Was tun, wenn ein Fußballprofi Dinge postet wie Noussair Mazraoui?
Was am Fall Mazraoui verstörend bleibt
Es war schon vor dem gestrigen Freitagmorgen klar, dass der FC Bayern München keine Antwort darauf geben konnte, die alle zufriedenstellen würde - zu krass entgegengesetzt sind die Erwartungshaltungen nach seinen irritierenden Social-Media-Botschaften im Kontext der Hamas-Massaker in Israel.
Auf der einen Seite die, die forderten: Raus mit ihm oder mindestens knallhart bestrafen. Im Sinne der Werte, denen die Bayern sich zu Recht verpflichtet haben. Im Sinne des israelischen Torwarts Daniel Peretz. Im Sinne des mahnenden Vermächtnisses des jüdischen, in Nazi-Deutschland angefeindeten und im KZ Dachau inhaftierten Ex-Präsidenten Kurt Landauer.
Auf der anderen Seite steht eine ebenfalls große, global betrachtet vielleicht größere Gruppe, die alles völlig anders sieht: Mazraoui sei zu Unrecht an den Pranger gestellt worden. Er habe doch alle Missverständnisse ausgeräumt und einfach nur ebenso unbestreitbares Leid und Unrecht kritisiert, das den Palästinensern vom israelischen Besatzungsregime und deren Militärschlägen angetan werde, so die Argumentation.
Das prinzipielle Recht dazu kann und sollte Mazraoui auch niemand absprechen. Trotzdem hinterlässt die Art und Weise, wie er seine Botschaften platziert hat - vorsichtig ausgedrückt - offene Fragen.
Die kriegerisch-glaubenskämpferische Rhetorik in den Pro-Palästina-Postings von Mazraoui verstören im Angesicht des Hamas-Massakers, in dem militante Terroristen neben Hunderten jungen Festival-Besuchern auch Babys und Rentner ermordet haben, unter ihnen eine 90 Jahre Holocaust-Überlebende.
Mazraouis Schweigen dazu auf der einen und seine dröhnende Unterstützung nach Rufen für einen „Sieg“ der „unterdrückten Brüder in Palästina“ auf der anderen Seite sind und bleiben befremdlich.
Mazraoui ist nicht so weit gegangen wie der bei Mainz 05 rausgeflogene Anwar El Ghazi, der sich unmöglich gemacht hat mit seiner indiskutablen Propaganda für ein Palästina „from the river to the Sea“ (vom Mittelmeer bis zum Jordan), das im Ergebnis dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht. Mazraouis Signale sind dennoch schwer in Einklang zu bringen mit den nachgeschobenen Versicherungen, Gewalt und Unrecht auf allen Seiten abzulehnen.
Auch die von Bayern veröffentlichte Presseerklärung räumt die Widersprüche und Unklarheiten letztlich nicht aus, verhüllt sie stattdessen nur hinter diplomatischen Textkonstruktionen.
Bezeichnend ist vor allem folgende Passage: „Jan Christian Dreesen, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern, […] erklärt: ‚Der FC Bayern verurteilt den Angriff der Hamas.‘ - ‚Darüber hinaus‘, erklärt Noussair Mazraoui, ‚verurteile ich jede Art des Terrorismus und jede Terrororganisation.‘“
Ist Mazraoui da jetzt bei ‚Der FC Bayern‘ mitgemeint, schließt er sich seinem Arbeitgeber in der Verurteilung der Hamas als Terrororganisation an oder nicht? Und wen konkret meint er sonst mit „jede Art des Terrorismus und jede Terrororganisation“, die er in diesem Atemzug kritisiert, während er eine direkte Verurteilung der Hamas vermeidet?
Die Erklärung lässt diese Fragen unbeantwortet und mit Interpretationsspielraum stehen, in deutlichem Kontrast zum nächsten Satz, in dem „der FC Bayern und Noussair Mazraoui“ explizit gemeinsam „der Übertragung des Nah-Ost-Konflikts“ nach Deutschland „entschieden entgegen“ treten.
Dieser Teil der Erklärung ist ein klares und wichtiges Statement. Ansonsten jedoch bleibt der Eindruck, dass Bayern billigt, dass Mazraoui einer problematischen, einseitig auf Israels Verfehlungen fixierten Weltsicht anhängt, die viele politische und historische Zusammenhänge außer Acht lässt.
Zur unangenehmen Wahrheit gehört nun aber auch, dass diese Weltsicht „Mainstream“ in großen Teilen der arabischen Welt ist (und - siehe Greta Thunberg - nicht nur dort).
Täglich reproduziert wird sie unter anderem durch das einflussreiche Medium „Al Jazeera“, das auch die diktatorisch-mörderische Hamas mit ihrer schon immer unverhohlen antisemitischen und gewaltverherrlichenden Agenda standardmäßig als im Recht befindliche „Widerstandskämpfer“ porträtiert. Der Eigner und Geldgeber hinter Al Jazeera ist das mit der Hamas eng verbundene Regime von WM-Gastgeberland Katar, bis vor wenigen Monaten Geschäftspartner der Bayern.
Man kann es vor diesem brisanten Hintergrund auch so sehen, dass der FC Bayern nicht in der besten moralischen Position ist, einen jungen Fußballer für ein problematisches Weltbild abzustrafen. Und es ist womöglich ein Teil der Erklärung für die milde Reaktion des Klubs auf den Fall Mazraoui und für die diplomatische Weichzeichnerei in seiner Presseerklärung.
Dem FC Bayern ist anzumerken, dass er sich an einer Quadratur des Kreises versucht: einem Standpunkt, der seinem Wertekanon und der gesellschaftlichen Verpflichtung für die jüdische und israelische Sache gerecht wird - ohne dabei den in anderen Erdteilen und Märkten eher dominierenden, israelkritischen Palästina-Sympathisanten wehzutun.
Wenn man wohlwollend ist, kann man von einer Art versöhnlichem Brückenbau in einer komplexen, an Konflikten und Widersprüchen reichen Welt sprechen. Wenn man weniger wohlwollend ist, vom Versuch, ein auf vielen Ebenen unangenehmes Thema unter den Teppich zu kehren. Die Zeit wird zeigen, ob es auf Dauer dort bleiben kann.