineswegs zwingend zu alt: „Guter Move. Weltmeister. Im besten Alter für einen Innenverteidiger.“
Diverse Anhänger, die den Boateng-Plan begrüßen, verweisen auch darauf, dass Boateng ablösefrei und das Risiko damit überschaubar sei.
Launig kommentierte derweil ein Nutzer namens robshepherd_ die Ereignisse. „Gnabry gefällt das“, schrieb er und fügte ein #fashionweek hinzu.
Boateng rieb sich öfters an den Bayern-Granden
Boateng und Serge Gnabry verbindet die Vorliebe für ausgefallene Mode. Wie Gnabry war Boateng einst Stargast bei den Fashion-Festspielen in Paris. Und wie Gnabry wurde Boateng von den Bayern-Bossen zwischenzeitlich kritisch für seine Präsenz abseits des Platzes beäugt.
Karl-Heinz Rummenigges Mahnung, Boateng müsse „back to earth“ kommen, wurde zum geflügelten Wort. Boateng war „not amused“ und schoss zurück: „Das nächste Mal kann er mir das auch ins Gesicht sagen.“
Sportlich hat der in Berlin geborene Boateng in Bayern viel erreicht - die Triple-Siege 2013 und 2020, insgesamt neun Meisterschaften und fünf Pokalsiege -, sein persönliches Verhältnis zu Umfeld und Klubverantwortlichen war aufgrund der vielen Irritationen aber lange zwiespältig.
Uli Hoeneß riet ihm 2020 öffentlich zum Abschied
Was Bayerns Ehrenpräsident Uli Hoeneß von einer Rückkehr Boatengs nach München hält, ist bislang nicht bekannt. Hoeneß war es, der Boateng damals einen Abschied nahelegte („Ich würde ihm als Freund empfehlen, den Verein zu verlassen“). Nach dem zweiten Champions-League-Triumph 2020 verließ er schließlich den Klub, wechselte zu Olympique Lyon.
Sein letztes Spiel machte er am 3. Juni in der Ligue 1 gegen Nizza. Es war nur einer von acht Ligaauftritten in der Saison. Nur einmal spielte Boateng über die vollen 90 Minuten, sechsmal stand er in der Startelf. Mehr als eine Reservisten-Rolle war auch wegen kleinerer Verletzungen nicht drin. Der Vertrag wurde schließlich nicht mehr verlängert. Seit vier Monaten konnte er nicht mehr in einer Mannschaft trainieren.
Am Sonntag nun trainierte Boateng an der Säbener Straße mit jenen Profis, die beim 2:2 in Leipzig nicht zum Einsatz kam. Nach Angaben der Bayern werde er „auch in den kommenden Tagen“ mittrainieren. Im Hintergrund wird der entsprechende Vertrag ausgehandelt. Nach SPORT1-Informationen ist der Deal so gut wie perfekt.
Grund für die Rückholaktion ist die angespannte Personalsituation in der Defensive. Trainer Thomas Tuchel hat nach den Abgängen von Benjamin Pavard und Josip Stanisic nur noch drei Innenverteidiger im Kader: Min-jae Kim, Dayot Upamecano und Matthijs de Ligt. Und die fehlten zuletzt in der ersten Pokalrunde in Münster allesamt angeschlagen.
Stefan Effenberg kritisierte im STAHLWERK Doppelpass auf SPORT1 die Transferpolitik der Bayern, die den Klub überhaupt erst in diese Situation gebracht habe. „Es sieht nicht gut aus für die Bayern-Verantwortlichen, weil sie ja irgendwas verpasst haben müssen in der Transferphase“, erklärte der SPORT1-Experte.
Rein sportlich begrüßt Effenberg Boatengs Rückkehr: „Die große Frage ist, ob Boateng fit ist. Und das wird er, sonst würde er nicht an der Säbener Straße beim Training sein. Dann der zweite Punkt ist, dass er nur Backup sein wird. Ist er mit dieser Rolle einverstanden? Das heißt ja nicht, dass er permanent performen und den FC Bayern verstärken muss. Er muss in wenigen Situationen da sein, wenn sie ihn brauchen.“
Boateng scheint dazu - trotz des vielfältigen Ballasts der Vergangenheit - bereit zu sein.