Kurz diskutierten Jonas Hofmann und Alejandro Grimaldo, wer den Freistoß in der 59. Minute ausführen wird. Schlüssige Argumente hatten beide auf ihrer Seite. Beim Gastspiel der Leverkusener in München (2:2) verwandelte Grimaldo einen Standard auf traumhafte Art und Weise direkt. Hofmann netzte schon vor dem Saisonstart beim Test gegen West Ham (4:0) aus ähnlicher Lage ein. Dementsprechend angespannt blickte der Mainzer Torhüter Robin Zentner drein.
Der Alleskönner mit dem Makel
Nur wenige Worte wechselten die Protagonisten, ehe die Wahl auf Grimaldo fiel. Wie sich schnell herausstellen sollte, war das ein goldrichtiger Entschluss. Rund zwei Meter vor dem Sechzehner, leicht links versetzt, legte sich der technisch versierte Spanier die Kugel hin - und zimmerte diese erneut mit reichlich Drall in die Maschen. Oder wie man im Rheinland sagt: Im besten Hakan-Calhanoglu-Style.
„Wenn er jeden zweiten verwandelt, dann lasse ich ihn immer ran“, scherzte Hofmann, selbst ein Meister des ruhenden Balls, über das vorentscheidende 2:0 von Grimaldo und ergänzte: „Er trainiert das Woche für Woche, wie sich der Ball am Ende senkt und ins Tor flattert. Bei ihm sieht das extrem lässig aus. Da laufe ich im Spiel schon zu den Freistößen hin, aber oft nur als Alibi, um den Torwart ein bisschen zu verwirren.“
Mittlerweile glaubt Hofmann, dass Grimaldo mit seiner „einmaligen Technik“ alleine in dieser Saison zehn Freistoßtore schießen könnte - das wäre selbstredend ein Allzeitrekord. Doch beim 3:0 in Mainz, das die Werkself zurück an die Tabellenspitze beförderte, brillierte der 28-Jährige nicht nur mit seinem neuerlichen Geniestreich. Immer öfter erweist sich Grimaldo als Alleskönner: Abwehrspieler, Stürmer, Spielmacher, Standard-Experte.
Grimaldo wurde einst in Barcelona ausgebildet
Schon die eigentlich simple Frage nach seiner Position ist bei genauerem Hinschauen doch gar nicht so leicht zu beantworten. Angeblich ist Grimaldo ein Linksverteidiger, das geben zumindest die offiziellen Aufstellungen an. Ein Schienenspieler, wie es im Fußball-Neudeutsch heißt. Sein Spiel beschreibt das jedoch in keiner Weise treffend, derart besonders interpretiert er seine Rolle.
„Alejandro ist nicht der vertikale Spieler wie es Jeremie Frimpong ist oder Arthur sein kann“, schilderte Bayers Sportchef Simon Rolfes kürzlich in einem Interview mit dem kicker und verglich Grimaldo mit den beiden Rechtsverteidigern im Kader. „Als wir ihn verpflichtet haben, war klar, dass er kein Spieler ist, der ständig auf Linksaußen ins Eins-gegen-eins geht.“
Vielmehr sucht Grimaldo die zentralen Räume, beteiligt sich so oft wie möglich am Kombinationsspiel. „Spielkontrolle zu haben und das Spiel aufzuziehen – das passt zu uns als Mannschaft und zu ihm als Spielertyp“, urteilte Rolfes, der den beim FC Barcelona ausgebildeten Profi als „extrem spielintelligenten und ballsicheren Spieler“ bezeichnete. Damit die Ausflüge in die Mitte problemlos ablaufen, weicht Florian Wirtz häufig nach links aus. Positionswechsel, die anderen Teams Kopfzerbrechen bereiten.
Auch seine Statistiken lassen bereits den Schluss zu, dass Grimaldos Stärken im offensiven Bereich liegen. Zwei Tore und drei Vorlagen in nur sechs Bundesliga-Spielen sind eindrucksvolle Werte für einen nominellen Abwehrspieler. Doch defensiv ist er ebenfalls eine Bank, fällt mit viel Geschick in der Zweikampfführung und einem hervorragenden Stellungsspiel auf.
Der aktuelle Erfolg steht für Rolfes daher in enger Verbindung mit dem Sommer-Neuzugang. „Wir haben mit ihm in den Punkten Stabilität, Sicherheit im Positionsspiel und Konstanz einen Riesenschritt gemacht“, schwärmte der 41-Jährige. War die linke Abwehrseite, zuletzt mit Mitchel Bakker und Daley Sinkgraven besetzt, über Jahre hinweg eine Problemzone der Werkself, scheint nun eine Optimallösung gefunden zu sein.
Wann debütiert Grimaldo für Spanien?
Was angesichts aller Lobeshymnen aber verwundert, ist Grimaldos Anzahl der Länderspiele: Null. Zumal der Spanier nicht erst seit seinem Wechsel ins Rheinland auftrumpft, sondern schon bei seinem ehemaligen Verein Benfica Lissabon konstant ablieferte.
„Warum er noch nicht für Spanien gespielt hat, kann ich mir nicht erklären, aber es ist meine große Empfehlung: Grimaldo hätte es total verdient, wenn er eingeladen würde“, untermauerte Bayer-Coach Xabi Alonso, der einst mit „La Roja“ sowohl Welt- als auch Europameister wurde, nach dem erfolgreichen Gastspiel in Mainz.
Sowohl Nationaltrainer Luis de la Fuente als auch sein Vorgänger Luis Enrique haben bisher konsequent einen Bogen um Grimaldo gemacht, der laut Alonso „ein sehr professioneller Wettkampftyp“ ist. „Er spielt bei uns super und auch in den letzten Jahren bei Benfica war er super. Er hat die Qualität - nicht nur wegen seiner Freistöße - sondern auch defensiv“, lobte der Baske.
So Alonso legte sich fest: „Wenn er so weitermacht, dann wird er eine Einladung von der Nationalmannschaft bekommen“. Die nächsten Länderspiele stehen bereits Mitte Oktober an. Baut Grimaldo bis dahin nicht rapide ab, könnte er für seinen fulminanten Start in Leverkusen schon bald belohnt werden.